Das Corona-Virus rückt näher. Wir rücken auseinander. Social Distancing. Untereinander Abstand halten. Dafür nimmt digitale Kommunikation zu. Whatsapp, Facebook und Co. quellen fast über von persönlichen Meinungen und oft fraglichen Informationen. Die Gerüchteküche brodelt, Klischees verbreiten sich. Wir Deutsche horten Klopapier und Nudeln, daran gibt es wohl keinen Zweifel. In deutschsprachigen Online-Netzwerken kann man dafür vielfach lesen, in Frankreich würden Wein und Kondome knapp werden. Belege gibt es dafür nicht.
Dass an diesem Klischee nicht viel dran ist, bestätigen Franzosen mit unterfränkischen Wurzeln. Sie berichten über die aktuelle Lage in ihrem Land: wie sich das Leben dort verändert hat und wie sie ihren Alltag bewältigen.
Mit dem 17. März, 12 Uhr, trat das "Confinement", die französische Ausgangssperre, in Kraft. Am Abend zuvor hatte Präsident Emmanuel Macron sie im Fernsehen verkündet. Seitdem gelten strenge Regeln. Im Unterschied zu Deutschland ist die Bewegungsfreiheit der Franzosen stark eingeschränkt. Sie dürfen bestimmte Orte nicht betreten und ihr Haus oder ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Es sei denn, sie haben zwingende Gründe. Und diese müssen sie schriftlich nachweisen. Die Gründe können entweder beruflich oder medizinisch sein. Fahrten zur Arbeit oder zum Arzt. Sportliche Aktivitäten sind erlaubt. Auch, jemandem zu helfen oder Arznei oder Lebensmittel einkaufen.
Hohe Geldbußen
"Für das Einkaufen braucht man bislang ziemlich viel Zeit und Geduld", schildert Harald Morath, "Schlangen im Abstandsmaß, nicht ganz volle Regale und die Abwesenheit von Nudeln und Klopapier sind auch bei uns in Südfrankreich Alltag. Von wegen nur Wein und Kondome." Der 47-Jährige stammt aus Wasserlosen und wohnt mit seiner Familie seit über 20 Jahren in einem kleinen Ort in der Nähe von Arles, in der Camargue. "Es dürfen immer nur maximal zwei Personen in einem Auto unterwegs sein, die zu einer Familie gehören und zusammen wohnen. Das Besorgen von Lebensmitteln ist auch nur in Supermärkten in der nächstgelegenen Stadt erlaubt. Sonst gibt es Strafen."
Und die können ganz schön aufs Portemonnaie gehen. "Wer gegen die Vorschriften verstößt, kann mit Bußgeldern von 135 Euro und mehr rechnen", so Morath. "Passiert das innerhalb von zwei Wochen erneut, muss man bereits 200 Euro bezahlen. Beim dritten Mal wird es richtig teuer: um 3750 Euro Bußgeld plus eine mögliche Haftstrafe sind die Konsequenzen", weiß er aus der Tageszeitung "Le Figaro". Die Einhaltung der Ausgangssperre werde landesweit von hunderttausenden Polizisten und Gendarmen überwacht.
"Einen der sieben Gründe muss man auf dem Papier, der Attestation de Déplacement Dérogatoire angeben", erklärt der Familienvater. "Die Regierung stellt das Formular zum Herunterladen bereit." Seit dem 6. April könne man es sogar mit dem Smartphone vorlegen. Akzeptiert würden aber auch handgeschriebene Formulare für alle, die keinen Computer und Internetzugang haben.
Ausgang nur alleine und mit Formular
"Die Attestation, den Zettel, muss ich immer zusammen mit meiner Carte d´Identité, meinem Personalausweis, bei mir tragen", bestätigt auch Yvon Fuhrmann, der in Haguenau, einer Stadt im nördlichen Elsass, Département Bas-Rhin, wohnt. "Für jeden Gang vor die Tür. Jedes Mal neu ausfüllen mit Datum, Uhrzeit, Namen, Geburtsdatum und Wohnort." Auch er hat seine Wurzeln im Fränkischen: seine Mutter Käthe, eine geborene Strobel, stammt aus Schleerieth.
Die Region Grand Est, in der der 51-Jährige wohnt, ist besonders stark betroffen. Die Intensivstationen dort sind überlastet. Besonders im Gebiet um die Städte Mulhouse (Mühlhausen) und Colmar sind die Krankenhäuser überfüllt. Das Elsass ist seit 18. März ein erklärtes Risikogebiet des Robert-Koch-Instituts.
Sportliche Aktivitäten erlaubt
Ausgedehnte Spaziergänge durch die Flur oder langes Joggen durch den Wald? Fehlanzeige! "Ich darf maximal eine Stunde Sport am Tag treiben", erzählt Fuhrmann, "aber auch nur alleine und nur im Umkreis von einem Kilometer." Die kurze körperliche Betätigung muss nachweislich in der Nähe der Wohnung, "in direkter häuslicher Umgebung", erfolgen und ohne soziale Kontakte. Ausnahme: (Ehe-)Paare dürfen seit der Änderung vom 23. März wieder zu zweit unterwegs sein. Außerdem erlaubt: das Gassi gehen mit Hunden. Die örtliche Gendarmerie kontrolliere streng und kenne kein Pardon. In Paris und anderen Städten Frankreichs sei Joggen zwischen acht und 19 Uhr überhaupt nicht mehr erlaubt.

Bevor die strengen Regeln in Kraft getreten sind, hat Harald Moraths Tochter rechtzeitig gehandelt: "Ich bin sehr froh, dass ich nach Hause zu meinen Eltern gefahren bin", sagt Julia Morath erleichtert. Die 19-Jährige studiert Biologie in Montpellier und hat frühzeitig Anfang März die Studentenstadt am Mittelmeer verlassen. "Dort habe ich nur ein sehr kleines Appartement und wäre fortan in zwei Zimmern nahezu wie eingesperrt gewesen."
Die Ausgangssperre schränkt den Alltag der Menschen in Frankreich stark ein. Sie verbietet auch, den öffentlichen Raum, wie etwa öffentliche Plätze, Parks, Straßen etc. zu betreten. Fermé (geschlossen)! Absperrbänder und Barrieren signalisieren das Verbot. In manchen Städten wurden sogar nächtliche Sperrstunden eingeführt. Perpignan, Nizza und Cannes gehören dazu.
"Hagenau ist seit drei Wochen wie eine Geisterstadt", berichtet Fuhrmann. Wo sonst rund 35 000 Einwohner die Straßen mit Leben füllen, Restaurants, Bars und Boutiquen stark frequentieren: gähnende Leere und unheimliche Stille. "Normalerweise gibt es auf der Grand Rue, der großen Hauptstraße, jeden Abend Stau. Jetzt ist ein vorbeifahrendes Auto eher selten."
Die Ausgangssperre in Frankreich wurde inzwischen nochmals verlängert. Solange sind die Franzosen noch stärker als die Deutschen gezwungen, sich mit ihren Verwandten, Freunden oder Kollegen im virtuellen Raum "zu treffen". Für ein Volk, das gerne genießt und äußerst gesellig ist, eine echte Herausforderung.
"So ein Videoanruf via Whatsapp ist ja ein netter Zeitvertreib, ersetzt dauerhaft aber keinesfalls den echten Apéro", sagt Yvon Fuhrmann mit einem Augenzwinkern auf den gesellschaftlichen Brauch in Frankreich, einen gemeinsamen Trink zu Beginn oder am Ende vor Feierlichkeiten, einzunehmen. "Das ist Fakt!"