Es waren engagierte Bürger, darunter sehr viele Schüler, die dafür sorgten, dass die Zeugnisse jüdischen Lebens und jüdischer Kultur im Landkreis erhalten bleiben. Sie dokumentierten und erfassten Hunderte Grabsteine auf den jüdischen Friedhöfen im Landkreis.
Vor mehr als 20 Jahren begann man, über eine Dokumentation der jüdischen Friedhöfe in der Region nachzudenken. Ende der 1980er Jahre begannen die Vorbereitungen: Die politischen Gemeinden wurden angeschrieben und um die Kostenübernahme für den jeweiligen jüdischen Friedhof gebeten.
Um die Grabstätten zu dokumentieren, wurde die Anzahl der Grabsteine aus dem Buch von Israel Schwierz, „Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern“, aufgenommen und Fotomaterial ausgewertet. Im Januar 1989 kam ein Arbeitskreis zusammen. Im Laufe der folgenden Jahre wurden sieben der acht jüdischen Friedhöfe fotografiert. Alles geschah zu einer Zeit, als die Buchstaben der Vor- und Familiennamen – bis Ende des 19. Jahrhunderts hebräisch, danach oft auf der Rückseite deutsch – auf den Grabsteinen noch besser lesbar waren als sie es heute sind.
Zuletzt wurden die Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Ebern dokumentiert, dessen rund 1000 Grabsteine zwischen 2007 und 2009 von der Realschule Ebern unter der Leitung der Lehrkräfte Christian Fackler und Helmut Eller dokumentiert wurden.
So ist die Freude des „Hauses der Geschichte“ in Augsburg zu verstehen, dass für einen gesamten Landkreis in Unterfranken eine Dokumentation der Friedhöfe vorliegt. Im Lauf des Jahres 2010 soll sie ins Internet gestellt werden und kann dann von Familien in aller Welt gelesen werden.
Ergänzt wurden die Dokumentationen des Landkreises Haßberge durch eine Dokumentation von zwei jüdischen Friedhöfen der Nachbarkreise Rhön-Grabfeld und Schweinfurt: der Friedhöfe in Sulzdorf an der Lederhecke und Oberlauringen.
Doch wer waren die Freiwilligen, die sich für das Projekt Zeit genommen haben? Die mit Geduld und Ausdauer alle Grabsteine fotografiert und dokumentiert haben? Es waren keine hoch dotierten Wissenschaftler, sondern Schüler und andere Bürger.
Für die Schüler war die Arbeit auf dem Friedhof eine Begegnung mit einer anderen Religion und der Vergangenheit in den kleinen Dörfern und Gemeinden, wo die jüdischen Einwohner bis zu ihrer Vertreibung und Ermordung lebten. Denn auf den Grabsteinen fanden die Schüler die Namen der jüdischen Familien und die Namen ihrer eigenen Heimatorte wieder.
Das Ergebnis der Arbeit war und ist wichtig für die Heimat- und Familiengeschichte der Region. Als erste Kommune im Landkreis signalisierte damals die Gemeinde Riedbach ihre Bereitschaft, die Dokumentation finanziell zu unterstützen. Die anderen Kommunen folgten. Mit der Dokumentation des jüdischen Friedhofs in Kleinsteinach, Zentralfriedhof für den Haßfurter Bezirk und Verbandsfriedhof, begann das Projekt. Die Hauptschule Hofheim mit ihren Lehrern Herbert Dietz und Rüdiger Reining dokumentierte die rund 1004 Grabsteine des neuen Teils. Der jüdische Friedhof in Kleinsteinach, nach unbestätigter Quelle im Jahr 1453 angelegt, hatte im alten und neuen Teil zwischen 1100 und 1200 Grabsteinen. Die etwa 300 Steine des alten Teils stehen für eine Dokumentation noch offen.
Der jüdische Friedhof in Limbach mit 154 Grabsteinen und im Jahr 1714 für die Orte Ebelsbach, Eltmann, Knetzgau angelegt – Limbach hatte nie eine jüdische Gemeinde –, dokumentierte die Hauptschule Ebelsbach im Jahr 1988 mit den Lehrkräften Herbert Roller und Dieter Kraft. Die politische Gemeinde Ebelsbach finanzierte eine Kopie der Dokumentation für den Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden in München. Den jüdischen Friedhof in Ermershausen, angelegt im Jahr 1830 für die Orte Ermershausen und Maroldsweisach mit mehr als 220 Grabsteinen dokumentierte die Hauptschule Maroldsweisach im Jahr 1989. Im November 2009 übergaben Schüler der Realschule Ebern letztlich die Dokumentation des jüdischen Friedhofs in Ebern, ebenfalls ein Verbandsfriedhof, der Öffentlichkeit. Alle Schulen erstellten zugleich einen Lageplan des jeweiligen Friedhofs.
Und auch andere Bürger waren aktiv: Zwischen 1989 und 1992 fotografierte Heidi Flachsenberger aus Burgpreppach den jüdischen Friedhof in Burgpreppach, angelegt im Jahr 1708, mit seinen fast 400 Grabsteinen. Katrin Remmele aus Fabrikschleichach fotografierte zwischen 1989 und 1991 die 119 Grabsteine des 1832 angelegten jüdischen Friedhofs in Schweinshaupten. Die Friedhöfe in Memmelsdorf, angelegt im Jahr 1832, mit 112 Grabsteinen und Untermerzbach, angelegt 1841, mit 52 Grabsteinen, dokumentierte das Ehepaar Wagner aus Haßfurt in den Jahren 1993 und 1994.
Bevor die israelitischen Kultusgemeinden in Ermershausen, Burgpreppach, Memmelsdorf, Schweinshaupten und Untermerzbach über eine eigene Begräbnisstätte verfügten, begruben sie ihre Toten auf dem jüdischen Friedhof in Ebern. Heute sind die Friedhöfe geschlossen. Sie unterstehen dem Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern. Um die Pflege und den Erhalt des jüdischen Friedhofs kümmern sich nach Absprache Menschen vor Ort – nicht im Sinne eines englischen Rasens, sondern im Sinne des Judentums, das eine eigentliche Grabpflege nicht kennt. Da im Judentum jeder Tote bis zum Jüngsten Tag sein Grab behält, darf ein Friedhof nicht eingeebnet werden und ist so ein Zeugnis vergangenen jüdischen Lebens und Kultur. Ein Grabstein symbolisiert im Judentum die Seele des Verstorbenen.
Die jüdischen Friedhöfe sind die letzten sichtbaren Zeugnisse der Menschen, die jahrhundertelang im Landkreis gelebt haben. Im Jahr 1936 sagte Arnold Zweig: „Zu den lächerlichen Unwahrheiten, die die Juden über sich verbreiten lassen, gehört die Rede vom Wandervolk der Juden. Ließe man sie einmal in Ruhe, sie gingen nicht mehr vom Fleck. Wo die Gräber ihrer Vorfahren sind, da spüren sie ihre Wurzeln, da sind sie zu Hause.“