"Dieses Dasein stinkt uns" – die Obdachlosen-Gang schreit und stampft ihren Frust heraus. Musiklehrer Michael Styppa ist zufrieden: "Genau, diese Aggressivität müssen wir auf die Bühne bekommen."
Es ist die dritte Szene aus dem Musical "Annie", die an diesem Nachmittag in der Aula des Celtis-Gymnasiums geprobt wird. Sie spielt im Central Park im New York City der 1930er-Jahre, wo es damals zwischen der 79. und 86. Straße ein Elendsviertel gab. Diese sogenannten Hoovervilles entstanden vorwiegend infolge der Weltwirtschaftskrise in den USA und sind nach dem damaligen Präsidenten Herbert C. Hoover benannt worden.
In dem heruntergekommenen Stadtviertel leben Obdachlose in Notunterkünften. Ersatzweise dienen die Stühle aus der Aula als Blechhütten. Ronja schiebt einen alten Einkaufswagen vor sich her. "Kannst du humpeln?", fragt Andreas Maier. Der stellvertretende Schulleiter führt gemeinsam mit seiner Kollegin Katharina Döhner Regie. Ein Obdachloser, der humpelt, sei authentischer. Die Szene wird gleich nochmal geprobt, mit einer perfekt humpelnden Ronja. Gelächter im Auditorium.
Musical-Tradition wiederbeleben
Es wird viel gelacht an diesem Nachmittag. Den Schülerinnen und Schülern macht es sichtlich Spaß. Musical-Aufführungen haben Tradition am Celtis-Gymnasium. Früher gab es sie alle zwei Jahre. Während der Corona-Zeit sind die Bühnendarbietungen dann zum Erliegen gekommen. Das letzte Musical ist 2019 aufgeführt worden. Musiklehrer Michael Styppa will die Musical-Tradition nun wieder aufleben lassen. In Andreas Maier hat er einen erfahrenen Partner gefunden. Der stellvertretende Schulleiter leitete bereits an seinem vorherigen Einsatzort am Gymnasium Bad Neustadt eine Theatergruppe und übernimmt gemeinsam mit Katharina Döhner den Schauspielunterricht, während Styppa den musikalischen Part einstudiert.

Apropos Musik: Bei "Annie" wird ganz großes Orchester aufgefahren, mit Bläsern, Streichern, Chor und Solisten. Aus allen Ensembles sind Schülerinnen und Schüler dabei, von der sechsten bis zur zwölften Jahrgangsstufe. Für die Solisten-Rollen gab es ein Casting. Klar, dass hier die Besten vom Celtis ausgewählt wurden: Johanna Glos ist Hauptdarstellerin Annie. Auch Katie Nuttal und Helene Gebhardt glänzen in Solistenrollen. Alle drei sind aus der von Canan Semel geleiteten Pop-Gesangs-Klasse der Musikschule Schweinfurt und Siegerinnen des Bundeswettbewerbs "Jugend musiziert 2022". Weitere Hauptdarsteller sind Dimitri Schmautz, Julia Müller, Merle Kern und Maria Vollmer.

Johanna Glos gibt gleich eine Kostprobe ihres Könnens mit "Tomorrow", dem wohl bekanntesten Lied aus dem Musical. Tonumfang, Lautstärke und die Intervallsprünge machen es zu einem besonders anspruchsvollen Solo. "Die Sonne wird strahlen schon morgen, darauf wett' ich alles. Denn schon morgen ist sie hier, denkst du nur ganz fest an morgen. Dann vergisst du ganz schnell deine Sorgen, glaube mir", singt Johanna Glos mit glockenklarer Stimme. Wunderschön.
Parallelen zur heutigen Zeit
Annie ist ein elfjähriges Mädchen, das die lieblose Atmosphäre in einem New Yorker Waisenhaus Anfang der 1930er-Jahre satthat und sich auf die Suche nach ihren Eltern macht. Dabei trifft sie auf die Obdachlosen im Hooverville im Central Park, lernt den Milliardär Oliver Warbucks kennen, der sie später adoptiert, und macht sogar die Bekanntschaft von US-Präsident Roosevelt.
Das Musical verarbeitet Themen wie Einsamkeit, Furcht und politische Unruhen und knüpft damit auch an die Aktualität gesellschaftlicher Diskussionen an. "Diese Parallelen zur heutigen Zeit sind gut und wichtig", sagt stellvertretender Schulleiter Maier. Annie lebe den American Dream, indem sie an ihre Träume glaubt und für eine bessere Zukunft kämpft. Ihre Geschichte zeige, dass auch in den dunkelsten Zeiten Hoffnung und Mut existieren können.

Rund 50 Schülerinnen und Schüler sind an der Aufführung des Musicals beteiligt. Noch ist vieles improvisiert. Die heiße Probenphase beginnt jetzt erst. Denn bis vor einer Woche steckten die Zwölftklässer noch mitten im schriftlichen Abitur. Für fast alle Darstellerinnen und Darsteller ist eine Musical-Aufführung Neuland. "Das Singen auf der Bühne kostet schon Überwindung", gibt Mia zu. Aber es mache Spaß. "Ihr müsst alle Töne lang aushalten", gibt Musiklehrer Styppa fachkundige Tipps. Und lauter singen. Bei der Aufführung werden dann alle Headsets tragen, das macht es leichter, aber auch komplizierter. Für die Technik wird deshalb ein Profi engagiert.

Und noch was gibt es zu beachten: "Übers Headset hört man alles", warnt Schauspiellehrer Maier vor zu lautes Schlürfen der Suppe bei der Obdachlosen-Speisung. Wieder Gelächter.
Das Bühnenbild, großformatige Fahnen mit der New Yorker Skyline der 1930er-Jahre, hat die Kunstfachschaft angefertigt. Das Werbeplakat wurde vom Regieteam erstellt. Und die Kostüme werden vom Staatstheater Meiningen ausgeliehen. "Es ist ein Mammutprojekt", sagen Styppa und Maier. "Aber es macht uns allen riesig Spaß."
Musical AnnieDas Musical "Annie" basiert auf dem bekannten Comic "Little Orphan Annie" von Harold Gray. Die bekanntesten Stücke sind "It's a hard knock life" (Dieses Leben stinkt) und "Tomorrow" (Morgen). Komponiert wurde das Musical von Charles Strouse, die Gesangstexte stammen von Martin Charnin, das Buch wurde von Thomas Meehan verfasst.Die Show lief mehr als 3200-mal am Broadway und wurde mehrfach verfilmt. Das Musical war bereits für 11 "Toni Awards" nominiert und gewann in den Kategorien "best Book, best choreography, best costume, best musical, best original scene, best performance, best scenic design".Das Celtis-Gymnasium präsentiert Annies Geschichte am Dienstag, 9. Juli, um 19 Uhr in der Schulaula. Drei weitere Aufführungen gibt es am 10., 11. und 12. Juli jeweils um 19 Uhr.Quelle: Stuttgarter Off Broadway Theater Company GmbH