Seit Anfang Dezember gibt es in Schweinfurt sonntags so genannte "Spaziergänge", bei denen bis zu 3000 Menschen aus der Region durch die Stadt ziehen und gegen eine Impflicht und Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung protestieren. Meist sind die nicht angemeldeten Umzüge, deren Organisatoren unbekannt sind, friedlich. Nach dem Umzug am 12. Dezember kam es aber zu Gewalt gegen Polizisten. Nun hat der Stadtrat deutliche Worte in einer Resolution gefunden und appelliert an die Solidarität der Bürger.
Die Resolution, die maßgeblich Ordnungsreferent Jan von Lackum formuliert hatte, entstand auf Initiative des SPD-Fraktionsvorsitzenden Ralf Hofmann und stieß bei Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) sowie der Mehrzahl der im Stadtrat vertretenen Parteien und Wählergruppen auf Wohlwollen. Bei der Abstimmung stimmten CSU, SPD, Grüne, Freie Wähler, Linke, FDP, proschweinfurt und Zukunft./ödp dafür, nur die AfD stimmte dagegen.

In der Resolution heißt es, es sei nicht "Zeit für alternative Fakten", sondern "die Zeit des Zusammenstehens für die Gesellschaft auch unter Hinnahme von mehr oder weniger starken persönlichen Einschränkungen". Vor allem "ist es die Zeit der Solidarität", heißt es weiter in Verbindung mit einem eindringlichen Appell, sich gegen das Corona-Virus impfen zu lassen.
"Der Stadtrat verurteilt die von der Versammlung am 12. Dezember ausgehende verbale und auch körperliche Gewalt scharf".
Text der Resolution des Schweinfurter Stadtrats wegen der Corona-Demonstrationen.
Im Text wird Wert darauf gelegt, dass das Versammlungsrecht ein wichtiges Grundrecht sei und man es ausdrücklich unterstreiche. Es gelte aber "nicht grenzenlos". Es sei die Pflicht der Organisatoren, die Versammlung im Vorfeld anzumelden: "Die bloße Bezeichnung solcher Versammlungen als 'Spaziergang' ändert an den rechtlichen Anforderungen nichts."

Deutliche Worte findet der Stadtrat auch gegen Verschwörungsmythen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie: "Das auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende staatliche Handeln vermeidet Willkür und gewährleistet einen breiten gesamtgesellschaftlichen Konsens", heißt es.
Gewalt gegen Polizei nach Versammlung am 12. Dezember "scharf verurteilt"
Außerdem: "Der Stadtrat verurteilt die von der Versammlung am 12. Dezember ausgehende verbale und auch körperliche Gewalt scharf". Wer Polizeibeamte angreife, stelle sich "außerhalb unserer Wertegemeinschaft". Die Resolution schließt mit einem deutlichen Appell: "Solange sich die Veranstalter solcher Versammlungen ihrer Verantwortung entziehen und anonym bleiben, empfiehlt der Stadtrat daher jedem, solchen zweifelhaften und oft als 'Spaziergängen' getarnten Versammlungen fernzubleiben."

Ordnungsreferent Jan von Lackum beschrieb die bisherigen so genannten Spaziergänge am 5., 12. und 19. Dezember, "die rechtlich ganz eindeutig Versammlungen sind." Diese Unterscheidung ist deswegen wichtig, weil eine Versammlung im Vorfeld angemeldet werden muss und Auflagen zu erfüllen sind, insbesondere derzeit in Sachen Infektionsschutzgesetz wie Einhaltung der Mindestabstände. Die Polizei hatte bisher jeden Umzug als Versammlung eingestuft und nach einem Versammlungsleiter gesucht. Ermittlungen dazu, wer hinter den Aufzügen steckt, laufen auch durch die Kripo, insbesondere in Sozialen Medien.
Von Lackum erklärte, eine neue Erkenntnis aus der Versammlung vom 19. Dezember sei, "dass die rechtsradikale Partei III. Weg versucht zu fischen". Es seien Flugblätter ausgegeben worden. Gleichwohl "gibt es keine Anhaltspunkte, dass die Versammlungen von rechten Parteien organisiert oder dominiert sind wie zum Beispiel in Sachsen."
Die Stadt geht davon aus, dass auch an den Weihnachtsfeiertagen wieder Aufzüge stattfinden. Die Polizei sei in jedem Fall sehr gut vorbereitet. Der Ordnungsreferent berichtete auch von eigenen Recherchen im Messengerdienst Telegram in entsprechenden Gruppen aus dem Raum Schweinfurt: "Es ist abstrus und ein erschreckendes Bild unserer Gesellschaft."
Die Gewalt gegen die Polizei nach der Versammlung am 12. Dezember verurteilte der Ordnungsreferent noch einmal ausdrücklich. Er dankte der Schweinfurter Staatsanwaltschaft und der Justiz für die beschleunigten Verfahren, bei denen zwei Männer zu sechs bzw. acht Monaten Haft auf Bewährung wegen Körperverletzung verurteilt wurden und zwei Männer wegen versuchter Brandstiftung in Untersuchungshaft sitzen. Die Stadt habe außerdem die von der Polizei angezeigten Ordnungswidrigkeiten sofort bearbeitet und bereits Bußgeldbescheide verschickt.
"Es ist abstrus und ein erschreckendes Bild unserer Gesellschaft."
Ordnungsreferent Jan von Lackum über seine Recherchen in Schweinfurt-Gruppen auf dem Messengerdienst Telegram zu den "Spaziergängen" in der Stadt.
Oberbürgermeister Sebastian Remelé war am 19. Dezember gemeinsam mit dem Ordnungsreferenten vor Ort beim Umzug. "Es besorgt mich, wie kritisch und staatsfern man auftritt", insbesondere wegen der "Skepsis und ablehnenden Meinung gegenüber der Wissenschaft". Die Resolution begrüße er sehr. Remelé hatte sich auch nach der Veranstaltung am 12. Dezember in einem Video-Statement mit deutlichen Worten von der Gewalt distanziert.
Deutliche Kritik an der ablehnenden Position der AfD zur Resolution
SPD-Fraktionsvorsitzender Ralf Hofmann kritisierte den "bedenklichen Freiheitsbegriff" der Demonstranten, der zu Lasten der Gesellschaft gehe. Außerdem sehe man auch in Schweinfurt seiner Meinung nach die Strategie der "neuen Rechten, willkürlich Themen zu nutzen, um einen Staat zu erreichen, der eben nicht mehr Freiheit und Meinungsvielfalt bedeutet."
"Die Menschheit hat das Virus als Gegner, nicht die Gesellschaft."
Linken-Fraktionssprecher Frank Firsching.
AfD-Fraktionsvorsitzender Richard Graupner und seine Fraktion schlossen sich bei der Verurteilung der Gewalt gegen Polizeibeamte der Resolution an, ansonsten aber nicht. Die Versammlungsfreiheit sei ein hohes Gut. Gerade das Thema Impfpflicht sei der Kern der Sorge derjenigen, die auf die Straße gingen. Es handele sich um keinen Mob und es gebe auch keine Organisatoren im Hintergrund, so Graupner: "Die Menschen gehen von sich aus auf die Straße." Diese Bemerkung wurde mit Gelächter im Gremium quittiert.
Linken-Fraktionschef Frank Firsching schloss sich mit seiner Partei der Resolution an, kritisierte den Text aber als nicht scharf genug: "Er ist unpolitisch und empathielos und berührt keinen." Dennoch sei es wichtig, denn "die Menschheit hat das Virus als Gegner, nicht die Gesellschaft." Auch Grünen-Fraktionssprecher Reginhard von Hirschhausen unterstützte mit seinen Kolleginnen und Kollegen das Thema: "Die Mehrheit in der Stadt muss sich laut zu Wort melden durch diese Resolution."