Das schrille Klingeln des Alarmtelefons geht durch Mark und Bein. Zwei Mal läutet es. Dann gehen die Piepser der Rettungsflieger los. Einsatz. Pilot Otto Hartmann springt auf. Sein Frühstücksbrötchen bleibt angebissen liegen. Rettungsassistent Ernst Freier hat sich gerade einen Kaffee eingegossen. Zum Trinken kommt er nicht. Er spurtet zum Telefon, spricht mit der Einsatzzentrale. Jetzt zählt jede Minute. Zusammen mit Notarzt Hermann Schröter rennt er zum Hubschrauber. Der Pilot hat die Systeme längst gecheckt. Alles ist startklar. Die Rotoren drehen sich. Christoph 18 hebt ab. Es ist 7.55 Uhr.
Frontalzusammenstoß bei Mondfeld, heißt es über Funk. Mehrere Verletzte. Das ist alles, was Notarzt Schröter erfährt. Etwa 30 Flugmeilen, also 54 Kilometer, sind es bis zum Unfallort westlich von Wertheim. Für den Hubschrauber ein Katzensprung. In elf Minuten ist er vor Ort. Ein Auto hätte die fünffache Zeit benötigt. Schröter verschafft sich einen Überblick. Den 22 Jahre alten Beifahrer hat es schwer erwischt. Er wird ins Zentrum für operative Medizin ZOM der Würzburger Uni-Klinik geflogen.
Um 9.05 Uhr landet die Crew wieder in Ochsenfurt. „Christoph 18 ist daheim“, funkt Erwin Freier an die Leitstelle. Die Besatzung hat jetzt erst mal Papierkram zu erledigen. Rettungsassistent Freier öffnet die Post. Ein Motorradfahrer bedankt sich bei den Fliegern. „Dank Ihrer Hilfe kann ich im August meine Ehefrau auf den Philippinen besuchen“, schreibt er. Dem kräftigen Rettungsassistenten huscht ein Lächeln über die Lippen. „So etwas ist selten“, sagt er. Kurz denkt er an die vielen Motorradunfälle, bei denen jede Hilfe zu spät kam. Erst gestern wurden seine Kollegen zu zwei Unfällen gerufen. Ein Motorradfahrer starb, der andere war schwer verletzt. Freier schüttelt den Kopf. „Ne, nur nicht drüber nachdenken“, seufzt er und richtet sich auf.
Wieder schlagen die Piepser Alarm. Herzinfarkt in Eibelstadt. Otto Hartmann setzt den Hubschrauber der Deutschen Rettungsflugwacht wenige Minuten später sanft neben den Stadtmauern auf. Nur die Adresse stimmt nicht. Jetzt müssen die Retter zusehen, wie sie zum Patienten kommen. Da kommt ein Feuerwehrauto um die Ecke. Die Eibelstadter haben Christoph 18 landen sehen. Mit Martinshorn bringen sie Notarzt und Rettungsassistent zum Einsatzort. Dem Herzinfarkt-Patienten geht es schlecht. Mit dem Hubschrauber kann er auf keinen Fall in die Uni-Klinik transportiert werden. Notarzt Schröter entscheidet sich für einen Transport mit dem Rettungswagen. Eine halbe Stunde später treffen sich alle wieder auf dem Dach des ZOM in Würzburg.
„Man muss abschalten können. Sonst hält man das nicht lange aus.“
Pilot Otto Hartmann
Eile ist angesagt. Am Waldrand in Leinach ist ein Landwirt verunglückt. Otto Hartmann findet die Unfallstelle schnell. Das Landen wird schwierig. Überall Stromleitungen. Manche heben sich kaum von den braunen Feldern ab. Eine Herausforderung für Pilot und Rettungsassistent. Ernst Freier hat, wie die anderen fünf Sanitäter, die an der DRF-Station in Ochsenfurt abwechselnd Dienst verrichten, eine Zusatzqualifikation zum Herms-Crew-Member. Das bedeutet, dass er den Piloten bei Navigation und Luftraumbeobachtung unterstützen kann.
Alles geht glatt. Hartmann setzt den rot-weißen Helikopter sicher ins hohe Gras. Sofort kontrolliert er, ob Stroh oder Heu ins 600-PS-starke Triebwerk gekommen ist. Schröter und Freier kümmern sich derweil um das Unfallopfer. Der Mann ist mit seinem Traktor auf nassem Gras einen steilen Hang hinabgerutscht. Der Schlepper ist umgekippt und hat dabei den Fahrer überrollt. Ein Notarzt aus Karlstadt und Ersthelfer der Leinacher Feuerwehr sind vor Ort. Es steht schlecht um den Landwirt. Die beiden Ärzte tun alles, um ihn zu stabilisieren. Sie schaffen es. Der Mann wird ins ZOM geflogen.
30 Minuten später landen die Rettungsflieger wieder in Ochsenfurt. Otto Hartmann isst sein Frühstücksbrötchen, Ernst Freier schüttet den kalten Kaffee weg. Freier ist von Anfang an mit Christoph 18 unterwegs. Viele Erlebnisse hat er verdrängt. „Das muss man“, sagt er. „Sonst geht man kaputt.“ Nur eine Situation kann er nicht aus seinem Gedächtnis schieben. „Das Härteste, was ich bisher erlebt habe, war ein Hubschrauberabsturz“, sagt er und sofort sind die Bilder wieder präsent. Es war 1985 bei Dettelbach: Beim Starten wird so viel Staub aufgewirbelt, dass kaum etwas zu sehen ist. Der Heckrotor bleibt an einem Brückenpfeiler hängen. Der Hubschrauber stürzt ab, rutscht auf die Seite, fängt an zu brennen. Alle Besatzungsmitglieder bleiben unverletzt. Jetzt gilt es, den Patienten – es ist ein Kind – zu retten. „Bis dahin war bei mir noch alles okay“, sagt Freier. „Als das Kind schließlich im Rettungswagen lag, sind mir die Beine weggebrochen. Am nächsten Tag habe ich mich gefühlt, als hätte mich ein Panzer überrollt“, erzählt er. Eine Woche ist er nicht geflogen. Dann hat's ihn wieder gepackt.
Es ist still im Raum. Nur der Funkverkehr aus dem Zimmer nebenan ist zu hören. Wie halten die Rettungsflieger das nur aus? Tagtäglich werden sie mit dem Schlimmsten konfrontiert. „Kinder“, sagt der Pilot. Er stockt, setzt noch mal an. „Unfälle mit Kindern, gerade wenn man selbst welche hat, gehen unter die Haut“, fährt er fort. Notarzt Schröter nickt. Er hat drei Kinder. „Es ist gut, dass wir eine kleine Gruppe sind. Da können wir drüber reden“, sagt Schröter. Und Pilot Otto Hartmann hat schon mehrmals überlegt, ob er denn nicht zu abgebrüht ist, weil er manch schlimme Dinge nicht an sich ranlässt. „Man muss abschalten können. Sonst hält man das nicht lange aus“, sagt er. Es funktioniert aber nicht immer.
Noch fünf Mal wird Christoph 18 an diesem Tag gerufen. Kurz nach Sonnenuntergang wird der Hubschrauber in die Halle gefahren. „Christoph 18 geht jetzt schlafen“, lächelt der Pilot. Und nach 15 Stunden gehen auch die Männer in den Feierabend.