„War früher alles besser?“ Diese Frage stellte Winfried Huppmann zwar nicht. Letztlich schwang sie aber mit, beim Erzählnachmittag in der Schützenklause. Über 40 Besucher sind gekommen, um Erinnerungen auszutauschen.
Es soll kein Dorftratsch sein, betont der „Kirchweihschaffer“, sondern ein gemeinsamer Blick zurück. Schützenmeister Peter Krückel und seine Familie übernehmen die Bewirtung, Huppmann ist für die Aufwärmrunde zuständig und liefert die Geschichte von Rudolf Hennemann, dem die Gaststätte mal gehört hat. Enkel Uwe Bonengel aus Schnackenwerth hat sie aufgeschrieben.
„Eine Sau zu Wurst zu machen, war sein Leben“, heißt es zum Großvater, dessen Gasthaus in der Schweinfurter Hadergasse gestanden hat (seit 1974 befand sich hier das Parkhaus). Die „Büttnerschenk“ war das Vereinslokal der Schnüdel (FC-Spieler). Sofort erinnert sich die Tischrunde, wie der Spitzname zustande gekommen ist. Durch den Schweinfurter Fritz Stöcklein, der 1920 den glatten, unverschnürten Fußball erfunden hat, dank versenkbarem Aufblasventil. Vorher soll ein Zipfel („Schnüdel“) am Leder manchen Kopfballer hart getroffen haben.
Die Hennemanns wohnten in der Theresienstraße, wo sie den Krieg durchlebten. Opa Hennemann, Jahrgang 1906, weigerte sich lange, bei Luftangriffen den Brändleinsbunker aufzusuchen. Bis der Metzger eines Nachts bei einem Einschlag in der Nachbarschaft quer durchs Schlafzimmer in den Gang hinaus geschleudert wurde. „Danach ging er auch mal mit in den Bunker.“ Mit dem Umzug des FC ins Sachs-Stadion wurde eine Alternative nötig. Die fand der rührige Wirt am Geldersheimer Torbogen, mit Schlachthaus, Schützengarten und Kegelbahn. Auch die Schnüdel fanden noch den Weg hierher, manch Bier oder Wurst ging gratis über den Tresen.
Gestorben ist der alte Hennemann 1969. Auch andere Gastwirtsdynastien sind mit Nachkommen vertreten: Ernst Warmuth etwa, vom Gasthaus Krone/Hammer am Marktplatz, seit 1862 im Familienbesitz, ab 1972 Sparkassen-Filiale. Die goldene Krone prangt noch immer überm einstigen Treff der Lokal-Fußballer.
Duschen? Umkleidekabinen? Fehlanzeige. Nach dem Spiel haben sich die Sportler mit dem Schlauch abgespritzt, erinnert sich Warmuth. Wer zu spät kam, wusch sich mit der Brühe der anderen. Abends ging's zur Erfrischung in den Keller.
Geldersheim war kleiner, am Sägewerk lebten die Flüchtlinge in Baracken. Noch lange nach dem Krieg war Braten Mangelware. Viele Menschen waren Selbstversorger. Auf einem Foto posiert Sprengmeister Mauder neben einem aufgehängten Vier-Zentner-Schwein. Mauder zerlegte außerdem Bunker und andere Militärbauten.
Huppmann ruft die Dorfspitznamen in Erinnerung, wie „Gegeli“, „Bastli“ oder „Flickerli“. Der „Jonesjones“ war der eigene Opa, der „Stutzerkappes“ ist persönlich anwesend. Überhaupt, die Vorfahren: Huppmanns Ahne war der Bader, Wundarzt und Barbier Johann Adam Körblein, der um 1730 Schere und Klingen im Familienwappen verewigt hat.
Als „Barber“ war auch Josef Vey tätig. In den 60ern verpasste der heutige Schleeriether den GIs ihren Militärschnitt, den flachen „Flat Top“ etwa oder den sogenannten Forehead. Manchmal durfte es auch „medium“ sein. 50 US-Cent gab es für so einen Haircut made in Germany. Bei einem Wechselkurs von eins zu vier kein schlechter Schnitt, erinnert sich Vey: „Wir waren nicht scharf aufs Rasieren.“ Dafür gab's nur 25 Cent. Fürs persönliche Wirtschaftswunder musste der gelernte Friseur allerdings sechs Tage die Woche schnippeln.
Die nahe Ami-Garnison brachte Schwung ins brave Geldersheim. Panzer und Straßenkreuzer wummerten durch die Straßen. In den „Fränkischen Hof“ ging's zum Tanzen. Die MP sorgte mit Schlagstöcken für Disziplin unter den Soldaten. Die Kinder am Wegesrand erhielten Süßes vom Truck. Die Einheimischen waren kaum motorisiert.
„Es gab nur wenige Autos im Dorf“, erinnert sich Alois Hümmer. Der DKW von Werkstattbesitzer Kunert Endres diente für Krankenhaustransporte. Auch Bürgermeister Sternecker hatte seinen „Dorfchauffeur“. Der Gemeindebote war radelnd unterwegs: Als er eines Tages überm Bier einschlief, hängten ihm Lausbuben das Fahrrad in den Baum.
Die beiden Dorfpolizisten wachten mit Tschako und Notizblock übers Gesetz. Wenn die Halbwüchsigen im Wirtshaus nach 22 Uhr noch „Oh, wie schön sind Negerlippen“ sangen, wurden fünf D-Mark fällig: Nicht wegen der Negerlippen, sondern der Sperrstunde für Minderjährige.
Bis heute ist am Biegenbach die „Rote Inge“ ein Begriff. Schon die Jahre vor 1968 waren eine Zeit der Lust, zunächst der Lust auf „Sittenskandale“. Politische Korrektheit war nicht so wichtig, dafür erregte der prüde „Kuppelparagraf“ die Republik. In Kaiserslautern stand 1965 neben der „Blonden Anita“ eine „Rote Inge“ aus Paderborn vor Gericht, die sich von ihren Herren in Champagner hatte baden lassen.
Zumindest den Spitznamen hatte sie mit der Nicht-Geldersheimerin gemeinsam, die in Begleitung eines norddeutschen Ferkelhändlers unterwegs war und Tanzeinlagen im Fränkischen Hof gab. Mittlerweile wird die „Rote Inge“ deutschlandweit vernascht, als gleichnamiger Himbeer-Nachtisch. Früher verwendete man für diese süße Sünde statt Baiser Mohrenköpfe. Heute heißt's „Schokoküsse“. Weiter geht's mit einem zweiten Erzählnachmittag am 21. Februar.