Noch im Sommer hatte eine Analyse des Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos im Auftrag der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) ergeben, dass in Unterfranken bis 2035 fast 86.500 Arbeitskräfte fehlen werden. Auch in Schweinfurt klagen Betriebe, Behörden und soziale Einrichtungen immer lauter über unbesetzte Ausbildungsplätze und offene Stellen. Doch der Fachkräftemangel ist nicht das einzige Problem, unter dem der Arbeitsmarkt derzeit leidet.
Bei seinem Besuch des Zukunftsdialogs im Konferenzzentrum hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag eine ganze Stange an Ängsten und Nöten von den Schweinfurterinnen und Schweinfurtern zu hören bekommen.

Und auch der Minister äußerte klare Botschaften zu den aktuellen Entwicklungen und Problemen, die seine Gäste ihm dankbar abnahmen. "Ich bin hier, um mit Ihnen zu diskutieren, was wir, Gesellschaft, Staat, Wirtschaft auch tun müssen, damit wir diese große Aufgabe hinbekommen", erklärte Heil zu Beginn der Veranstaltung. Keine 20 Minuten später sitzt der Minister zusammen in kleiner Runde im Stuhlkreis auf einem Papphocker und hört erst mal zu.
Existenzsichernder Löhne und Wertschätzung
Ihm gegenüber sitzt Eva Wiechel, welche seit 20 Jahren bei SKF in Schweinfurt arbeitet. Ihr sei es wichtig, dass es in Unternehmen eine Tarifbindung gebe, erklärt sie. In der anschließenden Diskussion fallen weitere Wünsche wie Mitbestimmung, Wertschätzung, flexible Arbeitszeiten, Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit und familienfreundliche Arbeitsbedingungen.

Für den Betriebsratsvorsitzenden von Bosch Rexroth in Schweinfurt, Sebastian Schierling, steht das Thema Arbeitserhalt weit oben auf der Liste. "Wir machen uns große Sorgen bei der Abwanderung von Arbeitsplätzen", sagt er. Sein Unternehmen verkündete Anfang des Jahres den Abbau von 180 Stellen am Standort in Lohr am Main (Lkr. Main-Spessart).
Aus der Pflege kommt neben dem Wunsch nach einer existenzsichernden Entlohnung auch der nach einer Einführung eines Sozialen Jahres. "Es kommt nicht mehr viel junges Personal nach, weil diese Möglichkeit wegfällt", verdeutlicht Robert Scheuring. Auch über die berufliche Orientierung hinaus halte er diesen Schritt für wichtig, "um auch mal die andere Situation des Lebens kennenzulernen."

Aber auch die Betreuungssituation von Arbeitssuchenden ist ein Problem, wie Anke Rauder erzählt. Die gelernte Rettungsassistentin kann aufgrund einer benötigten medizinischen Behandlung eine entsprechende Weiterbildung nicht absolvieren und hat deshalb ihren Beruf verloren. "Jobcenter können Geld zum Kauf eines Autos für die Aufnahme einer Arbeit gewähren, [...] aber bei medizinischen Behandlungen gibt es das anscheinend nicht."
Gruppen nicht gegeneinander aufhetzen
Hubertus Heil hört den Menschen aufmerksam zu – wohl auch, weil ihn die aktuellen Entwicklungen und Debatten in Deutschland sichtlich beunruhigen. Doch der Minister kann auch deutliche Worte finden, vor allem in Bezug auf die derzeitige Bürgergeld-Debatte. "Wir haben im Moment eine Debatte, die so tut, als seien alle Bürgergeldempfänger [...] vor allem Leute, die nicht arbeiten wollen." Wenn man sich die Struktur jedoch ansehe, so der Minister, stelle man fest, dass viele Menschen Bürgergeld beziehen, obwohl sie arbeiten, in Rente oder erkrankt sind.
Es mache ihn sauer, wenn Politiker in ihren Reden Geringverdiener mit noch bedürftigeren Menschen ausspielen. Man müsse die Leute aus ihrer Bedürftigkeit herauszuholen, anstatt Gruppen gegeneinander aufzuhetzen.

Auch was die Tarifverträge betrifft, positioniert sich der Minister in der Debatte klar. "Bei den Tarifverträgen [...] haben wir in Deutschland eine Entwicklung, die in die falsche Richtung gelaufen ist." Dort, wo Tarifverträge bestehen, seien Arbeitsplätze nachweislich besser organisiert und die Rechte der Arbeitnehmer gesichert.
Heil für stärkere Tarifbindung und Betriebsräte
Um die Tarifbindung zu erhöhen, will der Minister öffentliche Aufträge des Bundes ab einer gewissen Summe nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben. "14 von 16 Bundesländern haben ein Tariftreuegesetz. In Bayern müssen wir noch daran arbeiten", sagt Heil. Zudem wolle er die Mitsprache von Mitarbeitenden in Form von Betriebs- oder Personalräten verbessern. "Es ist eine Minderheit der Beschäftigten, die eine Mitarbeitervertretung haben."

Das Problem: Beschäftigte, die von ihrem Arbeitgeber beim Gründen eines Betriebsrates behindert werden, trauen sich meist nicht, den Straftatbestand zur Anzeige zu bringen. "Deshalb werden wir im nächsten Jahr etwas ändern. Das Ganze wird von einem Antragsdelikt zu einem Offizialdelikt." Somit reiche der Staatsanwaltschaft die Kenntnis über derartige Verfehlungen, um mit Ermittlungen zu beginnen, so der Minister.
Viele der Besucherinnen und Besucher bedanken sich am Ende der Veranstaltung bei dem Minister persönlich für das Format. Der nimmt die Rückmeldungen des Abends dankend an: "Ich werde die Botschaft aus Schweinfurt nach Berlin tragen."
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos fälschlicherweise als "Umfrageinstitut" bezeichnet. Da Prognos keine Umfragen, sondern Analysen im Rahmen der Wirtschaftsforschung und Strategieberatung durchführt, haben wir diese Bezeichnung korrigiert. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.