In Begleitung von Julia Stürmer-Hawlitschek wird ein Besuch im Alten Friedhof zu einer hochinteressanten Geschichtsstunde. Sie kennt alle dort beerdigten Persönlichkeiten, die Standorte ihrer letzten Ruhestätte, was deshalb von Bedeutung ist, weil viele Grabsteine so stark verwittert sind, dass man keine Namen oder sonstige Hinweise auf die dort Beerdigten mehr entdecken kann. Eines dieser bis zur Unkenntlichkeit verwitterten Denkmale – an der Südmauer – ist das Grab der Familie Alberti, des um die Reichsstadt hochverdienten Stadtschreibers und Rechtsrates Adam Alberti (1535-1583) und seiner Frau Susanna, eine geborene Vogt und aus Kitzingen stammend.
Um sie rankt sich „eine Sage, die garantiert für Gänsehaut sorgt“, sagt Julia Stürmer-Hawlitschek. Die Schweinfurter Gymnasiallehrerin für Geschichte hat sich schon immer für die Historie ihrer Heimatstadt interessiert und profitiert davon auch in ihrem Beruf. Susanna war Albertis erste Frau. Sie starb – tatsächlich, muss man hier einschieben – am 8. Februar 1565. Kurz zuvor hatte sie ihr erstes Kind geboren, das aber bald nach der Geburt am 19. Januar 1565 gestorben war. Auf dem Grabstein wurde deshalb ein Wickelkind dargestellt, das zu Füßen der aufrecht stehenden Susanna am Boden liegt.

Auf dem immerfort dem Wetter ausgesetzten Stein ist von dieser Darstellung allerdings nichts mehr zu erkennen. Auch die Inschriften sind verwittert. An den Grabstein knüpft sich aber eine schaurige Sage. Susanna soll im Herbst 1564, wahrscheinlich in Folge der Pest, in einen Starrkrampf verfallen sein. Man hielt sie jedenfalls für tot. Weil es üblich war, Verstorbene aus vornehmen Häusern nachts zu bestatten, wurde auch die Gattin des Stadtschreibers in der Nacht bei Fackelschein in einer Gruft beigesetzt. Dabei bemerkte der Totengräber am Finger der tot geglaubten Frau einen wertvollen Ring. Als sich die Trauernden entfernt hatten, kehrte der Habgierige zurück, versuchte, den Ring vom Finger zu ziehen.

Aber so sehr er sich auch mühte, es gelang ihm nicht. Plötzlich soll sich Susanna jedoch im Sarg aufgerichtet haben. Jähes Entsetzen packte den Totengräber, der eilig von dem ihm unheimlichen Ort floh. Die wiedererwachte Susanna aber erhob sich, ergriff die Laterne des Totengräbers und schritt im langen, weißen Totenhemd vom Friedhof über den Marktplatz zur Hellersgasse. Im Eckhaus zum Markt war ihr Zuhause. Zitternd vor Frost zog sie an der Hausglocke. Die Magd schaute zum Fenster hinaus, glaubte, ein Gespenst zu sehen, weckte in ihrer Angst Adam Alberti, der sie zornig schalt, dümmer zu sein als seine Schimmel.

Plötzlich wurde es unten laut: Die Pferde des Alberti, die dieser für seine Dienstreisen benötigte, hatten sich wohl wegen des nächtlichen Glockenlärms im Stall losgerissen und waren in den Hausgang gelaufen. Nun erschrak auch Alberti, der beim Blick nach draußen seine weinend um Einlass flehende Frau erkannte. Voller Freude brachte der Gatte seine „auferstandene Frau“ zu Bett. Susanna erholte sich wieder, soll aber nach diesem grauenvollen Erlebnis nie mehr gelacht haben.
Rund 40 000 Menschen im Alten Friedhof beerdigt
Früher sei den Schulkindern am Gründonnerstag am Denkmal der Frau Alberti die Sage von der auferstandenen Frau erzählt worden, berichtet Hubert Gutermann im Büchlein Alt Schweinfurt – ohne näher darauf einzugehen, welchem Zweck das dienen sollte. Im Januar 1565 dann die geschilderte Geburt und Susanna Albertis tatsächlicher Tod am 8. Februar 1565. Sie wurde neben ihrem drei Wochen zuvor verschiedenen Kind im Alten Friedhof bestattet.

Der Friedhof war dereinst der Garten des 1363 bis 1365 an dieser Stelle gegründeten Karmelitenklosters. Es diente im Markgräfler-Krieg 1553/1554 als Geschützstellung, wurde schwer beschädigt, 1560 abgebaut und das Areal zum Leichenhof bestimmt. Um 1634/35, also während des Dreißigjährigen Kriegs (1618-1648), wurde er um einen Pestfriedhof erweitert. Bis 1874 war das Areal dann der Friedhof der Stadt Schweinfurt. Dieser hatte seinen Standort davor noch an der Sankt Johanniskirche.
Um die 40 000 Schweinfurter Bürger wurden im Alten Friedhof beerdigt, darunter eine ganze Reihe von Berühmtheiten. Julia Stürmer-Hawlitschek zählt auf: Johann Lorenz Bausch und Johann Michael Fehr, die ersten Präsidenten und Gründer der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina; die Eltern des Orientalisten Friedrich Rückert (1788-1866), Johann Adam (1763-1831) und Maria Barbara Rückert (1766-1835); auch Rückerts Schwester Maria Rückert (1810-1835) hat ihre letzte Ruhestätte im Alten Friedhof. Der Schweinfurter Rechtsanwalt und Historiker Dr. Friedrich Stein (1820-1905) ist hier beerdigt. Stark verwittert sind auch das Epitaph des Bürgermeisters Johann Hartlaub (1625-1684) und die Gedenktafel für den einstigen Gymnasialdirektor Johann Philipp Raßdörfer (1736-1802), allesamt Persönlichkeiten, an die die Stadt mit Straßennamen erinnert.

Im Alten Friedhof fanden bis in den Zweiten Weltkrieg hinein Beerdigungen statt. Danach wurde das Gelände zu einer Parkanlage umgestaltet, die aber irgendwie vergessen und vernachlässigt wurde. Erst 2009 entschloss sich die Stadt, die Anlage nach alten Plänen aus den Jahren 1806 und 1834 wiederherzustellen – in der Mitte ein Rondell, zu dem aus drei von ehemals vier Richtungen Wege führen. Alten Vorgaben entsprechend wurden Säulenhainbuchen gepflanzt. Die ebenfalls mit historischen Grabmälern bestückte Westmauer der Anlage endet heute in einem Wehrturm, dem so genannten „Jungfernkuss“. Das Ensemble ist Teil einer noch erhaltenen Turmanlage, die einst die Südwestecke der Schweinfurter Stadtmauer markierte. Im 16./17. Jahrhundert standen dort zwei Türme.
Zurück aber zum Alten Friedhof, dessen Umgestaltung Julia Stürmer- Hawlitschek „gut gelungen“ nennt. Was fehlt: „Die vielen verwitterten Grab- und Denkmale müssen wiederhergestellt werden, und wo das nicht mehr möglich ist, sollten erläuternde Tafeln mit Biografien oder jener Susanna-Sage aufgestellt werden“, sagt sie. Das war auch der Grund für eine 2016 in mühsamer Kleinarbeit gemeinsam mit Peter Hofmann erstellte Dokumentation Alter Friedhof. Um überhaupt noch etwas retten zu können, „darf keine Zeit mehr verloren gehen“, sagt Julia Stürmer-Hawlitschek.
So geht’s zum Grabstein:
Vom Marktplatz bis zur Heilig Geist-Kirche, direkt gegenüber liegt der Alte Friedhof. Der Grabstein befindet sich an der Südmauer nahe den Bahngleisen.
Das Buch „Schweinfurter Geheimnisse“ ist in Kooperation zwischen der Main-Post und dem Bast Medien Verlag erschienen. Das Buch (Hardcover) kostet 19,90 Euro, hat 192 Seiten und ist durchgehend bebildert. Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag: bestellungen@bast-medien.de (versandkostenfrei). ISBN: 978-3-946581-81-9