Der Begriff Achtsamkeit ist in aller Munde und füllt nicht nur die Seiten der Bunten Blätter. Doch Achtsamkeit ist mehr als eine bloße Wellness-Methode. Das zeigte Stefanie Holzheimer, Diplompsychologin und Verhaltenstherapeutin in der Klinik für Psychosomatik im Leopoldina, überzeugend beim Arzt-Patienten-Seminar "Achtsamkeit". Dabei hielt sich die Referentin nicht lange mit theoretischen Fragen auf, sondern funktionierte den eher kleinen interessierten Zuhörerkreis durch zusätzliche Übungen zu einer lebendigen Therapie-Stunde um.
Achtsamkeit ist ein wirksames Therapiekonzept in der psychosomatischen Medizin. Nach Holzheimer beschreibt Achtsamkeit einmal eine Lenkung der Aufmerksamkeit auf den aktuellen Moment, das "Hier und Jetzt", das durch eine offene und wohlwollende Haltung begleitet wird. Daneben bedeutet Achtsamkeit eine Wahrnehmung, ohne zu bewerten oder zu urteilen: Nicht "gut" oder "schlecht", sondern es ist, wie es gerade eben ist, und ich nehme es so an. Doch dieses Akzeptieren bedeutet nicht, alles gut zu heißen oder toll zu finden – aber es entspannt und gibt ein Stück Ruhe. Holzheimer macht darauf aufmerksam, dass im Alltag schnelle Unterscheidungen zwischen gut und schlecht sehr wohl wichtig, ja lebenswichtig seien.
Rückfallprophylaxe bei Depressionen
Achtsamkeit hilft auch bei der Unterbrechung von Grübelgedanken, beim Genießen des Moments, bei der Orientierung, und sie lässt Abstand gewinnen bei überflutenden quälenden Erinnerungen. Außerdem bildet sie eine gewisse Rückfallprophylaxe bei Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen. "Achtsamkeit kann uns helfen, entspannter, offener und wohlwollender mit belastenden Gefühlen umzugehen", sagt Holzheimer. Gefühle wie Angst, Traurigkeit, Ärger, Liebe, Scham, Schuldgefühle, Ekel würden oft als "Krankheiten" betrachtet, die wir möglichst schnell weg haben wollen. Doch Gefühle seien wichtige Signale unseres Körpers, die Achtsamkeit und Wahrnehmung fördern, um zu erkennen, was wir als nächstes tun können.
So verwundert es nicht, dass diese Neuorientierung Achtsamkeit sich für alle in der Schweinfurter Klinik behandelten Problembereiche als hilfreich erwiesen hat: 1. Körperliche Schmerzen, für die die Ärzte trotz erfolgter Untersuchung keine (ausreichende) Erklärung finden. Man hört dann häufig: "Sie haben nichts", was die Beschwerden jedoch nicht verschwinden lässt. 2. Chronische Schmerzen, die durch Schmerzmedikamente nicht gelindert werden können. 3. Burnout, Überforderung. 4. Psychische Belastungen durch körperliche Erkrankungen. 5. Depressionen und Angststörungen. 6. Psychische Reaktionen auf Krisensituationen.
Entspannungsübungen zur Minderung von Ängsten
Zwischen ihren Ausführungen animiert Psychologin Holzheimer ihre Zuhörer zum Mitmachen von kleinen Übungen. Als Einstieg sollen die Teilnehmer ein Landschaftsbild mit einem Baum im Vordergrund ausführlich beschreiben. In der "5-4-3-2-1"-Übung werden sie aufgefordert, je fünf Dinge, die sie sehen, hören oder spüren, zu benennen. Diese bewusst empfundenen Sinneswahrnehmungen helfen, quälende Gedanken loszulassen und in die Gegenwart zurückzukehren. Diese Entspannungsübung kann auch dazu beitragen, besser einzuschlafen und Ängste zu mindern.
Auch Atemübungen zur Achtsamkeit werden kurz erklärt und dann geübt: Augen schließen oder Punkt im Raum fixieren und den Atmen einfach kommen lassen. Herausfinden, wo er zu spüren ist: Brustkorb, Bauch, Nasenwände. Doch plötzlich schweifen die Gedanken ab, Schmerzen, Sorgen, innere Bilder, Erinnerungen, Träume. Fragen wie "Wie war das gestern?" oder "Was muss ich noch erledigen?" drängen sich in den Vordergrund. Solche Gedanken ruhig ziehen lassen, sofort zur Atmung zurückkehren, empfiehlt die Therapeutin.
Mit dem Bodyscan den Körper wahrnehmen
Eine zentrale Übung ist der Bodyscan, bei dem man systematisch mit der Aufmerksamkeit durch den Körper wandert, von den Zehen bis zum Kopf. Auch bei dieser Übung ist eine nicht wertende Wahrnehmung entscheidend: Missempfinden, Verspannungen oder Schmerzen sollten aus einer neutralen Beobachterposition wahrgenommen werden. "Die Schulter ist total verspannt, das linke Bein schmerzt – so fühlt sich das also an." Es geht um das Annehmen der gegenwärtigen Situation, was sich oft als erster Schritt zur Veränderung erweist. Die Erfahrung wächst, dass viele Gefühle, Gedanken und Körperempfindungen kommen und auch von allein wieder gehen, wenn man sie nicht festhält.
Achtsamkeitskurse bieten laut Holzheimer Krankenkassen oder die Volkshochschule an. Im Leopoldina-Krankenhaus wird eine stationäre psychosomatische Behandlung mit einer Dauer von sechs bis sieben Wochen angeboten. Interessenten dafür haben die Möglichkeit, jeden Freitag von 14 bis 15 Uhr – ohne Anmeldung – die Stationen kennen zu lernen und sich über die Behandlungsmöglichkeiten informieren zu lassen".
Hinweis: Klinik für Psychosomatik am Leopoldina-Krankenhaus, Tel. (09721) 720-3610, E-mail: psychosomatik@leopoldina.de