Sicher gibt es noch einige Schweinfurter, die sich an den Bodybuilder und Physiotherapeuten Harry Gelbfarb erinnern, die sich in den 1970-ern von ihm behandeln ließen oder mit ihm trainierten. Aber vermutlich wissen nur ganz wenige, dass Gelbfarb 1955 das erste Bodybuilding-Studio Deutschlands eröffnete – in der St.-Anton-Straße in Schweinfurt. Der Mann mit der bewegten Lebensgeschichte hat die Bewegung des Bodybuildings so entscheidend mitprägt, dass es ohne ihn vermutlich keinen Arnold Schwarzenegger geben würde, wie ihn die Welt kennt. Diesen Schluss zumindest zieht der Schweinfurter Journalist Peter Steinmüller.
Seit gut einem Jahr recherchiert der 50-Jährige über Leben und Werk von Harry Gelbfarb mit dem Ziel, 2015 – also 60 Jahre nach Gründung des Studios – ein Buch zu veröffentlichen. Dafür braucht er die Hilfe von Zeitzeugen, denn gerade über die Jahre 1973 bis 83, als Gelbfarb eine große physiotherapeutische Praxis im Marienbachzentrum hatte, in der er auch Bodybuilding-Übungen als Therapie einsetzte, gibt es nicht allzu viele Informationen.
Steinmüller liebte früher zwar die Filme mit Arnold Schwarzenegger, hatte aber mit Bodybuilding nichts am Hut. Bis er bei der Recherche für ein Interview mit dem Gründer des Kieser-Trainings, Werner Kieser, im Internet die Information über das erste Bodybuilding-Studio Deutschlands in Schweinfurt entdeckte. Er begann zu recherchieren und stieß bald auf Fred Conrad aus Zell, einen Verwandten von Gelbfarbs Schweinfurter Ehefrau Elly, der den Bodybuilder bis zu seinem Tod 2005 gepflegt hatte und dessen Nachlass verwaltet. Aus diesem Nachlass stammen die Bilder von Harry und Arnold und die wirklich starken Fotografien von den starken Schweinfurter Jungs im Sommerbad und dem körperverliebten Ehepaar Elly und Harry Gelbfarb.
Die Fotos zeigen einen schönen Mann. Kaum vorstellbar, dass er bei der Befreiung durch die Rote Armee 1945 unterernährt war, an Tuberkulose und Herzproblemen litt. Wie dramatisch die Kindheit von Harry Gelbfarb war, entdeckte Steinmüller unter anderem im Archiv des österreichischen Widerstands. Dort schreibt eine Franzi Löw über die Rettung des jungen Harry. Er wird 1930 in Wien geboren. Der Vater ist Christ, die Mutter Jüdin. Weil der Großvater keinen Christen als Schwiegersohn akzeptiert, gibt die Mutter den Jungen in ein Waisenhaus. 1934 kommt Harry zu Pflegeeltern. Als die beiden ins KZ verschleppt werden, muss der Junge in ein jüdisches Kinderheim. Die Leiterin Franzi Löw überzeugt einen katholischen Priester, Harry einen gefälschten Taufschein auszustellen, er wird nicht deportiert, muss aber später in ein Arbeitslager. Als er 1945 befreit wird, ist er sehr krank.
Als es ihm wieder besser geht, beginnt er gegen den Rat der Ärzte mit dem Boxen, nimmt an Wettkämpfen teil. 1947 geht er mit seiner Pflegemutter, die überlebt hat, in die USA, bestreitet zahlreiche Boxkämpfe, bis er Fotos von Bodybuildern sieht. Er ist so fasziniert von diesem Körperkult, dass er aufhört zu boxen und in einem kleinen Club mit dem Training beginnt. 1951 muss Harry zum Militärdienst. Ein Jahr lang ist er in Schweinfurt stationiert und lernt beim Turmspringen im Ernst-Sachs-Bad die Sportlehrerin Elly Böttcher kennen. Sie ist neun Jahre älter als Harry, aber – das zeigen die Fotos – eine sehr schöne, durchtrainierte Frau.
1953 geht Gelbfarb zurück in die USA, macht seine Ausbildung zum Physiotherapeuten und wird amerikanischer Staatsbürger. Ab 1954 arbeitet er in Kalifornien im größten Health Club für Männer und geht in seiner Freizeit fast jeden Tag an den Muscle Beach von Santa Monica. Er lernt viele prominente Bodybuilder kennen, nimmt Schauspielunterricht, hat auch kleinere Rollen und Engagements als Fotomodell, aber die große Karriere bleibt ihm verwehrt, sagt Peter Steinmüller.
Gelbfarb will sein eigenes Studio. 1955 kehrt er nach Schweinfurt zurück und eröffnet sein „Gym“, ein Jahr später heiratet er Elly. Sie hat sich dem Kraftdreikampf verschrieben und wird erst 1982, mit 61 Jahren, ihre Wettkampflaufbahn beenden, nachdem sie einen Altersrekord aufgestellt hat. Harry Gelbfarb schart eine Reihe von jungen Männern um sich, die mit ihm trainieren. Stolz präsentieren sie ihre gestählten Körper beim gemeinsamen Posing im Sommerbad.
Aber Gelbfarb will offensichtlich mehr. Er will den geliebten Sport vom Schmuddelimage befreien. Er organisiert die ersten Wettkämpfe und Meisterschaften in Deutschland, gründet den ersten nationalen Verband, den deutschen Körperbildungsbund, und sorgt so dafür, dass deutsche Sportler an internationalen Wettkämpfen teilnehmen können. Als sich Anfang der achtziger Jahre mehr Frauen für Bodybuilding interessieren, bietet ihnen Gelbfarb eine Bühne mit der ersten Frauen-Kraftdreikampf-Meisterschaft und dem ersten Wettbewerb für Paar-Posing“.
Die anderen Pioniere des deutschen Bodybuilding informieren sich bei Harry Gelbfarb und daraus zieht Peter Steinmüller den Schluss, dass es ohne Gelbfarb keinen Schwarzenegger gegeben hätte. Der Österreicher trainiert nämlich in Deutschland. 1966 fährt Gelbfarb nach München, um ihn kennenzulernen. „Er ist von seinem Ehrgeiz aber mehr beeindruckt als von seinem Körperbau“, zitiert ihn Steinmüller.
In diesem Jahr veröffentlicht Gelbfarb in der Sportrevue einen Artikel über „Heilung durch Bodybuilding“, was insofern interessant ist, als es einen Hinweis darauf gibt, dass sein Leben schon zu dieser Zeit von großer Spiritualität geprägt ist. Aus Tagebucheinträgen geht hervor, dass es ihm nicht nur um einen makellosen Körper ging, sondern um geistige und körperliche Gesundheit durch Bodybuilding, Meditation, Fasten, vegetarische Ernährung, Glauben (er war Mitglied im Orden der Rosenkreuzer) und die Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen. Man könnte also sagen, dass Gelbfarb auch ein Vorreiter für die heute so moderne ganzheitliche Lebenseinstellung war.
Der Lebenslauf, den Peter Steinmüller bis dato recherchiert hat, umfasst viele weitere Details, die auf der Website nachzulesen sind. Hier sollen nur noch die Jahre 1973 bis 83 erwähnt werden, als Gelbfarb am Marienbach ein großes physiotherapeutisches Zentrum betrieb, in dem er auch Bodybuilding als Therapie einsetzte. Gerade über diese Zeit würde Peter Steinmüller gerne mehr erfahren. Der Schweinfurter plädiert im übrigen für eine Gedenktafel. Als Ort stellt er sich die St.-Anton-Straße vor, auch wenn das Gebäude, in dem das erste Studio war, nicht mehr existiert.
Noch einmal zurück zu Gelbfarb. 1983 siedelte er noch einmal nach Kalifornien um, eröffnete ein Studio, trainierte weiter. 2004 nahm seine leibliche Mutter, Sabine Schneiderman, geborene Gelbfarb, die in Haifa lebte, Kontakt zu ihrem Sohn auf. Harry Gelbfarb weigerte sich aber, sie wiederzusehen. Am 27. Mai 2005 starb er in Zell an Krebs. Er wollte sich nicht operieren lassen.
Zeitzeugen gesucht
Der Journalist Peter Steinmüller (Foto Winterhalter) recherchiert seit mehr als einem Jahr über den Mitbegründer der Bodybuilding-Bewegung, Harry Gelbfarb. Vor allem über dessen Aufenthalte in Schweinfurt und seine Schüler möchte Steinmüller gerne mehr erfahren. In der Publikation „Iron Game History“ vom Dezember 2005 stehen die Namen von fünf frühen Schülern Gelbfarbs, die mit ihm und seiner Frau Elly den Deutschen Körperbildungsbund gründeten: Gustav Wörner, Lorenz Breier, Karlheinz Rüd, Heinz Barth und Ingrid Breier.
Peter Steinmüller veröffentlicht die bisherigen Ergebnisse seiner Recherche auf der von ihm eingerichteten Website www.harry-gelbfarb.de.. Informationen an: Peter.Steinmueller@t-online.de oder Tel. (0171) 78 76 66 7.