Manche Passanten mustern ihn mit ausdrucksloser Miene, andere sehen demonstrativ auf den Boden, um Blickkontakt zu vermeiden. Für den ein oder anderen mag der 31-Jährige mit dem blauen Irokesen, dem Septum-Piercing und der schwarzen Jeansweste mit Aufnähern, wovon einer "Eat the Rich" verkündet, sogar gefährlich wirken.
"Es gibt zu viele Menschen, die an Leuten wie mir vorbeilaufen. Sie stecken uns wegen unseres Aussehens in eine Schublade und vorverurteilen uns", sagt Smiley. Mit seinem Hund Machete sitzt er auf einer Decke in der Schweinfurter Innenstadt. Neben den beiden spielt eine Musikbox Punkmusik. "Schon im Kindergarten fängt es an, man presst dich in 'ne Norm und macht Dich zum Mann", singt eine von Smileys Lieblingsbands.

Smiley, der seinen echten Namen nicht nennen möchte, spricht mit fester und lauter Stimme, hält Blickkontakt und lacht immer wieder. Der junge Mann wirkt gut gelaunt und aufgeschlossen.
Neben ihm schnappt Machete, eine Mischung aus Windhund und belgischem Schäferhund, nach einer Biene, die um seinen Kopf fliegt. Eine ältere Dame hält im Vorbeigehen inne, mustert Machete lächelnd und holt einen Euro aus ihrer Geldbörse. "Aber nur für den Hund", mahnt sie und wirft den Euro in den Becher vor Smiley. Der bedankt sich lächelnd und wünscht ein schönes Wochenende.

Schon seit einigen Jahren bettelt Smiley in der Schweinfurter Innenstadt – oder wie er sagt: "schnorrt". Mittlerweile ist sein Stammplatz in der Spitalstraße, wo er beinahe jeden Tag für einige Stunden sitzt. Obdachlos ist der Punk jedoch nicht. Abends kommt er bei einem Freund in dessen Wohnzimmer unter.
Warum sich Smiley vor knapp zehn Jahren für das Leben auf der Straße entschieden hat
Laut dem aktuellen Wohnungslosenbericht der Bundesregierung zählt er deshalb zu den 49.300 verdeckt wohnungslosen Menschen. Sie selbst haben keinen festen Wohnsitz, kommen aber bei Freunden oder Verwandten unter. Dafür gebe es verschiedene Gründe: Mietschulden, Krankheit, Jobverlust – die Liste ist lang. Auf den gebürtigen Bad Brückenauer trifft jedoch nichts davon zu. Er hat sich freiwillig dafür entschieden, auf der Straße zu leben.
Anfang 2014 sei das gewesen, erzählt Smiley und holt ein Päckchen Tabak hervor. Er machte eine Bäckerausbildung, arbeitete drei Jahre lang als Lagerist bei einer Reifenfirma in Hammelburg, hatte eine eigene Wohnung. Die Arbeit habe ihm zwar Spaß gemacht, jedoch habe seine Gesundheit unter der körperlichen Anstrengung gelitten.
Außerdem habe es ihn geärgert, dass die Hälfte seines Lohns an den Staat ging. "Ich hatte die Schnauze voll, mich für die Oberen kaputt zu arbeiten", sagt er und dreht sich eine Zigarette. Schließlich kündigte er seinen Job und ging auf die Straße.

Seitdem schnorrte er in verschiedenen Städten, nahm an Demonstrationen teil und besetzte gemeinsam mit Kollegen aus der Punkszene Häuser. Außerdem reiste er fünf Jahre lang im Ausland herum und besetzte auch dort Häuser.
"Es ist eine Frechheit, dass wir so viele leerstehende Gebäude haben, wo es genug Menschen gibt, die auf der Straße leben. Sie könnten sich in den Häusern eine Kommune aufbauen und selbst versorgen", erklärt er sichtlich verärgert. Aber weil der Staat dadurch keine Miete einnehme, ließe er das nicht zu.
Die aktuelle Bundesregierung will Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 überwinden. Dafür sollen jährlich 400.000 Wohnungen gebaut werden, 100.000 davon Sozialwohnungen. Dieses Ziel verfehlte die Bundesregierung 2022 deutlich. Auch die weiteren Prognosen sehen nicht gut aus.
Mit seinem Aussehen zieht Smiley viele Blicke auf sich
Smiley zündet sich die Zigarette an, greift nach dem Becher und schüttet die Münzen in seine Handfläche. Zwischen den vielen Cent-Stücken sind auch einige Euromünzen, sogar ein Fünf-Euro-Schein. Eine gute Bilanz für einen Freitagvormittag, sagt der Punk. Das Geld steckt er in einen Geldbeutel. Dann stellt er den Becher zurück auf den Gehweg, an dem heute viele vorbeigehen. Manche grüßen.
Es wird Mittag. Smiley verstaut seine Decken in einem Rucksack und nimmt Machete an die Leine. Bevor er geht, vergewissert er sich, keinen Müll zurückzulassen. Nach einem kurzen Abstecher zum Bäcker macht er sich auf den Weg zur täglichen Gassirunde.

Auch unterwegs zieht er viele Blicke auf sich. Smiley scheint das jedoch nicht zu kümmern. Zwar werde er auch heute noch auf sein Aussehen angesprochen, doch seien die Menschen mittlerweile aufgeschlossener. Als er mit 14 Jahren zur Punkszene kam und begann, sich entsprechend zu kleiden und die Haare zu färben, habe es viel Streit mit seinen Eltern gegeben.
Der Punk war eine Möglichkeit aus seinem konservativen Umfeld auszubrechen
Das Umfeld, in dem er aufwuchs, war konservativ und katholisch, erzählt er und lässt sich in einem Park ins Gras fallen. "Dort will man, dass man so wird wie sie: brav zur Arbeit gehen, heiraten, Kinder kriegen." Der 31-Jährige verzieht das Gesicht. Auch heute noch scheint ihn der Gedanke abzustoßen.

Als er Punk wurde und aus der konservativen Enge seiner Heimatstadt ausbrach, verschlechterte sich das Verhältnis zu seinen Eltern drastisch. Daraufhin habe er mit 18 Jahren sein Elternhaus verlassen. Mittlerweile habe er jedoch wieder Kontakt zu ihnen, weil sie seine Lebensweise nun akzeptierten.
Gesellschaftskritisch sein und nonkonformistisch leben – das gefällt Smiley am Punk
Smiley wollte seinen eigenen Weg gehen und sich von niemandem vorschreiben lassen, wie er zu leben hat. In der Punkszene habe er diese Freiheit gefunden. "Dort lässt man sich nichts gefallen und macht, was man will", schwärmt er und muss lächeln. In der Szene werde viel gefeiert; die Musik ist gesellschaftskritisch und wütend. "Da habe ich mich einfach richtig gefühlt."
Auch mit den politischen Ansichten der Punks habe er sich zunehmend identifiziert: gegen Rassismus, Faschismus, Homophobie, Sexismus – und gegen das System, das versuche, Menschen schon im Kindergarten in Schubladen zu stecken und als Erwachsene auszubeuten.
"Für die Regierung musst du wie eine Maschine funktionieren, die irgendwann ausgetauscht wird, wenn sie unbrauchbar geworden ist", erklärt er leicht aufgebracht. Und bis dahin gebe der Staat vor, wie man zu leben hat. In solch einem System wolle Smiley nicht leben und beziehe deshalb auch keine Sozialleistungen. "Ich bin gegen den Staat, also will ich auch nichts von ihm."
Wenn Smiley von seiner Sicht auf die Welt spricht, wirkt er gut informiert. Er argumentiert ruhig und sachlich. Darauf angesprochen reagiert er überrascht. "Natürlich! Man muss doch wissen, was in der Welt abgeht, um mitreden zu können." Deshalb schaue er regelmäßig Nachrichten und informiere sich über das Internet.
Gedankenverloren reibt er über seinen rechten Oberarm, auf dem er sich selbst das Wort "Hass" tätowiert hat. "Ich habe eine Menge Hass in mir gegen das, was in der Welt so abgeht", erklärt er. Aktuell mache er sich Sorgen um den Zuwachs der rechten Szene und, dass die Partei "Der III. Weg" nun eine Zentrale im Schweinfurter Stadtteil Oberndorf hat.
Auch dagegen wehren sich seine Kollegen und er auf Demonstrationen. In größeren Städten sei der Protest auch schon mal zu Straßenschlachten ausgeartet. Einmal habe er wegen einer Sitzblockade eine Anzeige wegen "Nötigung des Straßenverkehrs" bekommen. Mittlerweile sei er jedoch ruhiger geworden.

Dann seufzt er schwer. Einige Minuten lang bleibt es still. Der 31-Jährige zupft gedankenversunken Grashalme aus der Wiese. "Ich will wieder zurück auf die Bauernhöfe, auf denen sich jeder anarchistisch selbst versorgt und Tauschgeschäfte miteinander führt", sagt er schließlich. Doch seine Miene verrät: Er weiß, dass das nur ein Traum ist.
Smiley ist noch immer glücklich mit seinem Leben auf der Straße
Natürlich habe ein Leben auf der Straße auch Schattenseiten. Nicht immer könne er seine Kosten durch das "Schnorren" decken, sagt Smiley. Auch habe es bereits Probleme mit dem Ordnungsamt und anderen bettelnden Menschen gegeben, die ihm einen Platz streitig machten.
Früher hätten ihn Passanten immer wieder beleidigt und Aussagen wie "Geh mal arbeiten" oder "Asoziale Zecke" an den Kopf geworfen, erzählt er. Mittlerweile sei es zwar seltener geworden, dennoch würden besonders ältere Leute immer wieder etwas gegen ihn murmeln, wenn sie an ihm vorbeilaufen.
Dennoch habe er seinen Entschluss, auf der Straße zu leben, nicht bereut. "Ich fühle mich frei, weil ich jeden Tag mein Leben selbst bestimmen kann und es mir die Regierung nicht vorgibt. Außerdem ist die Straße ein Teil von mir, und der Kampf gegen das System findet auch nur auf der Straße statt", sagt Smiley. Das ist seine Überzeugung, sein Leben.