Es gibt Theaterabende, da steckt der Teufel im Detail und das, wenn man Pech hat, während der gesamten Vorstellung. So geschehen jetzt bei der Premiere von George Bizets Opernklassiker "Carmen" mit der "Compagnia d‘Opera Italiano di Milano" im Theater der Stadt Schweinfurt Gemeindehaus. Eigentlich wäre das Desaster gar nicht aufgefallen, wäre nicht plötzlich der halbe dritte Akt ersatzlos gestrichen worden, während ein hektischer Regisseur (soweit der Begriff "Regisseur" hier seine Berechtigung findet) bei plötzlichen Umbauten im Halbdunkel über die Bühne stolpert.
Nur, was war geschehen? Schon zu Beginn der Premiere war zu beobachten, dass Schweinfurter Bühnenarbeiter immer wieder an den Bühnen-Monitoren herum werkelten, während das Orchester hinter einem Vorhang unsichtbar für Sänger, Chor und Publikum musizierte. Dirigent Alvaro Lozano sollte über die Monitore den Protagonisten auf der Bühne ihre Einsätze geben – nur fielen die Bildschirme an diesem Abend komplett aus.
Sänger und Chor "flogen" also mehr oder minder im Blindflug durch die Vorstellung. Das ging so lange gut, bis sich die Sängerin der Micaela (die vielleicht schönste Stimme des Ensembles, mit einem herrlich lyrischen Sopran und dezenterer Strahlkraft in der Höhe) im dritten Akt weigerte unter diesen Bedingungen weiterzusingen. Und schwupp, landete das Publikum übergangslos schon in der mörderischen Schlussszene.
Diese "Carmen" hatte es also schon von Anfang an "in sich". Die "Compagnia" lieferte (wie bei der furiosen Operngala am Abend zuvor) ein Stimmfest aller höchster Güte. Alessandra Massini war eine überragende Carmen, mit einer sehr ausdrucksvollen, gerade für die Titelrolle immens wichtigen Tiefe. Wenn sie, während der ersten beiden Akte, als verführerische Zigeunerin ihren Sergeanten Don Jose umgarnt, dann lächelt sie mit Gesicht und Stimme – immer schön den rechten Arm dominant in die Hüfte stemmend.
Wie narzisstisch-verblendet diese Carmen aber wahrhaftig ist, wird erstmals im zweiten Akt klar, wenn sie böse imitatorisch, mit gehässigem "traterata" die zur Pflicht rufenden Trompeten nachäfft. Die Stimme von Alessandra Massini bekommt dann metallische Härte, ohne jede Sinnlichkeit. Spätestens dann beginnt einem der hormongeplagte Don Jose von Vladimir Reutov leid zu tun.
Reutov, der vermeintliche Schwächling der Oper, hat die stärkste Stimme von allen, mit einer metallischen Durchschlagskraft. Er entfaltet sich zudem auch als Darsteller im Laufe des Stückes immer mehr – bis hin zum überragenden Duett in der Schlussszene, in der beide wieder zusammentreffen. Je länger sich sein Flehen hinzieht, um so abweisender, zynischer, überheblicher wird diese freiheitsliebende Carmen, bis zum im Fortissimo fast heraus gespuckten: "Libre elle mourra" – Frei will ich sein, auch im Tod. Der gute Jose kann gar nicht anders als den Dolch zu zücken - das Ende ist bekannt (und wird von einer Blondine neben mir mit "So eine blöde Kuh" kommentiert).
Die "Compagnia" wäre auch mit der kompletten Oper durch Stimmkraft und musikalische Qualitäten wieder ein Glücksgriff des Intendanten Christof Wahlefeld gewesen, wäre da nicht das komplett einfallslose Regiekonzept, mit dem man zu dieser Premiere angereist war. Keine unterstützenden Stimmungswechsel – nichts! Eine Stunde vor Publikumseinlass wurde von den Schweinfurter Technikern noch daran gebastelt, zumindest etwas Lichtgestaltung auf die Bühne zu bringen.
Für die nächste Saison ist mit der "Compagnia" Puccinis "La Boheme" angedacht. Gerne wieder mit Stimmschönheit und Stimmkraft, wie bei dieser "Carmen" und einem blendend aufgelegten "Orchestra di Cortona" und der Leitung eines passionierten Dirigenten Alvaro Lozano – der nächste Glücksgriff. Aber dann bitte auch komplett ausgeleuchtet und mit einem schlüssigen Inszenierungskonzept – professionell, nicht engagiert laienhaft.