Der schwere Koffer, der momentan noch zuhause bei Evamaria Bräuer steht, muss jetzt nur noch abgeholt werden. So wie damals als 1942 die letzten Mitglieder der jüdischen Gemeinde aus Gerolzhofen zur Deportation in die vom nationalsozialistischen Regime errichteten Menschenvernichtungslager gebracht wurden, die sie verniedlichend Konzentrationslager nannten. Es war ihre letzte Reise ins KZ, wo sie in den Gaskammern systematisch umgebracht wurden.
Genau genommen sind es zwei identische metallene Koffer, die künftig zusätzlich an die vom nationalsozialistischen Regime ausgelöschte hiesige jüdische Gemeinde erinnern werden. Der eine von beiden wird künftig in Würzburg stehen, wohin er bereits gebracht worden ist, sein Gegenstück in der Gerolzhöfer Altstadt.
Es wird der dritte Erinnerungsort an die ehemaligen jüdischen Mitbürger in Gerolzhofen – nach dem auf dem kleinen Platz in der Schuhstraße errichteten Denkmal und der gleich daneben über die Treppe hinunter zur Bleichstraße führenden Dr.-Benzion-Kellermann-Stiege. Das Gässchen ist nach dem Religionsphilosophen, Pädagogen und Reformrabbiner benannt, der 1869 nur wenige Meter weiter in der heutigen Schuhstraße Nr. 20 auf die Welt gekommen war und 1923 in Berlin gestorben ist.
Aus der Werkstatt von Clemens Hegler
Mit den beiden massiven Metall-Koffern aus der Werkstatt des aus Alitzheim stammenden Volkacher Künstlers Clemens Hegler beteiligt sich die Stadt an einem Projekt zur Schaffung einer zentralen unterfrankenweiten Gedenkstätte, das aktuell den Namen „DenkOrt Aumühle“ trägt und an die hier bis 1932/1933 existierenden ehemaligen jüdischen Gemeinden wie in Gerolzhofen erinnern soll. Jede dieser 109 Kommunen war zur Mitwirkung aufgerufen worden.
Der ehemalige kleine Güterbahnhof an der Aumühle in Würzburg, der sogenannte Aumühl-Ladehof, hat eine traurige Bedeutung für ganz Unterfranken: Von hier und vom Hauptbahnhof in Würzburg aus wurde der größte Teil der aus Unterfranken und hierbei auch aus Gerolzhofen und Umlandgemeinden wie Frankenwinheim, Lülsfeld oder Zeilitzheim deportierten Juden 1941 und 1942 in die KZs verschleppt.
Zentrale Gedenkstätte für Unterfranken in Würzburg
Ursprünglich war als Standort für die Gedenkstätte in Würzburg das noch erhaltene kurze Stück des früheren Aufgangs von der Schweinfurter Straße zum ehemaligen Aumühl-Ladehof in der Nähe des Real-Markt-Parkplatzes vorgesehen, weshalb das Projekt eben noch den Namen „DenkOrt Aumühle“ trägt. Unter dem dortigen Pflasterbelag fließt jedoch die Pleichach in einem – wie man erst jetzt weiß – maroden Tunnel. Deshalb kann der historische Aufgang nicht bebaut werden. Somit wird aktuell ein neuer Standort in der Nähe des Hauptbahnhofes gesucht. Es soll auf jeden Fall ein Ort entlang der alten Deportationsstrecken sein.
Die für die Rampe an der Aumühle entwickelte Grundidee der Projektgruppe bleibt indes trotz des Ortswechsels gültig. Sie besteht darin, Gepäckstücke zum zentralen Symbol für die Deportationen zu machen. Das Vorbild lieferten Fotos in Auschwitz erhaltener Koffer von Deportierten sowie besonders die historischen Fotos mit abgelegtem Gepäck zwischen den Zügen an der Aumühle.
Die aufgeschichteten Gepäckstücke
Diese Aufnahmen griff der Würzburger Architekt und Künstler Matthias Braun auf. Er schichtet in seinem Entwurf die Gepäckstücke als zentrales Symbol für die Deportationen auf eine Trägerkonstruktion aus Corten-Stahl, an der man auf beiden Seiten entlang oder um sie herumlaufen kann. Ausgehend von den historischen Fotos sind drei Arten von Gepäckstücken vorgesehen: Koffer, Deckenrollen und Rucksäcke. Die Installation bietet Platz für mehr als 109 Exponate.
Das Gegengepäckstück für jede jüdische Kultusgemeinde soll wiederum zum Zeichen dafür, dass sie symbolisch miteinander verbunden sind, in der jeweiligen Kommune verbleiben.
Einen der beiden Koffer als Gerolzhöfer Beteiligung finanziert die Stadt über einen Zuschuss durch die einst von der Sparkasse angeschobene Bürgerstiftung, den anderen das örtliche Kulturforum, das auch für die Abwicklung der Aktion sorgt. Allen voran ist hier die eingangs erwähnte Evamaria Bräuer als ausgewiesene und vielgefragte Kennerin auf dem Gebiet der jüdischen Gemeinde involviert.
Gemeinschaftswerk von Bürgerstiftung, Kulturforum und Stadt
Die Stadt wird ferner noch einen Installationszuschuss am Denkort in Würzburg selbst leisten. Hinzu kommen ebenfalls die Installationskosten in Gerolzhofen, wo der Koffer samt einer Informations-Stele zwischen den Anwesen Marktstraße 17 und 19 auf einem kleinen Sockel durch den Bauhof aufgestellt wird. Es handelt sich also um ein Gemeinschaftswerk zwischen Bürgerstiftung, Kulturforum und Stadt.
Da die Stadt selbst an dem Projekt beteiligt ist, handelt es sich auch um keine Sondernutzung städtischer Flächen. Zudem wird durch die Aufstellung in der vorgesehenen Nische, in der momentan ein Fahrradständer steht, kein Gehweg oder Parkplatz versperrt. Das hatte in dem Zusammenhang kürzlich Dritter Bürgermeister Markus Reuß auf seine diesbezügliche Anfrage im Stadtrat von Bürgermeister Thorsten Wozniak erfahren. Der unterstrich: „Hier geht es um Kunst im öffentlichen Raum und um keine Sondernutzung.“ Im anderen Fall wäre nämlich gegebenenfalls die Zustimmung des Stadtrats erforderlich gewesen.
Die Einweihung des Koffers in Gerolzhofen soll im Rahmen einer länger geplanten Stadtführung zu den hier verlegten Stolpersteinen am 27. Januar erfolgen.
Die verschleppten jüdischen Mitbürger aus Gerolzhofen
Im April und September 1942 wurden den Nachforschungen von Evamaria Bräuer zufolge von Würzburg aus die letzten 25 jüdischen Einwohner aus Gerolzhofen deportiert, 20 von ihnen am 25. April in das Vernichtungslager Krasnystaw, die restlichen fünf am 23. September in das Ghetto Theresienstadt. Dazu kamen 1941/1942 drei weitere Menschen jüdischen Glaubens aus Gerolzhofen, die zuletzt bereits in Würzburg beziehungsweise in Nürnberg gewohnt hatten, sowie ein Ehepaar aus der Stadt, das beim Versuch, noch außer Landes zu gelangen, 1942 in den Niederlanden aufgegriffen und in das Lager Sobibor gebracht worden war. Von all den deportierten Menschen aus der Stadt hat niemand überlebt. Allesamt wurden sie vom NS-Regime ermordet.
Insgesamt wurden 2069 Menschen aus Unterfranken deportiert Sie kamen aus den erwähnten 109 jüdischen Kultusgemeinden und wohnten in etwa 140 Ortschaften. Nur 63 von ihnen kehrten nach dem aktuellen Kenntnisstand zurück.
Aus Frankenwinheim kommt ein Schulranzen
Die Gemeinde Frankenwinheim hat sich übrigens für einen Schulranzen als Gepäckstück entschieden, der zum einen im Dorf neben dem bestehenden Gedenkstein am Rathaus und zum anderen in Würzburg aufgestellt wird.

