Gerade für behinderte Menschen, noch dazu mit geistigen Defiziten, wie hier im Heim der Dr. Loew Soziale Dienstleistung in Gerolzhofen war es buchstäblich ein Kraft- und Balanceakt, dem sie sich in den vergangenen drei Jahren unterzogen. Umso höher ist ihre Leistung und die der mit dem AOK-Projekt „Sturzprävention in vollstationären Pflegeeinrichtungen“ betrauten Mitarbeiterinnen zu bewerten. Der Erfolg hat sich bereits eingestellt. Pflegedienstleiterin Sylweli Stork: „Wir hatten zuvor ein extrem hohes Sturzpotenzial und können jetzt schon sagen, dass die Zahl der Stürze deutlich zurückgegangen ist.“
Für die verantwortliche Pflegekraft als auch für Einrichtungsleiter Markus Metz steht aufgrund der gemachten positiven Erfahrungen fest, in Sachen Sturzprävention auf jeden Fall weiterzumachen. So bleiben die Bewohner im Training, erhöhen ihre Mobilität und wirken weiter dem Sturzrisiko entgegen.
Zertifikate als Bestätigung
Mit der Überreichung eines entsprechenden Zertifikats würdigte jetzt der Koordinator für das Sturzpräventions-Projekt bei der AOK-Direktion Schweinfurt, Edgar Wenzel, die erfolgreiche Teilnahme des Heimes in Gerolzhofen an der Aktion.
Von den insgesamt 40 Heimbewohnern haben rund 15 mitgemacht. Das ist unter diesen Voraussetzungen ein sehr hoher Anteil. So erhielt nicht nur die Einrichtung als solche, sondern auch jeder einzelne Teilnehmer von der AOK eine persönliche Urkunde als Anerkennung ausgehändigt.
Dass sie stets motiviert und mit großem Engagement bei den Trainingseinheiten mitmachten und mitmachen, hatten ihnen zuvor Sylweli Stork als auch ihre beiden weiteren „Trainerinnen“, die Pflegehelferinnen Cornelia Schwaab und Monika Körber bestätigt.
Und Einrichtungsleiter Markus Metz betont: „Die Aktion kam bei Bewohnern und Mitarbeitern super an. Eine tolle Geschichte, zumal die Auswirkung in der Praxis erlebbar ist.“ Das Ziel erreicht und das Zertifikat erhalten zu haben, sei dabei eine besondere Auszeichnung für das gesamte Haus, in erster Linie aber ein Verdienst aller beteiligten Bewohner und ihrer Betreuerinnen, so Metz.
Im Mittelpunkt des Projekts steht ein Trainingsprogramm für die Heimbewohner. Zweimal pro Woche kommen sie in einem Kreis von maximal zehn Personen für jeweils eine Stunde zusammen, um durch vorgegebene, ganz spezielle Übungen ihr Gleichgewicht zu trainieren und die Muskulatur zu stärken. Die Teilnehmer verbessern damit besonders ihre Steh- und Gehfähigkeit und gewinnen durch die verbesserte Motorik somit letztendlich an Sicherheit. Denn die Erfahrung lehrt, wer sich sicher auf den Beinen fühlt, stürzt nicht so schnell. Aber auch Geist und Gedächtnis werden bei den Zusammenkünften trainiert. So profitieren die Bewohner, die mitmachen, in mehrfacher Hinsicht.
Zum Einstieg hatten im ersten halben Jahr Übungen unter professioneller Anleitung des Gerolzhöfer Physiotherapeuten Alexander Klamet auf dem Programm gestanden. Danach übernahmen Sylweli Stork, Cornelia Schwaab und Monika Körber aus dem eigenen Haus die Regie.
Auch Krafttraining
Als Hilfsmittel bei den Übungseinheiten im weiteren Verlauf der drei Jahre dienen beim Aufwärm- und Gleichgewichtstraining vor allem Tücher, Seile oder Massagebälle. Zum Krafttraining kommen Hanteln und Gewichtsmanschetten hinzu, die an den Beinen angelegt werden.
Weitere wesentliche Bestandteile des Programms sind die Umsetzung des Expertenstandards, die Schulung der Pflegefachkräfte und eine umfangreiche Sturzdokumentation. Um auf tatsächliche und nicht nur „gefühlte“ Erkenntnisse zurückgreifen zu können, wird zu diesem Zweck jeder Sturz in der Einrichtung erfasst, auch wenn sich dabei niemand verletzt hat. Die dafür verantwortliche Sylweli Stork: „Um entsprechende Rückschlüsse und Konsequenzen daraus ziehen zu können, geht es vor allem darum festzustellen, wann haben wir die meisten Stürze, wo passieren sie und zu welcher Uhrzeit.“ Nicht selten komme es auch vor, dass Stürze durch unbeabsichtigte Stöße verursacht werden.
Sylweli Stork: „Es hat sich gezeigt, dass es solche Zeiten gibt, zu denen sich die Stürze häufen“. Besonders auffällig sei so in dem Pflegeheim in der Max-Plank-Straße die Zahl der Stürze am Wochenende und hier wiederum in den Nachmittagsstunden gewesen.
Und Edgar Wenzel ergänzt: „Uns geht es aber nicht nur darum, dass die Zahl der Stürze weniger wird, sondern auch und gerade um die Vermeidung schwerer Stürze, sprich dass die Stürze mit weniger starken Verletzungen abgehen, sodass die Betroffenen wieder bald auf die Beine kommen und ihre Mobilität nicht dauerhaft darunter leidet.“
Stürze in Pflegeheimen an der Tagesordnung
In den deutschen Pflegeheimen kommt es jährlich zu etwa einer Million Stürzen.
Die häufigste Diagnose sind Hüftfrakturen oder andere Knochenbrüche wie des Oberschenkelhalses. Operationen und oft langjährige Nachbehandlungen sind die Folge. Nach internationalen Studien erlangen rund 50 Prozent der Sturzpatienten ihre frühere Beweglichkeit nicht mehr zurück oder landen gar im Rollstuhl. Etwa 20 Prozent werden ständig pflegebedürftig.
Neben einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität sind mit den Sturzfolgen auch hohe Behandlungskosten verbunden. Die Teilnahme am Programm zur Sturzprävention erspart so zum einen den Leuten Schmerzen und der Kasse Kosten.
Hier setzt das Programm an, das auf dem so genannten „Ulmer Modell" basiert und von der AOK in Bayern seit fünf Jahren mit großem Erfolg angeboten wird.
Um das dreijährige Projekt zu ermöglichen, leistet die AOK nicht nur eine Anschubfinanzierung, sondern beteiligt sich auch an weiteren Kosten.
Übrigens ist die Teilnahme am AOK-Stürzpräventionsprojekt auch ein Pluspunkt für die jeweilige Einrichtung, wenn es um die Benotung und Bewertung der Pflegeheime durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) geht. Text: novo