Ansgar Denner aus Weichtungen arbeitet seit 2007 als Wissenschaftler im Labor für Teilchen-Physik am Paul-Scherrer-Institut (PSI) in Villigen/Schweiz. In den 90-er Jahren war der 48-Jährige auch am Kernforschungszentrum CERN in Genf tätig. Im Gespräch erklärt Denner, warum der Start des Large Hadron Collider (LHC) ein Meilenstein in der Physik ist. Für den Teilchenbeschleuniger entwickelte man am PSI spezielle Detektoren, mit denen man unter anderem auch die so genannten Higgs-Bosonen nachzuweisen hofft. Denner beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit der Berechnung von Vorhersagen im Standardmodell der Elementarteilchen.
Frage: Am 10. September wurde der größte Teilchenbeschleuniger, den es je gab, gestartet. Wo haben Sie dieses Experiment mitverfolgt?
Ansgar Denner: Ich war in meinem Büro am Paul-Scherrer-Institut in Villigen und habe während meiner Arbeit eine Direktübertragung aus dem CERN gesehen.
Für einen Physiker wie Sie, der ganz nah am Thema forscht, war der Start des LHC doch sicher eine erhebende Sache?
Denner: Ja, es war schön zu sehen, wie schnell es gelang, Strahlen aus Protonen, das heißt einfachsten Atomkernen, im LHC in beide Richtungen durch den Ring zu schießen. Das war ein Meilenstein für den Teilchenbeschleuniger. Aber es müssen noch mehr Meilensteine gesetzt werden, bevor es neue bahnbrechende Erkenntnisse gibt. Dazu gehören beispielsweise die Erzeugung von Kollisionen, die Beschleunigung der Protonen auf 99,9999991 Prozent Lichtgeschwindigkeit und die Erhöhung der Strahlen-Intensität.
Wie kann man einem physikalischen Laien erklären, was das für eine Supermaschine ist?
Denner: Er ist das größte und stärkste Mikroskop, das je gebaut wurde. Man kann damit Abstände untersuchen, die eine Milliarde mal kleiner sind als ein Atom. Auch in technischer Hinsicht ist der LHC eine Maschine der Superlative. 2800 Pakete aus je 100 Milliarden Protonen werden von über 9000 Magneten auf einer Bahn gehalten. An manchen Punkten werden die Protonstrahlen auf den Durchmesser eines menschlichen Haares zusammengeschnürt und produzieren mehr als 600 Millionen Proton-Kollisionen pro Sekunde, die von riesigen Detektoren aufgezeichnet werden. Die Energie der Protonstrahlen dabei entspricht der eines voll beladenen Güterzugs bei Höchstgeschwindigkeit.
Warum bezeichnen Wissenschaftler das Kreisen des 27 Kilometer langen Strahls aus Atomkernteilchen als den Beginn einer neuen Ära?
Denner: Die im LHC erreichbare Energie ist siebenmal höher als die bisher in anderen Teilchenbeschleunigern erreichte Energie. Diese Maschine erlaubt, Teilchen-Wechselwirkungen in einem ganz neuen Energiebereich zu untersuchen. Dieser ist deshalb hochinteressant, weil hier der Ursprung für die Massen der Elementarteilchen zu finden sein muss. Außerdem hoffen wir, mit Hilfe des LHC die Bausteine der so genannten dunklen Materie zu finden, von der es im Universum etwa sechsmal mehr gibt als sichtbare Materie.
Allerdings war der Teilchenbeschleuniger nur 36 Stunden in Betrieb, bevor er wegen eines Defekts abgeschaltet wurde. Im Frühjahr 2009 soll das Experiment fortgesetzt werden. Was bedeutet dieser Versuch für die Menschheit?
Denner: Wir werden erforschen, wie sich Elementarteilchen bei sehr hohen Energien und bei sehr kleinen Abständen verhalten. Damit werden wir verstehen, welche Wechselwirkungen praktisch direkt nach dem Urknall vorherrschend waren. Dies wird neue Einblicke in die Entstehung des Universums erlauben.
Es gibt ernst zu nehmende Wissenschaftler, denen bei dem Experiment nicht ganz wohl ist. Mal ganz ehrlich, könnte da was passieren, wenn die beiden Protonstrahlen aufeinandertreffen und nun doch so kleine Schwarze Mini-Löcher entstehen, die die Erde einfach aufsaugen?
Denner: Ich nehme Befürchtungen eines Weltuntergangs nicht ernst. Schwarze Mini-Löcher treten nur in sehr spekulativen Theorien auf. Selbst wenn sie am LHC erzeugt werden sollten, stellen sie keine Gefahr dar. Kosmische Strahlen mit viel höheren Energien als am LHC hätten dann schon viele Schwarze Löcher in der Erdatmosphäre erzeugt. Da die Erde von diesen bisher nicht verschlungen wurde, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass das am LHC anders sein sollte. Dies wurde durch sorgfältige wissenschaftliche Untersuchungen belegt und erst kürzlich durch eine Gruppe unabhängiger Wissenschaftler in einem LHC-Sicherheitsbericht bestätigt.
Aber wir haben ja nun erst mal Aufschub zum Leben bekommen. Warum dauern die Reparaturarbeiten am LHC etliche Monate?
Denner: Um ausreichend starke Magnetfelder zu erzeugen, die nötig sind, um die hochenergetischen Protonen auf eine Kreisbahn zu zwingen, müssen die Magnete auf minus 271,3 Grad Celsius abgekühlt werden. Die Reparatur erfordert das Auftauen eines Achtels des Rings. Allein dieser Prozess und das erneute Einfrieren dauern zwei Monate.
Am LHC hofft man auch, das so genannte Higgs-Boson aufzustöbern, ohne das andere Teilchen gar keine Masse hätten. Wenn es dieses „Gottesteilchen“, wie es auch genannt wird, tatsächlich geben würde, wie leicht oder schwer wäre da ein Nachweis zu erbringen?
Denner: Aus früheren Experimenten und theoretischen Berechnungen wissen wir, in welchem Energiebereich das Higgs-Boson auftreten muss, falls unsere Theorien richtig sind. Der LHC wurde so ausgelegt, dass er diesen Bereich abdeckt. Falls das Higgs-Boson existiert, dann muss es am LHC entdeckt werden.
Sie berechnen die theoretischen Häufigkeiten dieser Higgs-Bosonen. Warum ist das eine relativ zeitaufwändige Sache?
Denner: Die Suche nach dem Higgs-Boson am LHC gleicht der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. In weniger als einer von einer Milliarde Teilchenreaktionen taucht das Higgs-Boson auf. Außerdem hat es eine so kurze Lebensdauer, dass man es nicht direkt nachweisen kann, sondern nur über die Häufigkeiten anderer im Detektor nachgewiesener Teilchen. Um das Higgs-Teilchen mit Sicherheit aufspüren zu können, muss man diese sehr genau kennen. Die hinreichend genaue Bestimmung dieser Häufigkeiten ist schwierig und deshalb sehr zeitaufwändig.
Welche Bedeutung hätte dieses Higgs-Boson für die Physik? Und für uns Otto-Normal-Verbraucher draußen?
Denner: Für den Alltag des Otto-Normal-Verbrauchers hätte das Higgs-Boson auf absehbare Zeit keine direkten Auswirkungen. Für die Physik wäre seine Entdeckung ein wichtiger Schritt zum Verständnis der Welt der Elementarteilchen und damit auch des sehr frühen Universums, also letztlich der Frage, woher wir kommen.
Verstehen Ihre Eltern, woran Sie in der Schweiz arbeiten? Interessieren sie sich dafür?
Denner: Meine Eltern verstehen nur ganz grob, woran ich arbeite. Für einen Laien ist diese Materie sehr schwer. Das trifft aber auf alle hochspezialisierten Berufe zu.
Und wie haben Sie das Ihren Kindern erklärt, als die noch kleiner waren und Sie fragten, woran Sie arbeiten?
Denner: Ich sagte, dass ich versuche herauszufinden, was die kleinsten Bausteine der Welt sind und wie diese zusammenspielen, also wie die Welt bei kleinsten Abständen aufgebaut ist. Das hilft zu verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält und wie sie entstanden ist.