Der Versuchsballon startete in der vergangenen Spielzeit an zwei Abenden im Museum Otto Schäfer vor 50 Zuschauern. Der Schweinfurter Intendant Christof Wahlefeld hatte sein eigenes Stück "Cry Baby" als szenischen Liederabend über das Leben der Hippie-Ikone Janis Joplin mit der Sängerin Laura Mann und dem Keyboarder Jan Reinelt auf die kleine Bühne gestellt. Mit so deutlichem Erfolg, dass schnell beschlossen wurde, den Song-Abend als große szenische Produktion im Theater der Stadt Schweinfurt im Gemeindehaus zu produzieren.
Seit Bestehen des Theaters der Stadt ist Wahlefeld somit seit 59 Jahren der erste Intendant, der das Wagnis eingeht, seine eigene Produktion hier im aufwändigen Maße zu produzieren. Seit Dezember wurde daran im Theater intensiv in jeder freien Minute gearbeitet. Insgesamt 186 Probenstunden kamen zusammen, um das Stück mit Leben, Licht und Sound zu erfüllen. Mehr als sechs Kilometer Kabel wurden verlegt, 14 Lautsprecher und 15 Mikrofone für die Bühnenshow installiert. Ein immenser Aufwand, der jetzt Premiere vor ausverkauftem Haus hatte.
Fokus auf innerlich zerrissene, junge Frau
Die amerikanische Rock- und Blues-Sängerin Janis Joplin war neben Jimi Hendrix und Jim Morrison eine der zentralen Symbolfiguren der Hippie-Szene. In seinem Stück stellt der Schweinfurter Intendant Christof Wahlefeld nicht den Mythos Janis Joplin in den Vordergrund, sondern fokussiert sich mit einer Song- und Textabfolge auf eine innerlich zerrissene, junge Frau, die mit nur 27 Jahren an einer Überdosis Heroin stirbt. Zerrissen zwischen Depression, Wut, Drogen, Alkohol und emotionalem Überschwang.
Die Bühne an diesem Abend reicht mit einem Laufsteg weit in das Publikum hinein, das wie in einer Arena direkt auf beiden Seiten und davor dicht verteilt sitzt. Schwarze Vorhänge mit Lichtleinwand im Hintergrund, die je nach Stimmung sich farblich verändert. Davor die fünfköpfige Band um Arrangeur und Keyboarder Jan Reinelt mit Gitarre (Ralf Gugel), Bass (Michael Weisel), Schlagzeug (Alexander Berger) und Cello (Philipp Hagemann). Als inszenatorischer Gag wird die Theaterbar in die laufende Vorstellung integriert, sodass jeder Zuschauer sich zu jeder Zeit mit diversen Getränken bedienen kann, während auf der Bühne der Whisky-Likör "Southern Comfort" (Joplins Lieblingsgetränk) gekippt wird.
Überragende Bühnenpräsenz von Laura Mann
Der Abend lebt und gewinnt aus verschiedenen Komponenten, die nahtlos ineinandergreifen und schon während der laufenden Vorstellung stehende Ovationen provozieren. Zum einen ist da die alles überragende Bühnenpräsenz von Laura Mann, die stimmlich und darstellerisch als Janis Joplin an die Grenzen des Möglichen geht, stimmlich mit solcher Wucht fast körperlich fühlbar wird. Mit Jan Reinelt und seiner fünfköpfigen Band hat sie kongeniale Bühnenpartner, die mit fetzigem Beat unterstützen, begleiten, führen. Leider auch mitunter vom Mischpult so eingestellt, als stünde man vor den Mauern Jerichos.
Den ganzen Handlungs- und Songablauf hat Wahlefeld als imposante Lichtshow mit 120 Scheinwerfern inszeniert (Bühnenbild und Licht Jochen Kuhn/Roger Vanoni), bei der man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt, durch Effekte fast dem Schwindel verfällt. Beim Drogenrausch bei "Try just a little bit harder" rotieren im Hintergrund der Bühne, an der Decke und den Wänden helle Zacken-Räder, im kalt-gleißenden Weißlicht, während Laura Mann mit weit ausgebreiteten Armen, wilder Gestik und starren Blicks Wortkaskaden ins Publikum abfeuert.

Im krassen Kontrast dazu, die wunderbar poetische Dämmerung eines langsamen Sonnenunterganges in Orangetönen bei "Bobby McGee", mit einer genialen Arrangement-Idee: Der musikalische Leiter Jan Reinelt lässt die üblichen Solo-Gitarren-Variationen des Songs vom Cello spielen und Philipp Hagemann, seines Zeichens Solo-Cellist der "Neuen Philharmonie Frankfurt", gelingt das so einfühlsam und intonationssicher, dass es dafür Szenen-Applaus gibt. Dazu passt nahtlos "Stay with me, Baby", zum Ende des Spektakels nicht nur thematisch wie ein letztes Puzzlesteil zum Gesamtbild. Es verleiht der ganzen Inszenierung im Finale auch einen weiteren Hauch Melancholie und Poesie.
Nur etwas mehr als 90 Minuten lang ist das Stück "Cry Baby", packend, mitreißend, gleichsam wuchtig und einfühlsam. Bezeichnend – es dauerte keine Sekunde nach dem letzten Ton und das ganze Haus erhob sich wie ein Mann zur stehenden Ovation. Zugaben unplugged an der Bühnenrampe für einen Abend, der nach 59 Jahren und drei vorherigen Intendanten ein neues Kapitel Schweinfurter Theatergeschichte geschrieben hat.
Weitere Vorstellungen mit Restkarten am 22. März um 19.30 Uhr und am 23. März um 17 Uhr unter Tel.: (09721) 51 4955.