FC 05, Kufi, Sachs, SKF – vier Begriffe, die gerade in den 1960er Jahren im ganzen Land für Schweinfurt standen. Die drei Weltkonzerne mit damals allein 30 000 Beschäftigten und die grünweißen Fußballer erlebten in der ersten Hälfte der 1960er Jahre gleichermaßen Hoch-Zeiten. Damals waren Arbeiterstädte wie Schweinfurt noch Fußball-Hochburgen.
Von 1945 bis zur Gründung der Bundesliga 1963 spielten die Schnüdel im Konzert der Großen mit, in einer Süd-Liga mit den heutigen Bundesligisten Bayern München, Frankfurt, Stuttgart, Nürnberg, mit 1860 München, Fürth, Offenbach, Karlsruhe, Augsburg und Mannheim. Den Arbeitern wurde dank der „Unabsteigbaren“ nicht nur viel Abstiegskampf-Nervenkitzel, sondern auch großer Fußball mit jeder Menge Nationalspielern geboten, von Maxl Morlock über Helmut Haller bis zu den jungen Franz Beckenbauer und Gerd Müller.
Sonntägliches Ritual
Ganz so wie es die Unternehmenspolitik vorsah, nämlich den Arbeitern Fußballspektakel auf höchstem Niveau zu bieten, wie es aus einer Führungsetage hieß, „dies würde die Einstellung und Beziehung zum Betrieb steigern“.
Fußball gehörte deshalb alle zwei Wochen zum sonntäglichen Ritual, wenn die Fans in hellen Scharen durch die Niederwerrner Straße Richtung Stadion marschierten. Eine treue Fangemeinde entstand auch im Kissinger Raum bis zur Rhön hinauf. Wer nicht dabei sein konnte, saß vor dem Radioempfänger und hörte die markante Stimme der Reporterlegende Sammy Drechsel, für den stets der berühmte Stuhl dicht an der Seitenlinie bereitstand. Regelmäßig waren die 05er auch im Fernsehen präsent. In Schweinfurt musste der Hubschrauber vom Stadion-Nebenplatz Material und Reporter direkt nach Spielende ins Nürnberger Studio oder gar nach München fliegen, für die Kleinen stets eine besondere Attraktion.
Wie ausgestorben war die Stadt bei den Duellen gegen die deutschen Meisterteams jener Zeit aus Frankfurt, Nürnberg und 1860 München, die allesamt auch zu Europas Topteams gehörten. Zwischen 16 000 und 18 000 sorgten für Hexenkessel-Stimmung, und wenn im fränkischen Duell der Erzrivalen das Stadion alljährlich aus den Nähten platzte, waren auch die Bäume im weiten Rund des Willy-Sachs-Stadions begehrte Sitz- und Stehplätze.
Bis auf den Nürnberger „Club“ mussten besonders die Großen vor dem „prächtigen Schweinfurter Kampfgeist“ (Tagblatt) kapitulieren. So auch die Frankfurter Ballkünstler, die es immerhin bis ins Europacup-Endspiel geschafft hatten. „Nur gegen die Münchner Bayern mit den 19-jährigen Beckenbauer und Müller spielten wir völlig falsch und gingen 0:6 unter“, erinnert sich Werner Rumpel an die schwärzeste Stunde. Der Waigolshäuser bestritt von 1961 bis 1972 genau 386 Spiele im 05-Trikot, war als linker Läufer eine feste Größe, zuverlässig, zupackend und mit einer Riesenlunge ausgestattet. In nur einem halben Jahr schaffte er den Sprung von der A-Klasse in die Oberliga, „mit einer gesunden Einstellung und Leidenschaft, sich zu schinden.“
Möglich machten dies auch Kämpfernaturen wie Robert Gehling, Kalli Lang, Heinz Krämer, Gert Brunnhuber und all die anderen, die den legendären Schweinfurter Kampfgeist vorlebten. Für regen Nachschub sorgte eine starke A-Jugendmannschaft, aus der es Günter Bernard bis ins Tor der Nationalelf brachte, ehe er 1963 in die Bundesliga zu Werder Bremen wechselte. Seine Stärke bezog der FC 05 auch aus ehrgeizigen Spielern aus dem Umland. Es war eine bodenständige Mannschaft, die sich stets behauptete und mit der sich die Menschen identifizieren konnten.
„Schweinfurt war Fußballstadt“, sagt Rumpel, „was hatten die Leute damals schon anderes gehabt? Beim Gang durch die Stadt hat man überall den Stolz der Menschen gespürt.“ Auch viele Geschäftsleute seien begeisterte FC-Anhänger gewesen „und es gab immer mal eine Kleinigkeit, beim großen Fußballfan Otto Ditzel auch mal einen Anzug“.
Bei Kugelfischer, mit 11 000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber, war Werner Rumpel, zuletzt als Gruppenleiter in der Materialverwaltung, ein gefragter Mann. „Von früh bis abends wurde ich über Fußball angesprochen, alle fieberten mit uns. Wir Spieler haben viel Anerkennung bekommen.“ Freiräume wie später gab es noch nicht. „Wir hatten unsere 45 Stunden-Woche wie alle anderen und zum Training ging es zwei Mal erst nach Arbeitsende“, erzählt Rumpel.
Die Großindustrie stand hinter dem Verein und so waren fast alle Spieler beim Kufi und Sachs beschäftigt. Eine Arbeitsstelle schrieb das Vertragsspieler-Statut vor, den Profi gab es erst nach Einführung der Bundesliga, bei deren Einführung die 05er in der sportlichen Wertung chancenlos waren.
Großverdiener war keiner
„Die Firmen haben uns zu gleichen Teilen unterstützt, ohne diese Hilfe und Spenden von Gönnern hätte es Spitzenfußball so lange wohl nicht gegeben“, hebt der damalige Vertragsspieler-Obmann Heinrich Marschall hervor, was auch die stets geordnete Kassenlage erklärt. Um die 160 Mark gab es für die Spieler als Grundgehalt, dazu kamen die Punkteprämien. Im Meisterjahr 65/66 kamen da schon 800 Mark monatlich zusammen, schätzt Marschall.
Gerade wieder einmal dem Abstieg entronnen, rieben sich im Sommer 1965 die Fans die Augen, angesichts hochkarätiger Verstärkungen aus der Bundesliga, wie Schalke-Spielmacher Fred Berz und Club-Torjäger Kurt Dachlauer. Unter dem gleichfalls vom 1. FC Nürnberg gekommenen Trainer Gunter Baumann feierten Kapitän Rolf Kupfer und seine Teamgefährten rauschende Fußballfeste (33:1 Heimpunkte!), marschierten unaufhaltsam zur süddeutschen Regionalliga-Meisterschaft und zogen in die Aufstiegsrunde zur Bundesliga ein. Die ganze Region war elektrisiert. Szenen wie nach dem 2:1 im ersten Heimspiel über St. Pauli Hamburg hatte das Sachs-Stadion in seiner bald 75-jährigen Geschichte nicht wieder erlebt: An die 10 000 Fans strömten nach dem Abpfiff aufs Spielfeld und trugen ihre Helden vom Platz.
Doch die überall diskutierte Frage, ob sich Schweinfurt die Bundesliga wird leisten können – mit all den Neuerungen wie Profitum, Flutlicht, Stadionausbau – beantwortete eine Woche später die FC-Führung auf ihre Weise, als sie alle drei umworbenen Angriffs-Asse Berz, Rühr (beide hatten sich auch von der Mannschaft abgesetzt) sowie Publikumsliebling und Torjäger Rolf Schweighöfer sperrten, aufgrund Verhandlungen mit anderen Klubs.
Strenge Sitten
So streng waren die Sitten in Schweinfurt und die deutsche Boulevardpresse nahm sich des bizarren Falls nur zu gerne an. „Was immer die Vereinsoberen dabei gedacht haben, wir mussten das ausbaden. Wir wollten alle das Abenteuer Bundesliga live erleben und wir hatten es drauf. Die Mannschaft hat zwar mit tollem FC-Geist weiter gefightet, doch vorne fehlten die wichtigsten Spieler, die uns nach oben gebracht haben“, trauert Werner Rumpel der einmaligen Chance nach. Es habe auf beiden Seiten die Kompromissbereitschaft gefehlt. Trotzdem denkt Werner Rumpel heute an den Paradiesvogel Berz und „Fußball-Superhirn“ Gunter Baumann gerne zurück. „Sie haben uns wachgerüttelt und vieles vermittelt, was wir nicht kannten; das tat unserer provinziellen Denke richtig gut.“
Es waren bewegte, wilde Zeiten bei den Schnüdeln, von denen der immer noch drahtige, fitte 70-Jährige beim Gespräch in seinem Waigolshäuser Heim mit Vergnügen erzählt. Auch manche kurios-wunderliche Anekdote, wie jene von Ander Kupfer, als dieser als Trainer einsprang: „Bei ihm mussten wir vor dem Spiel warm duschen statt warmlaufen, dies mache nur die Kräfte kaputt, meinte er.“ Oder vom überraschenden Samstagabend-Besuch des Trainers Baumann mit Magnetspielfeld und Figuren. Erst wurde Peter Frankenfeld im Fernsehen geschaut, dann das sonntägliche Match auf dem Wohnzimmertisch durchgespielt, mit Erfolg. „Auswärts wurden wir oft als Bauern und Provinzler beschimpft, doch wenn sie zu uns mussten, hatten sie alle Respekt. Im Sachs-Stadion regierten wir.“