„Die Karin und ich sind Nachbarn!“ Was Marion Lorz da aufgeregt ins Handy ruft, dürfte rein rechnerisch extrem unwahrscheinlich gewesen sein. Und trotzdem ist es passiert: Sie und ihre Schwester waren für ihre Kinder als Glückbotinnen zur Häuserverlosung nach Schweinfurt gekommen – und beide haben gewonnen. Ihre Nummern wurden einmal aus acht und einmal sogar aus 41 Kugeln gezogen. Jetzt werden ihre Kinder direkte Nachbarn, Wand an Wand in einem Doppelhaus. „Glück, Schicksal – irgendwas muss es sein“, sagt Marion Lorz' Mann Hans Peter und kann es immer noch nicht fassen.
Für insgesamt 64 Doppelhaushälften in der ehemaligen US-Siedlung Yorktown in Schweinfurt wird an diesem Freitag ausgelost, wer sie kaufen darf. Das Interesse an den Holzhäusern war von Anfang an riesig. Fast 900 Menschen wollten eine der Immobilien kaufen. Die guten Preise dürften ein Hauptgrund gewesen sein: Je nach Lage und Zustand kosten die Doppelhaushälften zwischen 95 000 und 125 000 Euro für 90 Quadratmeter. Sie sind nicht unterkellert, stattdessen gibt es unter dem Dach des Carports zwei Abstellräume.
Interessierte überrannten Yorktown schon bei Tagen der offenen Tür
Als zu zwei Tagen der offenen Tür laut Oberbürgermeister Sebastian Remelé unglaubliche 20 000 Besucher kamen, entschied sich die Stadt schließlich, aus der Sache ein kleines Event im Konferenzzentrum auf der Maininsel zu machen – mit Lostrommel, Notarin und allem Drum und Dran. Ein bisschen Show, aber trotzdem rechtlich alles korrekt. „Das ist eine absolute Premiere für uns“, sagt Remelé bei der Begrüßung.
Zwischen zwei und 124 Bewerbungen gab es für die einzelnen Häuser, dazu durfte jeder noch einen alternativen Kaufwunsch angeben. Mitarbeiterinnen des Schweinfurter Liegenschaftsamts haben die letzten Tage 180 Plastikkugeln mit Nummern beklebt und in Kisten mit der Hausnummer darauf verpackt. Die größten Kisten sind mit jeweils 124 Kugeln die mit den Schildern „421 L“ und „422 R“. L und R stehen für die linke oder die rechte Doppelhaushälfte.
Die durchsichtigen Kugeln kullern aus der Kiste in die Lostrommel. Kamerateams und Reporter drängeln sich um das drehende Ding. Das „Volksfestgesicht 2016“ Miriam Förtsch und der
stadtbekannte langjährige US-Mitarbeiter Herrmann Mees
sind die „Glücksfeen“. Mees kurbelt kräftig, die Kugeln rattern. Als er in die Trommel greift, rührt er noch einmal um – sicher ist sicher. Die Nummernkugel wird dann von Notarin Bianca Muschel der passenden Bewerbung zugeordnet, dann verkündet der Konversionsbeauftragte Hans Schnabel die Namen.
Typisch fränkischer Jubel
„Haus 422 R geht an Alexander Gräf aus Sennfeld!“ Die Schweinfurter applaudieren gelassen, keiner steht auf, keiner jubelt, kein Sektkorken knallt. Die Augen wandern durch den Saal. Wer ist denn jetzt der glückliche Gewinner? Ein bisschen ist es ein Einblick in die fränkische Schweinfurter Seele. Emotionale Ausbrüche in aller Öffentlichkeit – Fehlanzeige. „Meine Damen und Herren, als ich eingangs um fränkische Gelassenheit gebeten habe, da meinte ich die, die nicht zum Zug kommen“, frotzelt der Oberbürgermeister zwischendurch.
Die vielen anwesenden Reporter sind fast ein bisschen verzweifelt. Bilder von jubelnden, sich in den Armen liegenden Neu-Hausbesitzern werden hier heute nicht geschossen. Als einem Gewinner ein kleines, schüchternes Jauchzen entfährt, sind die Kameras und Mikrofone sofort zur Stelle. Jetzt lacht der Saal. Ein Mann, der bei der Verlosung leer ausging, lehnt sich grinsend zur Reporterin rüber: „Wo kommen Sie eigentlich her, dass sie so große Gefühlsausbrüche erwartet haben?“ Die Gewinner sind fast alle Franken, die meisten aus Schweinfurt und Umland, aber auch aus Würzburg oder Bayreuth.

„Ich bin innerlich in die Luft gesprungen, fast geplatzt bin ich“, sagt Christina Gräf später. Sie ist die Tochter von Alexander Gräf, der Mann mit der 422 R und der Rekordzahl von 124 Kugeln. Sie wird wahrscheinlich zusammen mit ihrem Freund ins Haus ziehen. Wohl im August wird die derzeit leer stehende Siedlung wieder bevölkert. Als Quasi-Gewinnerin ist Gräf zu erkennen am hektischen Telefonieren und Nachrichten tippen vor der Tür. „Wir haben sogar überlegt, ob es sich überhaupt lohnt, sich zu bewerben, weil die Chancen so gering sind. Wahnsinn.“ Die Freude unter den Gewinnern ist sehr wohl groß – man trägt es nur nicht so nach außen.