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Sennfeld: "Egal ob China, Peru oder Sennfeld, Hauptsache billig": Gemüsebauern auf Schweinfurter Wochenmarkt kämpfen um Existenz

Sennfeld

"Egal ob China, Peru oder Sennfeld, Hauptsache billig": Gemüsebauern auf Schweinfurter Wochenmarkt kämpfen um Existenz

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    Setzt auf ökologischen Gemüseanbau: der Naturland-Betrieb Tietze aus Sennfeld, hier auf dem Wochenmarkt in Schweinfurt. Auf dem Bild (v.l.) Sohn Sebastian mit den Eltern Isolde und Gustav Tietze. Die Tietzes bauen derzeit auf 15 Hektar Gemüse an.
    Setzt auf ökologischen Gemüseanbau: der Naturland-Betrieb Tietze aus Sennfeld, hier auf dem Wochenmarkt in Schweinfurt. Auf dem Bild (v.l.) Sohn Sebastian mit den Eltern Isolde und Gustav Tietze. Die Tietzes bauen derzeit auf 15 Hektar Gemüse an. Foto: Rosie Füglein

    Mittwoch kurz vor Marktschluss auf dem Schweinfurter Wochenmarkt. Gemüsegärtner Christian Geyer und sein Sohn Peter hieven die Kisten unverkaufter Ware auf ihren Traktoranhänger. Es sind viele. Standnachbar Gustav Tietze ruft: "Christian, gehört der Besen da Dir oder mir? Ich meine, meiner schaute noch besser aus." "Das ist meiner", ruft Christian Geyer lachend zurück. "Der hat schon Patina."

    Die Szene erweckt den Eindruck, zumindest die Welt der Gemüsegärtner sei noch in Ordnung. Doch weit gefehlt. In Christian Geyer rumort es. Im Jahr 2000 übernahm er von den Eltern den Sennfelder Familienbetrieb mit 35 Hektar. Aktuell baut der 56-Jährige noch auf vier Hektar Gemüse an. Er hat wenig Zeit und redet nicht lange um den heißen Brei: "Wir verkleinern unseren Betrieb weiter und lassen ihn dann auslaufen. Mein Sohn ist zwar auch gelernter Gemüsegärtner, aber er sucht sich jetzt eine andere Arbeit. Dass er den Betrieb übernimmt, möchte ich nicht."

    Über Generationen hinweg versorgten Sennfelder, Gochsheimer und Schwebheimer Familienbetriebe nicht nur, aber vor allem die Stadt Schweinfurt und ihr Umland mit frischem Gemüse und heimischen Kräutern. Das milde Main Klima, fruchtbare Schwemmböden und ein solider Grundwasserstand machten es möglich.

    Wolfgang Deppert, Inhaber eines weiteren Sennfelder Familienbetriebs, erinnert sich: "Ganz viele Sennfelder Familien brachten ihr Gemüse einst mit der Schubkarre nach Schweinfurt auf den Markt – und zurück. 1989, als ich meine Abschlussprüfung als Gemüsegärtner absolvierte, gab es in unserem Ort noch rund 20 Familienbetriebe, die vom Gemüseanbau lebten. Jetzt sind es noch vier."

    Möchte nicht, dass seine drei Kinder unter den jetzigen Bedingungen in den Familienbetrieb einsteigen: Wolfgang Deppert, hier auf einem seiner Gemüseäcker in Sennfeld. Deppert baut auf sieben Hektar Gemüse, auf zwei Hektar Kartoffeln und auf sechs Hektar Getreide an.
    Möchte nicht, dass seine drei Kinder unter den jetzigen Bedingungen in den Familienbetrieb einsteigen: Wolfgang Deppert, hier auf einem seiner Gemüseäcker in Sennfeld. Deppert baut auf sieben Hektar Gemüse, auf zwei Hektar Kartoffeln und auf sechs Hektar Getreide an. Foto: Rosie Füglein

    Für die Kinder wünschen sich die Gemüsebauern Berufe mit Perspektive

    Depperts Kinder sind 18, 16 und 14. Eines hätte Interesse, den Betrieb zu übernehmen. Der 53-jährige Vater aber sagt: "Ich möchte, dass meine Kinder erst einmal einen anderen Beruf lernen. Einen mit Perspektive und mehr Wertschätzung, mit humanen Arbeitszeiten und fairer Bezahlung."

    Fragt man Christian Geyer, warum er seinen Familienbetrieb nicht an seinen Sohn Peter weitergeben will, nennt er zuallererst die ausufernde Bürokratie. "In meinem Büro habe ich mittlerweile 29 Ordner zu unterschiedlichen Themen stehen. Fast die Hälfte des Tages sitze ich im Büro, schlage mich mit Zertifizierungen, Schadstoff-Rückstandsnachweisen und vielen anderen Dingen herum. Kostbare Zeit, die mir auf dem Acker fehlt."

    Aber auch erschwerte Anbaubedingungen aufgrund zunehmender Wetterextreme, steigende Betriebskosten – etwa für Saatgut, Dünger und Energie – als auch Verbraucher, die in erster Linie auf den Preis schauen, machen den Gemüsegärtnern das Leben schwer und den Beruf madig. Geyer sagt: "Vielen Menschen ist es einfach gleichgültig, was in ihrem Essen drinnen ist, wo es herkommt, unter welchen Bedingungen es produziert wurde und welchen ökologischen Fußabdruck es hat. Egal ob China, Peru oder Sennfeld. Hauptsache billig."

    Aktuell gibt es noch rund 6.000 Gemüseanbaubetriebe in Deutschland. Im Jahr 2000 waren es noch mehr als 12.000. Das Höfesterben in der Landwirtschaft, das oft als notwendiger "Strukturwandel" schöngeredet wird, findet also auch im Gemüseanbau statt. Auch hier gilt: Wachse oder weiche.

    "Vielen Menschen ist es einfach gleichgültig, was in ihrem Essen drinnen ist, wo es herkommt, unter welchen Bedingungen es produziert wurde und welchen ökologischen Fußabdruck es hat."

    Gemüsebauer Christian Geyer.

    Sehen im Gemüseanbau und für ihren Sennfelder Familienbetrieb keine Perspektive mehr: Vater Christian und Sohn Peter Geyer, hier auf dem Wochenmarkt in Schweinfurt beim Abtransport ihres Gemüses nach Marktschluss. Sie bauen aktuell noch auf vier Hektar Gemüse an.
    Sehen im Gemüseanbau und für ihren Sennfelder Familienbetrieb keine Perspektive mehr: Vater Christian und Sohn Peter Geyer, hier auf dem Wochenmarkt in Schweinfurt beim Abtransport ihres Gemüses nach Marktschluss. Sie bauen aktuell noch auf vier Hektar Gemüse an. Foto: Rosie Füglein

    Der 34-jährige Gemüsegärtner Peter Geyer stellt nüchtern fest: "Als kleiner Familienbetrieb haben wir bisher fast alles selbst gemacht. Jetzt aber, wo Oma und Opa nicht mehr mitanpacken können, rechnet sich die Schufterei an sieben Tagen in der Woche nicht mehr. Selbst, wenn wir wachsen und Leute einstellen wollten, es findet sich kaum mehr einer, der diese Arbeit machen will. Man wird dreckig und schlecht bezahlt."

    In der Schweinfurter Berufsschule ist nur noch eine Auszubildende im Gemüsebau

    Die Zahlen des Zentralverbands Gartenbau untermauern Geyers Aussage: 2021 gab es in ganz Deutschland 222 Auszubildende im Gemüsebau. 2023 waren es nur noch 159. In der Berufsschule Schweinfurt gibt es aktuell eine Auszubildende im Gemüsebau.

    Sebastian Tietze ist ebenfalls Gemüsegärtner in Sennfeld. Seinen Naturland-Betrieb führt er gemeinsam mit seiner Frau und seinen Eltern. Die Zukunft, auch seine Zukunft, sieht der 37-Jährige in der ökologischen Erzeugung. Tietze sagt, er würde gerne mehr junge Leute ausbilden, "damit es weitergeht". Aber die Nachfrage sei mau, da würden auch die Schnuppertage und Praktika, die er anbietet, wenig helfen.

    Tietze nennt ein weiteres Problem, das ihm und seinen Kollegen zusetzt: "Der Ukrainekrieg und die Inflation haben die Kunden zuletzt noch preissensibler gemacht. Während die Nachfrage sank, sind aber die Betriebskosten gestiegen." Beim Gemüsebau komme bei schwankender Nachfrage erschwerend hinzu, dass die Ware verderblich und nicht lange lagerfähig ist.

    Nun könnte man sagen: halb so schlimm. Dann bewirtschaften weniger Betriebe größere Flächen, und unser Gemüse kaufen wir einfach im Supermarkt, wo es schließlich auch regionales Gemüse gibt. Das spart Personalkosten. Wachstum geht allerdings in der Regel mit Spezialisierung einher. Das heißt: Die Vielfalt nimmt ab.

    "Wenn die Gurke aus Holland 20 Cent günstiger ist als die Gurke aus Sennfeld, greifen die meisten zur günstigeren Gurke."

    Wolfgang Deppert, Gemüsebauer.

    Und hinter den Supermärkten stehen mächtige Einzelhandelskonzerne. Ihr Anteil bei der Gemüsevermarktung liegt in Deutschland bei rund 70 Prozent. Sie drücken die Preise der Lieferanten und machen mit günstigerer Konkurrenzware aus dem Ausland den heimischen Gemüseproduzenten oft das Geschäft kaputt. Manchmal passiert das sogar innerhalb eines Supermarkts. Wolfgang Deppert nennt ein Beispiel: "Wenn die Gurke aus Holland 20 Cent günstiger ist als die Gurke aus Sennfeld, greifen die meisten zur günstigeren Gurke."

    Der Schweinfurter Marktplatz um 1960, als auf dem Platz tatsächlich noch Markt war. Heute gibt es dort nur noch drei feste Marktstände mit regionalem Gemüse, allesamt Gemüsebaubetriebe aus Sennfeld. Bald könnten es noch weniger sein.
    Der Schweinfurter Marktplatz um 1960, als auf dem Platz tatsächlich noch Markt war. Heute gibt es dort nur noch drei feste Marktstände mit regionalem Gemüse, allesamt Gemüsebaubetriebe aus Sennfeld. Bald könnten es noch weniger sein. Foto: Schweinfurtfuehrer.de/Peter Hofmann, Fotograf unbekannt

    Da helfen auch Depperts Bemühungen nicht, Verpackungsmaterial und damit Plastikmüll zu reduzieren und heimisches Gemüse durch einen schlichten Aufkleber direkt auf der Ware zu kennzeichnen. Er sagt: "Manche Kunden entfernen den Aufkleber einfach und machen die Sennfelder Gurke an der Kasse so zur günstigeren holländischen Gurke." Zum Ärger des Supermarktbetreibers, der die unverpackte Sennfelder Gurke dann kurzerhand aus dem Sortiment wirft.

    Die Kultur, und nicht nur unsere Esskultur, wird sich stark verändern, wenn immer mehr kleine Handwerksbetriebe – seien es Gemüsebaubetriebe, Bäckereien oder Metzgereien – schließen. Man sollte sich fragen: Was wollen wir künftig essen und wie einkaufen? Wie wird es sich anfühlen, wenn wir bald über einen leergefegten Schweinfurter Marktplatz spazieren, wenn uns dort im Sommer keine vollreifen Kirschen mehr anlachen und keine gut gelaunte Marktverkäuferin mehr für einen Plausch bereitsteht?

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