„Ein herzliches Grüß Gott!“, und das mit leicht bayerischer Färbung, ruft Hassan Ali Djan den vielen Menschen zu, die sich in der Vesperkirche St. Johannis versammelt haben. Er freue sich, ein Stück seiner Geschichte, seine Erlebnisse erzählen zu dürfen. Dazu gehört seine Kindheit in Afghanistan in einer großen Familie, der frühe Tod des Vaters, der den damals Elfjährigen zum Ernährer von Mutter und sechs Geschwistern macht.
Dazu gehören aber auch die Jahre, die er fern von seiner Familie auf einer Baustelle im Iran verbringt. „Du bist meine Hoffnung“, hat die Mutter gesagt, als der Junge seine Heimat verlässt. Alle Emotionen dabei beiseite zu schieben, fällt ihm nicht leicht, aber für die Zukunft seiner Familie muss er einen Weg auf sich nehmen, der ihn vier Jahre später über Griechenland und die Türkei nach Deutschland führen wird: 48 Stunden hat der letzte Teil seiner Flucht gedauert; dabei war er in einem Ersatzreifen eines Lastwagens versteckt: „Tot bin ich also nicht“, sagt der damals 16-Jährige, als die Reise zu Ende ist.
In seinem Buch „Afghanistan. München. Ich.“ (Ko-Autorin: Veronica Frenzel) berichtet der heute 26-Jährige über seine Ankunft als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling ohne Deutschkenntnisse und ohne Perspektiven.
Die ersten Tage nach der Flucht
Bei seiner Lesung in der Schweinfurter Johanniskirche liest er zunächst mehrere Passagen daraus, liest über sein Ankommen in der Erstaufnahme in München, die Einkleidung, die Unsicherheit, die einschüchternden behördlichen Abläufe, das unendliche Warten. „Anfangs ist man zwar körperlich, aber nicht geistig angekommen“, blickt er zurück. Individuelle Fluchterlebnisse gilt es zu verarbeiten, dabei ist persönliche Ansprache mindestens so wichtig wie die Versorgung mit Kleidung oder Essen.
Der Jugendliche macht noch in der Erstaufnahme den Versuch, in einem Sprachkurs unterzukommen, dann landet er in einer Wohngruppe für Minderjährige. Eine Ehrenamtliche wird seine Patin, kümmert sich intensiv, lernt mit ihm nicht nur Deutsch, sondern macht ihn auch mit Umgangsformen vertraut. „Dieses Land gibt mir eine Chance“, wird Hassan klar.
Ali Djan erwies sich in der auf die Lesung folgenden, höchst spannenden Fragerunde als selbstbewusster, überlegter und lebenskluger Diskussionspartner auf hohem intellektuellem Niveau. Die Familie sei für ihn Antrieb, sein Leben noch besser zu gestalten: Allen Geschwistern hat er inzwischen eine Schul- oder Universitätsausbildung ermöglicht.
Heute hilft er anderen, in Deutschland anzukommen
In München hilft er nach Feierabend in einer Aufnahmeeinrichtung, erklärt den Flüchtlingen dort das Leben in Deutschland. Manche Einstellung gelte es dabei zu korrigieren, denn der Staat sei nicht einfach Zahlmeister: Die Arbeit aller Bürger finanziere über Steuern auch das Leben der Flüchtlinge.
Nichts ist selbstverständlich, Erfolg kommt nicht von selbst, sagt er den Neuankömmlingen in Deutschland. Er selbst habe großen Respekt vor der logistischen Leistung der Deutschen in der aktuellen Situation, ausdrücklich auch der Ehrenamtlichen, so Ali Djan, der auch schon den Integrationsbeauftragten der bayerischen Staatsregierung beraten hat. Mit seinen Vorträgen will er auch zur Aufklärung der Bevölkerung beitragen.
Großes Verbesserungspotenzial sieht er bei der Situation in den Aufnahmeeinrichtungen. Es brauche klare Strukturen, sagt er, man dürfe die ohnehin überforderten Flüchtlinge bei der Organisation ihres Alltags dort nicht sich selbst überlassen. Nur so könne ein konfliktfreies Zusammenleben unter schwierigsten Umständen ermöglicht werden.
Werte wie Demokratie, Respekt und Freiheit sind Hassan Ali Djan wichtig
Hassan Ali Djan hat inzwischen die deutsche und die afghanische Staatsbürgerschaft. „Ich denke und handle deutsch“, sagt er, sieht sich als vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft. Werte wie Demokratie, Respekt und Freiheit stellt er eindringlich in den Vordergrund, fordert rechtsnationales Gedankentum gar nicht erst entstehen zu lassen.
Die Frage nach dem Verhältnis von Koran und Grundgesetz meistert der Muslim souverän: Das eine regelt unabdingbar Gesetze und Rechte als Grundlage für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Religion sei dazu da, die Fragen des Menschen persönlich und in privatem Rahmen zu beantworten; ihre Ausübung dürfe nie die Rechte anderer verletzen.
Ali Djans Wunsch für die Zukunft: „Wie meine Kinder ihr Leben gestalten, soll besser sein als mein bisheriges Leben.“
Hassan Ali Djan / Veronica Frenzel
Afghanistan. München. Ich.
Herder 2015
ISBN: 978-3-451-31304-2