Vor 80 Jahren, am 11. April 1945, endet für Schweinfurt der Zweite Weltkrieg. Die zerstörte Stadt kapituliert vor der US-Armee. Seit Tagen haben sich die amerikanischen Truppen schon auf Schweinfurt zubewegt. Die Industriestadt einzunehmen, die im Luftkrieg so heftig umkämpft war, hat für die Amerikaner besondere Bedeutung. Auch, weil bei den Angriffen viele amerikanische Soldaten der Bomberbesatzungen starben.
Widerstand gibt es am 11. April nur noch in Oberndorf. Im Industriegebiet haben sich Verteidiger verschanzt, 22 deutsche Soldaten sterben. Der von den Amerikanern befürchtete Häuserkampf bleibt aus. Der Bürgermeister übergibt die Stadt. So kann am 13. April in den Ruinen der Kilianskirche eine Trauerfeier für Präsident Franklin D. Roosevelt stattfinden, der tags zuvor gestorben ist.
Leopoldinasaal im Rückertbau wieder geöffnet

Genau 80 Jahren später, am 11. April 2025, konnte das Publikum im vollbesetzten Leopoldinasaal im Rückertbau die Atmosphäre dieser schicksalhaften Tage nacherleben. In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv zeigte der Historiker und Dokumentarfilmer Stephan Bleek Film- und Fotoaufnahmen, die bisher noch nicht zu sehen waren.

Bleek hat diese wohl einzigartigen Dokumente in mühevoller Recherche in den National Archives in Washington entdeckt und digitalisieren lassen. Doch nicht nur die Aufnahmen sind ungewöhnlich, sondern auch der Ort, an dem sie gezeigt werden.
Nach zehn Jahren Stilllegung aus Brandschutzgründen ist der Leopoldinasaal, ein im Originalzustand erhaltener Kinosaal aus den 50er-Jahren, ertüchtigt und wieder aktiviert worden. Archivleiter Gregor Metzig kann es kaum fassen, dass es geklappt hat. Für ihn ist der Saal der heimliche Star des Abends.

Mühevolle Recherche in amerikanischen Archiven
Warum die Recherche so mühevoll war? Die Aufnahmen, mit denen die Amerikaner den Krieg dokumentierten, auch zu Propagandazwecken, sind oft nicht eindeutig, manchmal gar nicht und manchmal falsch beschriftet. Einmal taucht Schweinfurt sogar als Vorort von Berlin auf, sagt Bleek.

Der Historiker hat Verbindungen nach Schweinfurt, sein Großvater war Hermann Barthel, Mitbegründer von Kugelfischer. Deswegen fällt es seinem Enkel leichter, Material mit Schweinfurt-Bezug zu entdecken. Wenn er den Fabrikschlot mit der Aufschrift F&S und der berühmten Bauchbinde entdeckt, zum Beispiel. Bleek ist sich sicher, dass es noch viel Schweinfurt-Material in den amerikanischen Archiven gibt. Ob es aber irgendwann entdeckt werde, sei zweifelhaft.

Das Kriegende als Tag der Befreiung: Dieses Zitat von Bundespräsident Richard von Weizsäcker aus seiner berühmten Rede 1985, 40 Jahre nach Kriegsende, greift Oberbürgermeister Sebastian Remelé auf. Mit dem Krieg endeten zwölf Jahre Diktatur. Man müsse den Amerikanern dankbar sein, dass sie gegen Nazi-Deutschland kämpften. Remelé erinnert aber auch daran, wie prägend Krieg und Nachkriegszeit für die nachfolgenden Generationen waren. "Krieg ist etwas Schreckliches." Jeder solle sich klarmachen, dass es nicht selbstverständlich sei, wie hier im Zentrum Europas seit 80 Jahren nur Wohlstand, Frieden und Freiheit zu kennen.
Flagge aus der Ledward-Kaserne überreicht

Unbekanntes Filmmaterial, ein Saal, in dem seit Jahren niemand mehr war: Das ist nicht alles. Der Abend hat noch einen bewegenden Moment. Reserveoffizierin Lieutenant Colonel Mary Ritzmann, vor 22 Jahren mit der Army nach Schweinfurt gekommen und der Liebe wegen geblieben, überreicht Sebastian Remelé in Uniform die US-Flagge, die bis zum Schluss im Ehrenhof der Ledward-Kaserne aufgezogen war. Sie erinnert sich daran, wie sie in ihren ersten Tagen in Schweinfurt einmal von einer dankbaren alten Frau angesprochen wurde, die sagte: "Die Amerikaner haben uns gerettet." – "Da habe ich verstanden, was Freundschaft ist", sagt Ritzmann gerührt.

Und dann startet der Film. "Endlich", sagt eine Frau. Den Krieg, die Angriffe, den Einmarsch der Amerikaner, das hat sie alles miterlebt. Es sind nicht wenige Leute im Saal, die noch lebendige Erinnerungen an diese Zeit haben. Und die, die nur davon gehört oder gelesen haben, können sich jetzt besser vorstellen, was dieser Krieg bedeutet hat.
Große Teile der Wohnsubstanz zerstört
Über 20 große Luftangriffe wurden auf Schweinfurt geflogen. Als die Amerikaner einmarschieren, sind große Teile der Wohnsubstanz zerstört. Immer noch leben 23.000 Menschen in der Stadt. Wenn man die Fotos von den Ruinen und den Trümmern sieht, kann man sich das nicht vorstellen. Trotzdem gibt es noch eine Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und Strom, sagt Bleek. Bis zuletzt wird auch noch die Zeitung gedruckt: Am 9. April erscheint das NS-Organ "Schweinfurter Zeitung" mit dem Titel "Kapitulation? Nein! Wir ersticken in Haß!"

Bleek hat die Filme an einigen Stellen etwas verlangsamt. Das macht sie noch eindringlicher. Über den Trümmern sieht man den Schatten des Flugzeugs, so als wäre nichts. Heftig die Aufnahmen, in denen die Bomben aus den Flugzeugen prasseln. Die Sicht ist gut, man sieht die Felder und die Häuser, ahnt, was den Menschen bevorsteht. Bleek zeigt Fotos mit riesigen Staubwolken im Hintergrund. Das waren die von der Wehrmacht gesprengten Mainbrücken. Soldaten posieren mit erbeuteter Nazi-Flagge. Die Rainbow-Division markiert Wände mit ihrem Regenbogen-Markenzeichen. Ein Gruß an die Bomberpiloten: "Wir haben eure Verluste gerächt."

Eindringliche Porträt-Aufnahmen
Eindringlich sind die Momente, auf denen Menschen zu sehen sind. Amerikanische Soldaten, die erschöpft an einer Hauswand lehnen. Deutsche Soldaten, die gefangengenommen werden. Alte Männer, ausgezehrt. Junge Männer, fast noch Kinder, mit leerem Blick. Dazwischen Bilder aus Dörfern. Die Bewohner werden ausquartiert, um Platz für die US-Soldaten zu machen. Frauen bringen Federbetten in Sicherheit. Kinderwagen sind mit den wenigen übrig gebliebenen Habseligkeiten bepackt. Dazwischen Aufnahmen aus dem Konzentrationslager Buchenwald, das am 11. April befreit wurde.

Krieg ist grausam, sagt Stephan Bleek. Er erzählt, dass er am Schweinfurter Friedhof die Gräber der deutschen Soldaten gesehen hat, die am 11. April gestorben sind. 16, 17 Jahre waren sie alt. "So junge Männer wurden in einen sinnlosen, aussichtslosen Kampf geschickt." Ein Wahnsinn. Und doch ist die Geschichte Nazideutschlands eine vielschichtige: Es gab Menschen, die zwar im System funktionierten und trotzdem versuchten, anderen zu helfen, wenn auch nur in kleinen Aktionen. Für Bleek liegt da ein Stück Hoffnung. "Die Menschlichkeit stirbt nicht zuletzt."
Der Film wird am Dienstag, 14. Oktober, um 18 Uhr nochmal im Leopoldinasaal (nicht barrierefrei) gezeigt. Anmeldung unter stadtarchiv@schweinfurt.de oder 09721 51383.