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GOCHSHEIM: Chinesen essen keine Hunde. Aber Kröten

GOCHSHEIM

Chinesen essen keine Hunde. Aber Kröten

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    Ausgewandert: Die Gochsheimerin Mirjam Mayer (geborene Stahl) und ihr Mann Thomas bei einem Ausflug im Jahr 2011 über den Reisterrassen von Guilin.
    Ausgewandert: Die Gochsheimerin Mirjam Mayer (geborene Stahl) und ihr Mann Thomas bei einem Ausflug im Jahr 2011 über den Reisterrassen von Guilin. Foto: Foto: Mayer

    In ihrem rot-weißen Dirndl machte Mirjam Stahl auf der Gochsheimer Kerm 2007 „bella figura“. Fränkisch, fröhlich, fesch und frech grinst sie da in die Kamera, den linken Arm keck auf die Hüfte gestützt, ein Kirchweihklischee, nicht fortzudenken aus dieser Welt. Ein Jahr später schon hatte sich ihr Lebensmittelpunkt um knapp 9000 Kilometer nach Südosten verschoben. Mirjam heißt jetzt Mayer, wohnt mit ihrem Gatten Thomas in Shanghai, lebt und arbeitet in einem Land, zu dem sie als Kind und Jugendliche nie einen Bezug hatte.

    Der kam erst, als sie 2005 ihren späteren Mann kennenlernte – im Wohnzimmer. Nein, nicht im heimischen, sondern in der gleichnamigen In-Disco zwischen Schweinfurt und Sennfeld, wo die damals 20-Jährige ihr am Celtis-Gymnasium frisch erworbenes Abitur feierte; in den Wochen und Monaten der Freiheit, bevor sie in der Veitshöchheimer Landesanstalt für Wein- und Gartenbau eine Ausbildung zur Chemielaborantin aufnahm. Thomas jedenfalls stammt auch aus Schweinfurt, wuchs als Kind allerdings schon weitgehend in Asien auf – an den beruflichen Stationen seines Vaters in Singapur und Seoul – baute sein Abitur wieder in Schweinfurt, am Humboldt-Gymnasium, und studierte anschließend in München Betriebswirtschaftslehre.

    Für den Kitzinger Kabelhersteller Leoni war er als Vertriebsmann erst sporadisch in Shanghai tätig, ab 2006 dann fest als dortiger Vertriebsleiter. Im März 2008 folgte ihm seine damalige Freundin (die er im Mai 2009 in Deutschland ehelichte) nach Fernost, arbeitete bei Leoni zunächst als Praktikantin, später als Qualitätsmanagerin. Heute ist das Paar in Shanghai bei anderen Firmen tätig – Thomas als Geschäftsführer bei Coroplast, Mirjam als Laborleiterin der Firma Zollner Electronic – und inzwischen richtig sesshaft geworden in China.

    Das Leben in Shanghai – es ähnelt durchaus dem in einer europäischen Großstadt; zumindest was die Rahmenbedingungen angeht. Morgens 45 Minuten zur Arbeit, abends in der Rushhour eine Stunde zurück nach Hause. Das kennen viele Münchner so auch. Mirjam und Thomas wohnen ein wenig peripher, in einer geschlossenen Hochhausanlage mit 26 32-stöckigen Bauwerken, mittendrin eine Parkanlage. „Shanghai ist ansonsten eher grau“, sagt die 26-Jährige, „da ist unser Grün schon eine echte Rarität.“ Aus ihrer Wohnung im zehnten Stock hat sie bei guter Sicht freien Blick auf den Bund, die markante Uferpromenade der Stadt am Huangpu-Fluss, die zur Expo 2010 aufwändig neu gestaltet wurde.

    Der Alltag der Mayers wird von Arbeit bestimmt; los geht's zwar erst um 8.30 Uhr (Mirjam: „Chinesen fangen spät an...“), und offiziell ist um 17 Uhr auch Schluss. Doch gerade die Deutschen müssen den Kontakt zu ihren heimischen Firmenzentralen halten. Bei sieben Stunden Zeitverschiebung im Winter bedeutet das, dass E-Mails aus Europa erst spät nachmittags eintreffen und Telefonkonferenzen meist am Abend angesetzt sind. „Frühestens um 19 Uhr“ starten die Mayers dann in den Feierabend, verbringen den Abend meist erschöpft „mit einem Film“ auf der heimischen Couch, trinken nur gelegentlich noch ein Glas Wein mit den – meist deutschen – Freunden.

    Einheimische kennt man von der Arbeit, die Kontakte sind eher lose, lediglich mit Chinesen, die im Ausland studiert haben, wird es auch mal etwas enger und man geht gemeinsam essen. „Das ist immer spannend“, sagt Mirjam, „ein einziges kulinarisches Abenteuer“. Bestellt würde immer eine reichhaltige Auswahl, die in die Mitte des Tisches käme, und aus der sich jeder nach seinem Gusto bediene. „Teilweise rätsel ich immer noch, auf was ich denn jetzt gerade rumkaue“, gesteht die Unterfränkin, betont aber, dass „das Vorurteil, dass Chinesen Hund essen“, längst überholt sei: „Das gibt es höchstens noch vereinzelt in den Hinterlandprovinzen.“ Auf die Tische der Großstadtrestaurants kämen hingegen Schlangen, Kröten, Schildkröten „und andere Exoten“.

    Auch sonst gebe es im chinesischen Alltag manches, was den gediegenen Westeuropäer verwundert. Die Menschen liefen gerne im Schlafanzug durch die Straßen Shanghai's, am helllichten Tag gar, weil das eben bequem sei. Und sie „rotzen und spucken“ häufig, nicht nur auf den Straßen, sondern auch im Büro, in den Supermärkten und der U-Bahn. Keine Probleme hätten die Einheimischen außerdem mit dem Schlafen in der Öffentlichkeit; ein Nickerchen könnten sie problemlos „stehend in der U-Bahn, auf einem parkenden Motorroller oder im Büro auf dem Schreibtisch“ halten. Wirkt sich das auch auf die Arbeitsmoral aus? „Chinesen zeigen wenig Eigeninitiative“, sagt die Laborleiterin, „ihre Denkweise ist umständlicher.“ Wenn sie etwas nicht verstünden – was durch die Kommunikation auf englisch durchaus der Fall sein könne, fragten sie nicht nach – „sie könnten sonst ihr Gesicht verlieren“. So gebe es oft Missverständnisse, die viel Zeit und Energie kosteten.

    Natürlich muss man in China lebenden Deutschen die Frage stellen, wie und wo sie mit der Politik des Landes in Berührung kommen und ob das kommunistische Regime ihren Lebensalltag beeinflusst. „Als Ausländer bekommt man da zwar relativ wenig mit“, sagt Mirjam, „aber Facebook und Youtube sind komplett geblockt und ausländische Nachrichtensender werden auf stumm oder schwarz geschaltet, wenn es etwa um das Thema Tibet geht“. Immerhin: „Skypen“, also Videotelefonie via Internet, ist möglich, Mirjam hat da ein fixes, wöchentliches Date mit der Schwester in der Heimat: „Dann wird gequatscht und getratscht, was das Zeug hält.“

    Ihre Urlaube verbringen die beiden Deutschen meist in Asien. Heuer wollen sie im Oktober den japanischen Mount Fuji erklimmen, in Malaysia waren sie schon mit Rucksack auf einer Dschungeltour unterwegs, im September 2010 haben sie Tibet besucht und außerdem bereits die chinesischen Hauptattraktionen Peking, Xi'an, Guilin und Hong Kong „abgehakt“. Zuhause – in Deutschland – sind sie selten, wobei Mirjam 2011 das Glück hatte, eine sechsmonatige Schulung bei ihrem neuen Arbeitgeber im oberpfälzischen Zandt besuchen zu dürfen. „Ein halbes Jahr Heimat“, seufzt sie und gesteht, dass ihr „die gute Frankenluft, ein blauer Himmel, der Wald und die Natur hinter der Haustüre“ schon mächtig abgehen. Anfangs fehlten ihr auch die heimischen Lieblingsgerichte und sie kam immer mit einem „Koffer voller Fressalien“ aus Deutschland zurück nach China. Mittlerweile weiß sie aber auch in Shanghai, wo sie die nötigen Zutaten bekommt: „Wir müssen wirklich auf gar nichts mehr verzichten.“

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