Im Haus „Am Vogelschuss 1“ wohnt Destiny Müller mit ihrer Familie seit acht Jahren. Interessant fand sie das Gebäude schon immer. Vor allem den Keller „mit seinen ungewöhnlichen Beschriftungen“ und dicken Stahltüren. Dass das etwas mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hatte, wusste sie. Aber Genaueres eben nicht.
Als sie dann vom Geschichtswettbewerb für junge Menschen der Schweinfurter „Initiative gegen das Vergessen“ hörte, war das für die neugierige Schülerin der „Anstoß, meinen Fragen endlich genauer nachzugehen“. Die erst 14-Jährige recherchierte mit Unterstützung ihrer Tutorin, der Gästeführerin Karla Wiedorfer, die Geschichte des Wohnhauses und ergatterte den zweiten Preis. Die Jury prämierte vor allem die „außergewöhnliche Idee“.
Wie alt ist Haus?, wer hat es gebaut?, wer hat im Haus gewohnt?, standen vorher andere Häuser am Standort? Wo und wie die passenden Antworten finden? Sie marschierte in die Tourist-Info und geriet an Karla Wiedorfer. „Anfangs war ich skeptisch, aber ich habe ihr Potenzial gespürt und gemerkt, dass sie das machen will“, erinnert sich Wiedorfer an den ersten Kontakt.
Es sollte sich als ideale Kombination herausstellen, weil Destiny die Anregungen der erfahrenen Tutorin aufgriff.
Die Idee, mit der Geschichte der Umgebung und markanten Gebäuden in der Nachbarschaft einzusteigen, hatte Destiny selbst. Ein Foto von 1900 zeigt den Standort noch mit Obstbäumen und Weingärten. Die Autorin erinnert an den Festplatz der Bürgerlichen Schützen, die ihren Vogelschuss, daher der Name, in der Nähe feierten. Sie schildert den Bau des Brauhauses 1912 und stellt die Schillerschule vor, die Destiny als Grundschülerin besuchte. Dereinst hieß sie Hans-Schemm-Schule, nebenan war die Feuerwehr beheimatet, ein Foto zeigt historische Fahrzeuge auf dem Schulhof.
Auf dem Grundstück an der Ecke zur Schützenstraße plante das Landesfinanzamt Würzburg für seine Mitarbeiter ein „reichseigenes Beamtenwohnhaus“, drei Geschosse, sechs Parteien. Die Stadt vermittelte das Grundstück, das damals zur Hälfte dem Verein „Waisen- und Rettungshaus Marienthal“ und der Hospitalstiftung gehörte. Die Firma Riedel war Baufirma. Am 1. August 1929 war Start, Fertigstellung war schon am 5. März 1930.
Destiny Müller studierte dazu alte Bauakten und Pläne, die sie im hilfreichen Bauamt einsehen konnte. Das Finanzamt musste damals einen Beitrag zum Ausbau der abzweigenden Straße leisten. Anfangs hieß die noch Jahnstraße (heute heißt die Straße gegenüber so), dann kurzfristig Neue Straße. Noch während der Bauzeit wurde daraus die Straße Am Vogelschuss.
Die Bewohner: Für ihre intensive Recherche wälzte Destiny ganze Jahrgänge von Adressbüchern. Sie wurde auch fündig, obwohl das Haus in den Adressbüchern bis 1935 noch immer unter Jahnstraße 5 lief. Die Schülerin listet in ihrer Arbeit auf, wer wann aus- und wer wieder einzog. Für den Regierungsrat Einödshöfer etwa kam 1936 Regierungsrat Dr. Krampert ins Haus, das nicht mehr nur Beamten, sondern nun auch einen Angestellten und einen Mechaniker beherbergte. Ihr ist auch aufgefallen, dass in den sechs Wohnungen zehn Parteien genannt waren. Es waren Untermieter, mutmaßt sie wohl zurecht.
Neben dem öffentlichen Bunkerbau, basierend auf dem so genannten Luftschutz-Führersofortprogramm, wurden besonders in Schweinfurt nicht nur Bunker für die Allgemeinheit, sondern verstärkt auch Schutzräume mit Notausstiegen, Belüftungssystem und Toiletten in den Kellern von Privathäusern geschaffen. So auch im Haus Am Vogelschuss 1. Der größte Raum bot 13 Menschen Platz, einer war reserviert für den Hauswart, seinen Vertreter und einen Sanitäter, wie erhaltene Inschriften zeigen.
Destiny ging in diesem Zusammenhang auch der Frage nach möglichen Zerstörungen am Haus oder in der Umgebung nach. Ein Trefferplan nach den Luftangriffen am 24. und 25. Februar zeigt, dass direkt im Garten eine Sprengbombe explodierte. Die Schäden Am Vogelschuss 1 seien laut Katasterplan der Stadt aber als „leicht eingestuft“ worden, die „beiden Nachbarhäuser trugen größere Schäden davon“. Das Brauhaus erhielt übrigens drei Treffer, die Hans-Schemm-Schule (Schillerschule) blieb verschont.
Nach dem Krieg: Das erste Adressbuch erschien 1950 und gemeldet sind zwölf Familien. Destiny weist als Grund auf die herrschende Wohnungsnot hin. Aufgefallen ist ihr, dass zum ersten Mal weibliche Inhaber mit Kindern aufgeführt sind und dass bei zwei Bewohnern 1950 der Telefonanschluss vermerkt ist. 1958 habe sich die Wohnungssituation „in Schweinfurt wieder etwas entspannt“, schreibt die Autorin unter Hinweis auf sechs im Haus lebende Familien. Destiny schließt mit den Sanierungen in den 1990er-Jahren, veranlasst vom Freistaat, der das Haus von der Bundesfinanzverwaltung gekauft hatte. Seit 2007 befindet es sich das nun 85 Jahre Haus Am Vogelschuss im Privatbesitz.
Destiny Müller hat ein halbes Jahr hart recherchiert. „Ja, das war Arbeit“, sagt sie ihre Recherchen über das Haus, das noch viele Geschichten birgt. Ihr zweiter Preis wurde mit 300 Euro honoriert. Destiny hatte bei der Preisverleihung die Lacher mit dieser Anekdote auf ihrer Seite: Wer Destiny besuchen will, fährt erst mal zum Volksfestplatz, wo der Vogelschuss der Bürgerlichen Schützen heute stattfindet.