Es ist gute Tradition bei der Kunsthalle, dass die von einer Jury erwählten Sieger einer Triennale einige Zeit später eine große Einzelausstellung bekommen. So auch im Fall von Thomas Hildenbrand, dessen Ausstellung „Grenzüberschreitung – plastisch“ bis Sonntag, 26. Januar 2025, in der Großen Halle zu sehen ist.
Zeitgleich wird im Untergeschoss der Kunsthalle die Sammlung von Bozzetti, also Entwürfe und Modelle, präsentiert, die Hildenbrand im Frühjahr der Kunsthalle geschenkt hat, und an der sich der Weg vom Gedanken zur Form ablesen lässt. Die 5. Triennale, bei der Hildenbrand gewann, fand vor drei Jahren statt und hatte das Thema „Wahrheit“. Ein treffender Titel, der wie die Faust aufs Auge auch für die jetzige Ausstellung passt, wie auch der Kurator der damaligen Triennale, Jürgen Lenssen, befand.
Lenssen war es auch, der die Idee für den Titel der neuen Ausstellung hatte: „Grenzüberschreitung – plastisch“. Genau das ist es, was Hildenbrand macht: Er lenkt in seinen Werken den Blick des Betrachters über jede Vordergründigkeit oder Oberflächlichkeit hinaus auf Wirklichkeiten, die man im Grunde auch eher ahnen als greifen kann. Es geht um die Sicht auf die eigene Person sowie das Leben, um das Dasein der Menschen, also um uns selbst. Hildenbrand ist mit seinen Holzskulpturen, die meist aus Lindenholz sind, fähig, der Gesellschaft einen Spiegel hinzuhalten und sie hinzuweisen, wie wichtig es ist, die menschliche Würde zu wahren. In einem Interview sagte Hildenbrand einmal: „Meine Skulpturen sind sehr emotional und ich freue mich, wenn ich den Betrachter auf dieser Ebene erreichen kann.“
Eines ist in der gut kuratierten und vor allem als hervorragende Werkschau gehängten und platzierten Ausstellung in der immer wieder aufs Neue herausfordernden Großen Halle der Kunsthalle mit ihren neun Metern hohen Wänden augenfällig: Hildenbrands Skulpturen sind viel mehr als Schauobjekte, sie berühren den Betrachter, regen zum Nachdenken an, laden zum Verweilen ein. Der 44-jährige Hildenbrand stammt aus Eberbach am Neckar. Bereits in jungen Jahren fand er seine Berufung als Holzbildhauer, „ich wollte nie etwas anderes machen“. Von 1997 bis 2000 machte er seine Ausbildung an der Berufsfachschule für Holzbildhauer in Oberammergau – eine Zeit, die ihn sichtlich prägte und sich auch heute noch in seinen Werken widerspiegelt. Genauso wie das Studium historischer Bildhauertechniken an den Württembergischen Landesmuseen in Stuttgart. Danach ging Hildenbrand erst einmal Erfahrung sammeln, war von 2002 bis 2005 auf der Walz als Geselle im In- und Ausland.
Als Künstler machte er sich spätestens mit den ersten Ausstellungen Mitte der 2000er Jahre einen Namen. Seit 2010 hatte er 24 Einzelausstellungen, meist im Rhein-Main-Gebiet, aber auch in Schottland. Schon bei der Triennale V war Hildenbrand nicht nur der Favorit der Jury, seine unverwechselbare Bildsprache, inspiriert von Werken der Gotik über den Barock bis in die Gegenwart, ist es, die die Betrachterinnen und Betrachter in ihren Bann zieht.
Der große Traum der Menschheit
Dazu kommt eine Fähigkeit, die sehr gute Künstler auszeichnet: Nicht mit dem Holzhammer Botschaften versenden, sondern das eigene Kunstwerk wirken lassen. „Vom Stürzen und Fliegen“ ist einer der vielen Kataloge über Thomas Hildenbrand überschrieben. Ein treffender Titel, denn auch in der Kunsthalle sieht man dieses Thema in vielen Werken, ganz besonders natürlich in den Hauptwerken in der Mitte namens „Sturzgruppe“, aber auch bei kleineren Skulpturen, filigran gearbeitet, klug koloriert. Das stete Streben zu neuen Ufern, das die Menschheit schon immer auszeichnet, ist für Hildenbrand eine „wunderbare Utopie, aber auch eine Metapher der menschlichen Brüchigkeit und Begrenztheit“. Es ist wahre Kunst, wenn es gelingt, genau das in den Skulpturen sichtbar zu machen.
Grenzüberschreitung, plastisch von Thomas Hildenbrand, Große Halle der Kunsthalle, bis 26. Januar; Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr. Jeder erste Donnerstag im Monat freier Eintritt. Infos unter www.kunsthalle-schweinfurt.de Begleitprogramm: „Auf ein Glas mit …“, Gespräche in launiger Atmosphäre, 10 Euro inkl. Eintritt und ein Getränk. Donnerstag, 14. November, 19 Uhr mit Dr. Jürgen Lenssen (Kurator); Donnerstag, 5. Dezember, 19 Uhr mit Thomas Hildenbrand (Künstler) und Martin Bühner (Künstlerischer Leiter an der Staatl. Berufsfachschule für Bildhauer in Bischofsheim/Rhön); Donnerstag, 23. Januar, 19 Uhr mit Thomas Hildenbrand (Künstler), Dr. Jürgen Lenssen (Kurator) und Kurt Mühlfeld-Hemprich (Galerie Mühlfeld + Stohrer, Frankfurt). Führungen: Sonntag, 3. November, sowie Sonntag, 1. Dezember, jeweils 14.30 Uhr. Kosten 2,50 Euro zzgl. Eintritt. Individuelle Führungen zum Wunschtermin kann man unter info@kunsthalle-schweinfurt.de oder 09721 514744 buchen.