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HERGOLSHAUSEN: Bombenhagel auf Hergolshausen: "Das war die Hölle"

HERGOLSHAUSEN

Bombenhagel auf Hergolshausen: "Das war die Hölle"

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    Hildegard Csauth und Erich Wehner haben den Bombenhagel auf ihr Dorf in der Nacht vom 24. auf 25. Februar 1944 als damals 18- beziehungsweise 16-Jährige erlebt. Die beiden Hergolshäuser Urgesteine können die Schreckensnacht nicht vergessen. „Ich habe gedacht, die Welt geht unter“, schildert die 88-Jährige. „Das war die schlimmste Nacht in meinem Leben, das war die Hölle“, sagt der 86-Jährige im Gespräch mit dieser Zeitung.

    Die beiden Luftangriffe der Alliierten – der erste am 24.2. von 22.30 bis 23.30 Uhr, der zweite am 25.2. von 1 bis 1.30 Uhr – hat sich bei den beiden Zeitzeugen eingebrannt. Große Teile von Hergolshausen sind damals von britischen Bombern dem Erdboden gleichgemacht worden. „70 Prozent vom Dorf waren zerstört, mindestens 20 Scheunen wurden ein Opfer der Flammen“, schildert Erich Wehner. Hildegard Csauth nickt zustimmend und sagt: „Da rannte jeder um sein Leben.“

    Wehner ist froh, dass sich diese Zeitung – 70 Jahre nach dem Ereignis – ihre Erinnerungen anhört. Lange lebten sie ja nicht mehr, solche Zeitzeugenberichte seien aber wichtig, „für die Jugend“, sagt der Senior. Festgehalten ist die „Unglücksnacht“ auch in der anlässlich der 1200-Jahrfeier (2002) erschienenen Dorfchronik. Auf zwei Seiten sind darin die Erinnerungen des legendären Ortsgeistlichen Dr. Büttner zu finden. „Die Feuerwehr tat ihr Bestes, aber an ein Löschen aller Brände war nicht zu denken“, notierte er.

    1944: Erich Wehner ist im zweiten Jahr Stift beim Kufi, will Werkzeugmacher werden. Er liegt in jener Februarnacht schon im Bett, als ihn das Heulen von Sirenen aufrüttelt. Er zieht sich an, rennt auf die Straße, sieht die Flak in den Himmel schießen und die erste Phosphorbombe, die die Nachbarscheune trifft. „20 Meter weiter in meine Richtung und ich wäre umgekommen“, sagt ein aufgewühlter Wehner.

    Auch Hildegard Csauth schläft schon, als es um 22.30 Uhr losgeht. Hildegards Mutter Josefine Rau weckt die fünf Kinder. Hildegard, die älteste, rennt als Erste raus. Drei Belgier – mehrere Belgier leben zu dieser Zeit als Zwangsarbeiter im Dorf – fordern sie auf, mitzugehen in einen Keller. „Komm mit, die Flieger kommen“, habe einer gerufen. Sie trifft im Keller auf ihre Geschwister, die Mutter. Ob auch der Vater im Keller war, das weiß sie nicht mehr. „Wir hatten alle schreckliche Angst“, sagt sie.

    Wehner schildert einen „fürchterlichen Knall“, vom Druck einer Luftmine fallen Ziegel von vielen Dächern, sein Vater Bernhard, damals 60 Jahre alt, wird von Ziegelbrocken am Kopf getroffen, bleibt schwer verletzt liegen. Weil das Inferno hier im Unterdorf am schlimmsten war, trug man den Vater in einen Keller ins Oberdorf. Beim zweiten Angriff am 25. Februar traf eine Bombe ausgerechnet dieses landwirtschaftliche Anwesen. „Der Vater musste wieder rausgeholt werden, sonst wäre er verbrannt“, sagt Wehner. Er redet die ganze Zeit mit Händen und Füßen, rutscht auf seinem Stuhl vor und zurück. Dieses Ereignis bewegt ihn bis heute, lässt ihn nicht los. Es gab in der Nacht fünf Tote. In einem Anwesen gleich drei. Hildegard Csauth nennt die Namen wie aus der Pistole geschossen. Wilhelm Zull, seine Tochter Amanda, damals erst 22 Jahre jung, und die Schwester von Zulls Frau Maria, Barbara Köhler. Die Schwägerin sei damals geborgen worden, starb aber wenig später.

    Die Bombe hatte das Zullsche Haus in der heutigen Lindenstraße gar nicht direkt getroffen, landete zwischen zwei Anwesen im Unterdorf, erinnert sich Wehner. Einen weiteren Toten gab es in diesem Nachbarhaus, dem Anwesen der Witwe Katharina Lenhart (damals Nr. 16). Sie und die Magd überlebten, die nach der Erinnerung der 88-Jährigen Hildegard Csauth Regina hieß. Nicht aber der Knecht, Franz Klein. Der hatte sieben Stück Vieh losbinden, ins Freie bringen wollen. Als Wehner den Bombentrichter beschreibt, breitet er die Arme ganz weit auseinander. „Mindestens zehn Meter“, sagt er.

    Ein dritter Zeitzeuge kann nicht am Tisch in Hergolshausen sitzen: Hans Zull. Der 87-Jährige ist in die USA ausgewandert. Den Kontakt ins Heimatdorf hält er vor allem über Bernd Wehner, einen der beiden Söhne von Erich Wehner. Ihm hat Hans Zull auch seine mehrseitigen Erinnerungen an die „furchtbare und katastrophale Verwüstung“ in der Nacht vor 70 Jahren übermittelt.

    Hans Zull hat damals die Leichen seines toten Onkels Wilhelm und von Amanda entdeckt. Als er beim „Beck“ um die Ecke gelaufen sei, habe er nur noch einen „Trümmerhaufen“ gesehen, stieg übers Stübla-Fenster ein. In der Küche entdeckte er, eingeklemmt von einem Deckenbalken, die schwer verletzte „Köhler Bärbel“. Ein Befreiungsversuch misslang. Auf der Treppe zum Hauskeller habe er den toten „Onkel Wilhelm mit ganz schweren Kopfverletzungen“ entdeckt und bei der Rückkehr ins Stübla sah er die tote Amanda dort liegen.

    Gemeinsam mit dem „Ficks Emil“, der auch eingestiegen war, habe er Barbara Köhler befreien, sie nach draußen unter einen Kastanienbaum legen können. Sie starb aber später. Hans Zull hat auch den Luftangriff auf Schweinfurt durch die Amerikaner am 24. Februar 1944 schon um 16.30 Uhr miterlebt. Er war kaufmännischer Lehrling einer Firma mit Sitz in der Landwehrstraße 16, im Keller des Hauses überstand man den Bombenhagel. Dass er in der Nacht zwei weitere Angriffe auf sein Dorf mit den Toten erleben würde, wusste Zull noch nicht, als er mit dem Rad nach Hergolshausen fuhr.

    In seiner Erinnerung drückt er sein Bedauern vor allem über den Tod von Wilhelm Zull aus. Der hatte die Amerikaner und Engländer stets verteidigt. „Die riskieren ihr Leben, um uns von diesem Satan zu befreien“, habe er ihm am 24. Februar 1944 abends gesagt, erinnert Hans Zull. Dass Wilhelm in der Nacht „von seinen Befreiern erschlagen“ worden sei, nennt Zull die Ironie des Schicksals.

    Der fünfte Tote jener Nacht war ein Schweinfurter namens Pöllath, erinnern sich Csauth und Wehner. Der Pensionär hatte auf Hergolshäuser Flur ein Wochenendhäuschen, das eine Bombe traf.

    Am Ende des Gesprächs wird es noch mal emotional, als Erich Wehner die „zweite Hölle“ seines Lebens schildert. Er wird als 17-Jähriger am 1. März 1945 eingezogen, zwei Monate vor Kriegsende. Zurückgekehrt ist er aus der Gefangenschaft in Polen erst Ende 1949. Auch diese Zeit, der Hunger und die Ungewissheit, ob er wieder heimkehren kann („Das war das Schlimmste“), haben sich bei ihm ganz tief eingegraben.

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