Die Hauptbelastungszeugin im bundesweit stark beachteten Bamberger Chefarzt-Prozess hat 2014 im Bamberger Klinikum ihr praktisches Jahr absolviert. Der vom Landgericht Bamberg im Oktober unter anderem wegen schwerer Vergewaltigung verurteilte Ex-Chefarzt aus Bamberg hatte auch die damalige Medizinstudentin Ramona S. gefragt, ob sie an einer medizinischen Studie über Beckenvenen-Thrombosen teilnehmen würde. Die heute 28-Jährige bejahte. Am Tag der Behandlung spritzte ihr der Ex-Chefarzt aber das Hypnotikum Midazolam. Danach wusste die junge Frau nichts mehr.
Frage: Sie fühlten sich nach dem Termin bei dem nun verurteilten ehemaligen Chefarzt unwohl und haben sich mit Ihrem Vater, ebenfalls ein Arzt, beraten. Hatten Sie damals schon eine Vermutung?
Ramona S.: Meinen Vater und meine Familie habe ich telefonisch um Rat gebeten, weil ich keinerlei plausible Erklärung dafür hatte, warum mir über eine Stunde meiner Erinnerung fehlt.
Wie haben Sie sich gefühlt, als klar war, was passiert sein könnte?
Ramona S.: Ich war schockiert und entsetzt und hätte so etwas nie für möglich gehalten.
Wann ist Ihnen klar gewesen, dass sie Anzeige erstatten müssen?
Ramona S.: Nachdem ich von der Rechtsmedizin der Universität Erlangen die Bestätigung hatte, dass in meinem Blut in erheblicher Konzentration Midazolam festgestellt wurde und eine tragfähige Erklärung durch den Angeklagten nicht gegeben wurde.
Wie belastend ist ein solcher Mammutprozess?
Ramona S.: Sehr. Vor allem der Umstand, dass man das Gefühl hat, dass fast nur der Angeklagte zu Wort kommt und weil meine gesamte Familie als Zeugen gehört werden mussten. Außerdem hat er keine Gelegenheit ausgelassen, mich und meine Familie einer Intrige und Lügen zu bezichtigen. Mein Rechtsanwalt Jürgen Scholl war in dem gesamten Verfahren intensiv damit beschäftigt, derartige Verleumdungen und Denunzierungen zu verhindern oder ihnen zu begegnen.
Das Bamberger Gericht hat Ihnen in der Urteilsbegründung eine Art Ehrenerklärung in Sachen Glaubwürdigkeit ausgesprochen. Wie fühlt man sich, wenn man quasi als Lügnerin dargestellt wird?
Ramona S.: Das war sehr schlimm. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass es für die Opfer von Sexulastraftaten aktuell letztlich immer noch ein so langer und schwieriger Weg ist, bis der Täter seine gerechte Strafe durch das Gericht bekommt.
Der Angeklagte und seine Verteidiger haben sich dabei auch bewusst der Medien bedient. Noch wenige Stunden vor der Urteilsverkündung hat der Angeklagte erneut versucht, mich zu diffamieren. Ich bin sehr froh, dass das Landgericht Bamberg unmissverständlich klargestellt hat, dass ich und meine Familie bei der Polizei und vor Gericht die Wahrheit gesagt haben.
Es ist damit zu rechnen, dass es einen weiteren Prozess gibt. Alles kommt dann nochmals auf den Tisch. Haben sie davor Angst?
Ramona S.: Mein Rechtsanwalt hat mir erklärt, dass er davon ausgeht, dass der Bundesgerichtshof in diesem extrem aufwendigen Verfahren nicht noch einmal eine Verhandlung mit nochmaliger Aussage aller Zeugen und Sachverständigen für erforderlich erachtet. Ich bin daher nicht besorgt. Aber es ist sicherlich zu früh, hier schon eine verlässliche Einschätzung abzugeben. Meinem Anwalt liegt die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vor.
Ist das nun erfolgte Urteil Genugtuung für Sie?
Ramona S.: Mir ging es nie um Rache, sondern darum, dass er das anderen Frauen nicht mehr antun kann. Vor allem war und bin ich schockiert, dass er mich und zum Teil die anderen Frauen als versierter Chefarzt unter dem Einfluss von Midazolam mit dem Auto fahren oder nach Hause gehen ließ und dabei in Kauf genommen hat, dass man im schlimmsten Fall einem tödlichen Unfall zum Opfer gefallen wäre.
Hatten Sie, die die Ermittlungen erst ins Rollen brachte, vor, im oder nach dem Prozess Kontakt zu anderen Opfern?
Ramona S.: Ich hatte nach den polizeilichen Vernehmungen mit einigen Frauen Kontakt, da diese meine Mailadresse von der Polizei erhalten hatten. Wir haben uns natürlich auch an den Prozesstagen gesehen und uns unterhalten. Einen großen oder intensiven Kontakt gab es aber nicht. Ich kannte die Frauen ja auch vorher nicht und es gibt keine nennenswerte Kommunikation mehr.
Letztlich haben wir uns vor allem Gedanken gemacht, was in dem Gerichtsverfahren persönlich auf uns zukommt, weil wir alle keine großen Erfahrungen vor Gericht hatten und ziemlich klar war, dass das Strafverfahren erhebliches Medieninteresse hervorrufen wird.
Erhalten Sie Zustimmung dafür, dass Sie den Mann angezeigt haben oder gibt es auch entgegengesetzte Reaktionen?
Ramona S.: Das war mir zwar nie wichtig, aber ich selbst habe für mein Verhalten nur positive Reaktionen erfahren. Ich habe aber auch gemerkt, dass es leider offensichtlich auch heute für Frauen als Opfer von Sexualstraftaten immer noch ein langer und schwerer Weg ist, bis der Täter sein Urteil erhält.
Sie stammen aus Oberfranken, arbeiten in Mittelfranken, musste es deshalb mit ihrem Anwalt Jürgen Scholl ein Unterfranke sein?
Ramona S.: Ich hatte anfänglich eine Rechtsanwältin aus Leipzig beauftragt. Nachdem aber immer mehr deutlich wurde, dass sich eine sehr intensive und harte rechtliche Auseinandersetzung anbahnt, habe ich mich für Herrn Scholl entschieden, der mir als ein extrem durchsetzungsfähiger und hartnäckiger Strafrechtler erschien. Mein Vertrauen in ihn hat er auch in keiner Weise enttäuscht.
Denken Sie im Benehmen mit Ihrem Anwalt über Schadensersatzansprüche nach?
Ramona S.: Ja, wobei es mir nie darum ging. Nach Auskunft meines Rechtsanwaltes würden die Schmerzensgeldbeträge vor deutschen Gerichten in solchen Fällen wohl gerade einmal hohe vier- oder niedrige fünfstellige Beträge sein. Weiterhin steht zu befürchten, dass der Angeklagte so viel Geld in seine Verteidigung investiert hat, dass er derartige Forderungen auf absehbare Zeit nicht wird erfüllen können.
Zum Hintergrund und Gespräch mit dem Rechtsanwalt Jürgen Scholl Das Landgericht Bamberg hat den früheren Chefarzt des Klinikums Bamberg Ende Oktober 2016 wegen schwerer Vergewaltigung und weiterer Vergehen zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Die Anwälte des 51-Jährigen hatten teils Bewährungsstrafen und teils Freispruch gefordert, die Staatsanwaltschaft wollte 15 Jahre Haft. Verteidigung und Anklagebehörden haben gegen das Urteil Revision eingelegt. Dem Arzt wurde vorgeworfen, zwischen 2008 und 2014 zwölf Frauen im Bamberger Klinikum missbraucht und teils mit Gegenständen oder einem Finger vergewaltigt zu haben. Der frühere Chefarzt wies ein sexuelles Motiv zurück und verwies auf die Erprobung neuer Behandlungsmethoden gegen Beckenvenen-Thrombosen. Dem schenkte das Landgericht keinen Glauben. Hauptbelastungszeugin war eine damals noch junge Medizinstudentin aus Oberfranken. Die heute 28-jährige Ärztin ist als Nebenklägerin vom Schweinfurter Juristen Jürgen Scholl vertreten worden. Der Rechtsanwalt hatte einem Bekannten des Opfers in einem Strafverfahren erfolgreich zur Seite gestanden. So kam der Kontakt zu der früheren Studentin und heutigen Ärztin, die in Mittelfranken arbeitet, zustande. Rechtsanwalt Jürgen Scholl während des Bamberger Prozesses. FOTO: VÖLKERLING Das Interview mit Ärztin Ramona S. wurde von Jürgen Scholl vermittelt. Er sorgte für den Kontakt zu dem Opfer, das die Fragen der Redaktion über ihren Anwalt schriftlich beantwortete. Zum weiteren Fortgang des Prozesses äußerte sich Scholl selbst. Die Revision vor allem der Verteidiger habe ihn nicht überrascht, sagt er. Die Beweislage sei so erdrückend gewesen, dass nach dem nun erfolgten Urteilsspruch letztlich erwartbar gewesen sei, dass der ehemalige Chefarzt „versuchen muss, sein Heil in der Revision zu finden“. Die Strategie der Verteidiger sei „fast selbstzerstörerisch“ gewesen, der Angeklagte sei ein „extrem von sich überzeugter Mensch“. Einen Schuldspruch könne er nicht akzeptieren, weil „er immer noch glaubt, unschuldig zu sein“, sagt Scholl. Mit einem Urteil am Bundesgerichtshof Karlsruhe rechnet der Schweinfurter Anwalt frühestens im Sommer 2017. Er sieht in der auch von der Staatsanwaltschaft eingereichten Revision „die Chance auf ein wesentlich verschärftes Urteil“. hh