Das Hochgefühl währt nur kurz. Anfang September flimmert eine Ausgabe der "Abendschau" des Bayerischen Fernsehens über Hunderttausende Bildschirme, Thema sind die bayerischen Corona-Hotspots. Auch der Landkreis Rhön-Grabfeld ist dabei - als erfreuliches Gegenbeispiel. Sieben-Tage-Inzidenz: null. Gar keine neuen Infektionen innerhalb einer Woche, quasi eine Auszeichnung. Kurz darauf ist die Grafik der Abendschau Geschichte.
Am 16. September wird beim täglichen Status-Update zwar ein neuer Corona-Fall im nördlichsten Landkreis Unterfrankens gemeldet, doch Rhön-Grabfeld bleibt im hellgrünen Bereich. Dann kommt das Wochenende, das sich bei Bad Königshofens Bürgermeister Thomas Helbling als das bisher Schlimmste des Corona-Jahres 2020 eingebrannt haben dürfte. Am Samstag, 19. September, wird Helbling von der zuständigen Ärztin des Gesundheitsamtes informiert, dass sich auf einer Hochzeit bei Bad Königshofen 17 Gäste infiziert hätten, insgesamt seien 25 Neuinfektionen bestätigt worden.
Eine Schreckensnachricht für den Bürgermeister der Kurstadt, die nach schwierigen Monaten Schritt für Schritt wieder in einen lebbaren Modus kommen will mit Kurgästen, Thermen-Besuchern und Wohnmobilisten. Seit März hat es kaum Infektionen in der 7000-Einwohner-Stadt gegeben.

"Das Schlimmste, was nun passieren kann, wäre ein Lockdown für die Stadt", diktiert der sorgenvolle Bürgermeister aus dem Urlaub in die Notizblöcke der Journalisten. Und schickt noch am Wochenende eine Warn-Info an die Mitglieder des Stadtrates los. Schnell geht die Information heraus, dass einige Schulen im Altlandkreis Bad Königshofen geschlossen bleiben. Gleich zu Wochenbeginn werden rund 500 Personen getestet, Hochzeitsgäste und vor allem Kontaktpersonen dieser Gruppe. Sie müssen die Teststation des Landkreises in Heustreu anfahren, deren Betrieb auch durch Bundeswehrsoldaten sichergestellt wird.
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Was den Verantwortlichen im Gesundheitsamt große Sorgen macht: Auch bei jungen Infizierten wird ein schwerer Verlauf der Corona-Infektion beobachtet. Die Amtsleitung empfiehlt am Montagabend, alle Schulen und Kindergärten im Bereich der Stadt zu schließen. Bad Königshofen ist damit die erste Stadt in Bayern, die sich nach Ende der Sommerferien zu diesem Schritt entschließt. Hinzu kommt ein Besuchsverbot in den Alten- und Pflegeheimen im Stadtgebiet. Am Donnerstag, 24. September, testen Beauftragte des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) am Gymnasium Schüler aller weiterführenden Schulen.
Den kritischen Inzidenzwert einen Tag lang überschritten
Was sich zum Ende der Woche hin angedeutet hat, wird am Samstag, 26. September, Gewissheit. Rhön-Grabfeld hat mit 54 den kritischen Sieben-Tage-Inzidenz-Wert überschritten. Der Landkreis gilt damit als einer von vier Corona-Hotspots in Deutschland. Immerhin: Einen Tag später liegt der Landkreis mit 38,9 schon wieder unter der Hotspot-Marke.

Dennoch muss das Landratsamt reagieren und erlässt noch am Sonntag, 27. September, eine Allgemeinverordnung mit Einschränkungen: Maskenpflicht im Schulunterricht, eine maximale Gruppengröße von fünf Personen in öffentlichen Räumen, auch in Gaststätten. Bad Neustadts Bürgermeister Michael Werner besucht an einem Abend 53 Gaststätten, um das Anschreiben des Landratsamtes persönlich zu überbringen.
Die maximale Größe von privaten Feiern in Innenräumen darf 25 Personen nicht überschreiten. Ins Rotieren kommen auch die Sportfunktionäre und Spieler im Landkreis. Beim Bezirksoberligisten HSC Bad Neustadt II gelten zwei Spieler als Kontakpersonen, der Handball-Spielplan gerät durcheinander.

Die Maskenpflicht im Unterricht wird schnell wieder aufgehoben, als weitere Test-Ergebnisse feststehen, aber die übrigen Beschränkungen gelten weiter. Landrat Thomas Habermann und sein Team bewegen sich in einem "Spannungsfeld zwischen Infektionsgeschehen und Alltagsleben". Der Landrat sieht die Wochen im Nachhinein als heilsame Übung an im Umgang mit dem Inzidenzwert: "Wir sind praktisch fit gemacht worden für den Herbst."

Die Beschränkungen durch das Landratsamt werden bis 10. Oktober verlängert, weil sich das Infektionsgeschehen immer entlang des Warn-Wertes bewegt. Anfang Oktober wird öffentlich, dass die besagte Hochzeitsfeierlichkeit im Grabfeld nicht der einzige Infektionsherd im Landkreis ist. Rhön-Grabfelds Lebenshilfe-Chef Jens Fuhl bestätigt, dass einen zweiten Schwerpunkt gibt: die Wohnstätte der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung in Mellrichstadt.
Von den 25 Bewohnern sind zum 1. Oktober 22 positiv auf Corona getestet, außerdem Mitarbeiter. Die Lebenshilfe-Mitarbeiter haben eine Herkulesaufgabe zu bewältigen, bis heute müssen sie ihre Schützlinge in Schutzanzügen betreuen und verpflegen. "Für unsere autistischen Bewohner ist es brutal, da sie ihre gewohnten, gleichen Abläufe brauchen", sagt Jens Fuhl. Am Freitag, 16. Oktober, muss er den Tod eines infizierten Heimbewohners vermelden.

Gut eine Woche braucht der Landkreis noch, um sich sozusagen statistisch von den beiden Infektionsherden zu erholen und in der Sieben-Tage-Inzidenz wieder auf unproblematischere Werte zu sinken. Am 11. Oktober um Mitternacht hebt das Landratsamt die Allgemeinverfügung auf, empfiehlt aber weiter, private Feiern nur mit maximal 25 Personen abzuhalten.
Am Montag, 19. Oktober, sind 52 Personen als aktuell infiziert gemeldet, die Inzidenz liegt bei 11,3. 324 Corona-Infizierte sind seit März in Rhön-Grabfeld gezählt, neun Infektionen endeten tödlich. Die meisten Infektionen gibt es in der Altersgruppe zwischen 15 und 59 Jahren. Mit 63 Infektionen ist die Gruppe der Frauen zwischen 15 und 34 Jahren die größte, 55 Männer zwischen 35 und 59 Jahren bilden die zweitgrößte Gruppe.
