Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Schweinfurt
Icon Pfeil nach unten
Stadt Schweinfurt
Icon Pfeil nach unten

Das Leben mit Anna-Lena

Stadt Schweinfurt

Das Leben mit Anna-Lena

    • |
    • |

    Anna-Lena ist der Boss. Zumindest zwischen 16 und 19 Uhr. In dieser Zeit bestimmt die 17-Jährige, wo bei Familie Hart die Musik spielt – im doppelten Sinn des Wortes. Da heißt es Rolf Zuckowski oder Blasmusik oder ihre Lieblingssendung im Fernsehen. Auch an diesem Spätnachmittag, an dem es eigentlich um ihre Geschwister Kristin und Frederic gehen soll, steht erst einmal Anna-Lena im Mittelpunkt.

    Wer Familie Hart besucht, wird als erstes von ihr begrüßt. Wer über Familie Hart schreibt, wird als erstes sie erwähnen. Anna-Lena ist der Mittelpunkt. Sie ist eine ganz Süße, sie ist hübsch, warmherzig und anhänglich. Sie ist anders als andere 17-Jährige. Anna-Lena ist geistig behindert und kann nicht sprechen. Aber sie kann sich sehr wohl ausdrücken und mitteilen, was sie will.

    Ihr 24-jähriger Bruder Frederic und die 21-jährige Kristin haben sich bereit erklärt, über ihr Leben als Geschwister einer Behinderten zu sprechen. Hintergrund ist eine Initiative des FamilienEntlastenden Dienstes (FED) bei der Lebenshilfe Schweinfurt, der aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in den Familien die Geschwisterkinder besonders in den Blick nimmt und Hilfe anbietet. Was lange Zeit nicht geschehen ist.

    Eines ist klar: der Alltag mit Kindern kostet Zeit und Kraft, der Alltag mit einem behinderten Kind noch mehr. So sehr sich die Eltern auch bemühen, die gesunden Geschwister kommen oft zu kurz. Je nach den Rahmenbedingung kann eine solche Situation äußerst schwierig und belastend oder auch bereichernd sein, sagt Rita Weber, Leiterin des FED. Sie kennt Fälle, in denen Jugendliche ihre Eltern anklagen, gar drohen, sie könnten sich ja gleich umbringen. Manche nehmen scheinbar klaglos alles hin, aus Angst, die Eltern noch zusätzlich zu belasten. Andere entwickeln Strategien, beziehen ihre behinderten Geschwister mit ein. Wie das Mädchen, das es nicht wagte, sich richtig über ihre gelungene Fahrstunde zu freuen, bis sie auf die Idee kam, ihren behinderten Bruder mitzunehmen, der dann freudestrahlend über die Erfolge seiner Schwester berichtete.

    Zurück zu den Harts nach Oberwerrn, an den runden Tisch im Esszimmer, das Zentrum des Familienlebens. Vater Norbert hat sich gerade verabschiedet. Er ist sehr engagiert, hat Tausend Ehrenämter, sagen seine Kinder. Seit einem Jahr ist er außerdem Vorsitzender der Lebenshilfe.

    Oma und Opa im ersten Stock

    Zu Hause kümmert sich Mutter Ursula um alles. Dann gibt es noch Oma Lena und Opa Winfried, die im ersten Stock leben. Oma Lena ist immer da, sie hat immer Zeit, sie kocht Tee, wenn einer kommt oder spielt eine Runde Karten. Oma Lena kocht die besten Spaghetti der Welt und kann wunderbar zuhören.

    Kristin und Frederic haben ihre Zimmer unterm Dach, aber sie sind immer noch viel bei ihrer Oma. Denn unten ist das Revier von Anna-Lena, zumindest ab 16 Uhr, wenn sie aus der Franziskusschule kommt, bis gegen sieben, wenn sie ins Bett geht. Die Mutter sagt: „Sie ist wie mein Schatten.“ Morgens gehen die beiden zusammen aus dem Haus, nachmittags kommen sie zusammen heim, denn Ursula Hart ist im Fahrdienst der Lebenshilfe.

    Trotzdem sagt Frederic, dass er sich nie wirklich vernachlässigt gefühlt hat. „Wenn ich meine Eltern brauchte, waren sie für mich da.“ Der 24-Jährige macht demnächst sein Examen als Physiotherapeut, Kristin wird Ergotherapeutin. Die beiden haben ganz früh Verantwortung übernommen, vor allem für sich selbst, wurden schnell selbstständig und sagen von sich, sehr sozial eingestellt zu sein.

    Die Bedingungen waren freilich gut: mit liebevollen Großeltern, einer Mutter, die alles macht und die Großen nie als „Aufpasser“ für die Kleine herangezogen hat.

    Im Dorf integriert

    Dazu kommt, dass Anna-Lena nie ins Krankenhaus musste, wie beispielsweise epilepsiekranke Kinder, die manchmal für Monate von zu Hause weg sind und mit ihnen die Mütter. Für Familie Hart ist auch ganz wichtig, dass Anna-Lena im Dorf ganz und gar integriert ist.

    Frederic erinnert sich nur an einen Fall vor etlichen Jahren, als Kristin weinend nach Hause kam, weil jemand eine blöde Bemerkung über die behinderte Schwester gemacht hatte. Kristin selbst erinnert sich nicht an diesen Vorfall. „Wir hatten eine schöne Kindheit“, sagt sie. „Aber man muss auch viel einstecken“. Glücklicherweise gab es Constanze, ihre beste Freundin von gegenüber. Und natürlich die Oma.

    Was nervt? Da sind sich Frederik und Kristin einig: Dass Anna-Lena alles bekommt, was sie will und dass sie von Mama so verwöhnt wird und das auch ausnutzt. Abgesehen davon lieben sie ihre kleine Schwester so, wie man seine kleine Schwester eben liebt.

    Das Stichwort:

    Der Landesverband der Lebenshilfe Bayern bietet auf Anregung des FamilienEntlastenden Dienstes Schweinfurt in diesem Jahr Seminare für Geschwister von Kindern mit Behinderung an. Das erste Wochenende in Fladungen/Rhön vom 11. bis 13. Juli steht unter dem Thema „Ich melde mich zu Wort“. Eingeladen sind Kinder zwischen acht und 14. Mehr Infos unter fed@lebenshilfe-schweinfurt.de oder Tel. 09721/ 2087165. Der FED betreut mit 240 nebenberuflich tätigen Mitarbeitern 148 Familien in Stadt und Landkreis Schweinfurt. Aus dieser Arbeit ist die Konzeption für die Arbeit mit den Geschwisterkindern entstanden.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden