Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Schweinfurt
Icon Pfeil nach unten
Landkreis Schweinfurt
Icon Pfeil nach unten

Grafenrheinfeld: 242 "Störfälle" in 33 Jahren: Wie sicher war das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld?

Grafenrheinfeld

242 "Störfälle" in 33 Jahren: Wie sicher war das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld?

    • |
    • |
    So kannten die Menschen  33 Jahre lang das AKW Grafenrheinfeld: Dampfschwaden aus den Kühltürmen zeigten an, dass die Anlage Strom produziert. Wie sicher das geschah, war immer wieder Inhalt von Diskussionen.
    So kannten die Menschen  33 Jahre lang das AKW Grafenrheinfeld: Dampfschwaden aus den Kühltürmen zeigten an, dass die Anlage Strom produziert. Wie sicher das geschah, war immer wieder Inhalt von Diskussionen. Foto: Josef Lamber

    Seit über neun Jahren produziert das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld (KKG) keinen Strom mehr. In den 33 Jahren des Betriebs war die Anlage von den Atomkraftgegnerinnen und -gegnern aus der Region immer streng beäugt worden. Vor allem wegen der Sicherheit. 242 „meldepflichtige Ereignisse“ (Amtsdeutsch) oder „Störfälle“ (Kritiker-Sprache) sind für das KKG registriert. Wie sicher war die Anlage wirklich?

    Ein wichtiger Indikator ist die behördliche Überwachung, die in Bayern das Umweltministerium vornimmt und an das die Betreiber Vorfälle melden müssen. Diese Daten fließen in die Statistik des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base) ein.

    Störmeldungen in den niedrigsten Meldestufen

    Welche Kriterien gelten für die sogenannten "meldepflichtigen Ereignisse"? Es gibt zwei Kategorien: eine deutsche und eine internationale. Nach bundesdeutschem Recht werden die Störungen des laufenden Betriebs je nach Schwere in Normalmeldung (N; innerhalb von fünf Tagen), Eilmeldung (E; innerhalb von 24 Stunden) und Sofortmeldung (S; unverzüglich) eingeordnet. 1986 hat diese Skala die bisherigen Kategorien C bis A abgelöst.

    undefined

    Auf internationaler Ebene sind die Vorfälle in der Bewertungsskala INES aufgelistet. Die startet mit der Stufe 0, in der man keine oder sehr geringe Auswirkungen für die Sicherheit des Kraftwerks annimmt, und geht über zur Stufe 1, die als "Störung" klassifiziert ist, wenn es Abweichungen von den zulässigen Bereichen für den sicheren Betrieb der Anlage gibt. Stufe 2 beschreibt einen "Störfall", bei dem Sicherheitsvorkehrungen ausfallen oder Personal hoher Strahlung ausgesetzt ist. Vom "ernsten Störfall" der Stufe 3 reicht die Einordnung über den "Unfall" (4) bis zur Stufe 7, dem "katastrophalen Unfall", dem die verheerenden Unglücke von Tschernobyl und Fukushima zuzurechnen sind.

    Störfall ist nicht gleich Störfall: Es gelten unterschiedliche Bewertungen

    Allerdings sind die Anforderungen an die deutsche und internationale Klassifizierung nicht deckungsgleich, wie das Beispiel Grafenrheinfeld zeigt. 2000 entdeckte man in den Führungsbuchsen von fünf der acht Sicherheitsventile Roststellen; der Bericht des Bundesamtes für Strahlenschutz geht davon aus, dass die Ventile – alle acht wurden ausgetauscht – dennoch funktioniert hätten. Nach deutschem Recht hatte der Vorfall keine Eil-, sondern eine Normalmeldung erfordert; international ist er auf Stufe 1 eingeordnet, weil mehrere Komponenten mit gleicher Sicherheitsfunktion betroffen waren.

    In Deutschland erreichten nach der Base-Auflistung als Maximum drei Vorfälle die Stufe 2. In Grafenrheinfeld betrafen die allermeisten Fälle die niedrigste Meldestufe und häuften sich vor allem in den Anfangsjahren. Nach altem System gab es acht höherstufige B-Meldungen, ab 1986 zwei der E-Kategorie. Die jüngste stammt aus dem Jahr 2007, bei der der Reaktor nicht abgeschaltet wurde; eine weitere E-Meldung gab es 1989, als ein Sicherheitsventil seinen Dienst versagt hat. Mit 242 Meldungen (davon sieben nach der Abschaltung 2015) liegt das KKG im Mittelfeld der atomaren Kraftwerke in Deutschland. Insgesamt sind für alle deutschen Atomanlagen über 6600 Meldungen dokumentiert. Jedes westdeutsche Atomkraftwerk hatte zwischen 110 und 530 Vorkommnisse.

    80 Meter lang ist ein Banner aus gefärbten Bettlaken, auf dem die Atomkraftgegnerinnen und -gegner aus der Region die "Störfälle" im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld aufgelistet haben.
    80 Meter lang ist ein Banner aus gefärbten Bettlaken, auf dem die Atomkraftgegnerinnen und -gegner aus der Region die "Störfälle" im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld aufgelistet haben. Foto: Martina Müller

    Betreiber verwies stets auf hohe Sicherheitsstandards

    In der Betriebsphase hat der damalige Betreiber Eon periodische Sicherheitschecks 1998 und 2008 sowie vier internationale Prüfungen genannt, die die Sicherheit nachgewiesen hätten. Auch die Investitionen in Notfallpumpen und zusätzliche Notstromaggregate zählte für die Kraftwerksleitung zu den Maßnahmen für eine verbesserte Sicherheit. Ebenso gab es bei der jährlichen Revision, für die das Werk für etwa vier Wochen abgeschaltet worden ist, Sicherheitstests.

    Dagegen ist ausgerechnet das Problem, das bundesweit die größten Schlagzeilen über den Grafenrheinfelder Meiler erzeugt hat, nur in Kategorie N und auf Stufe 0 eingereiht: 2010 entdeckte man einen Riss an einem Rohrstück des Primärkreislaufs, der möglicherweise schon in den Anfangsjahren des Betriebs entstanden sein könnte. Experten und Betreiber waren damals der Ansicht, dass der Weiterbetrieb ungefährlich sei; das Rohr ist erst Monate später bei der Jahresrevision ausgewechselt worden. Kritiker dagegen äußerten, dass es unverantwortlich gewesen sei, die Anlage nicht sofort abzuschalten, um das Rohr auszutauschen.

    Bürgerinitiative betreibt eigene Messstationen

    Das hat auch den Argwohn der Schweinfurter Anti-Atom-Szene geschürt. Sie machte aus ihren Zweifeln an der Sicherheit nie ein Hehl und protestiert bis heute öffentlichkeitswirksam. Jeder „Störfall“ seit Inbetriebnahme 1982 haben die Gegnerinnen und Gegner auf einem aus Bettlaken zusammengenähten Banner verewigt. Es wirkt imposant, ist 80 Meter lang und wiegt zehn Kilogramm. Sorge bereiteten der hiesigen BA-BI besonders die sieben Schnellabschaltungen, die es nach der eigenen Dokumentation der Anti-Atom-Bürgerinitiative in der Betriebsphase gegeben hat.

    Auffälligkeiten bei der Verladung von Castor-Behältern

    Die Bürgeraktion Müll und Umwelt betreibt seit über 20 Jahren ein eigenes Datennetzwerk für Gamma-Strahlung in der Region, um austretende Radioaktivität aus dem KKG registrieren zu können. Die nächstgelegene Messtation steht nur wenige hundert Meter neben dem KKG auf dem Gelände der Kläranlage Bergrheinfeld. Alarm geschlagen hat die Initiative nie, aber sie hat bei den 2006 eingestellten Verladungen von Atommüll-Behältern (Castoren) am Bahnhof Gochsheim gemessen und 1996 eine deutlich erhöhte Strahlung über dem Grenzwert festgestellt.

    Bei einer Castor-Verladung am Bahnhof in Gochsheim hat die Bürgeraktion Müll und Umwelt 1996 erhöhte Radioaktivität gemessen (Archivfoto).
    Bei einer Castor-Verladung am Bahnhof in Gochsheim hat die Bürgeraktion Müll und Umwelt 1996 erhöhte Radioaktivität gemessen (Archivfoto). Foto: Waltraud Fuchs-Mauder

    Die Strahlenthematik war auch Teil einer Studie des Bundesamts für Strahlenschutz, die erhöhte Krebsraten bei Kindern rund um bayerischen AKW, also auch Grafenrheinfeld, festgestellt hat. Die Forschungsergebnisse sind allerdings umstritten.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden