Leben retten hat Vorrang. Für Dr. Benedikt Stubner, seit September 2023 Chefarzt in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) am Leopoldina-Krankenhaus, fasst das am besten zusammen, was Menschen in Notaufnahmen leisten. Leben retten hat Vorrang: Das bedeutet aber auch, dass derjenige, der zum Beispiel nach einem Unfall um sein Leben kämpft, logischerweise schneller behandelt wird als der, der beim Joggen umgeknickt ist. "Es geht einzig und allein nach Dringlichkeit", so Stubner.
Doch regelmäßig hagelt es Kritik wegen Wartenzeiten in Notaufnahmen. "Ein großes Thema, das ist nicht schweinfurtspezifisch", meint der Chefarzt. Offenbar ist die Frage der Dringlichkeit der Behandlung nicht jedem klar, der einige Stunden warten muss, bis er einen Arzt oder eine Ärztin sieht.
Vor der Aufnahme und dem Arztkontakt steht die Ersteinschätzung durch eine speziell geschulte Pflegekraft. Danach entscheidet sich, welche von fünf Dringlichkeitsstufen zutrifft. Rot steht für akute Behandlung, orange für vorrangige Behandlung, gelb für dringliche Behandlung, grün für aufschiebbare Behandlung und blau für nicht dringende Behandlung. Rot und orange trifft übrigens auf den kleinsten Teil der Patienten zu. Die meisten fallen in die Kategorie grün und gelb, so der Chefarzt.

Wie arbeiten wir? Warum kommt es zu Wartezeiten? Bei einer gut besuchten Infoveranstaltung gibt Stubner zusammen mit Leitendem Oberarzt Dr. Sebastian Hümmer und Anja Klein, stellvertretende Bereichsleiterin Pflege, einen Einblick.

Stubner spricht von einem starken Zuwachs der Notaufnahme-Patienten in ganz Deutschland. 2022 kamen in Schweinfurt 30.000 Menschen in die Notaufnahme, im Jahr darauf 32.000, und im vergangenen Jahr 37.500. Grund für die Zunahme seien fehlende Hausärzte, die Schwierigkeit, einen Facharzttermin zu bekommen. "Manche wissen sich nicht anders zu helfen, als zu uns zu kommen." Auch Klinikschließungen führten zu einem Anstieg der Besuche in Notaufnahmen. Stubner machte aber auch deutlich: Notaufnahmen können keine ambulanten Strukturen ersetzen.

Die ZNA am Leopoldina sei so ausgelegt, dass 50.000 Patienten im Jahr behandelt werden könnten. Sechs Ärzte und Ärztinnen, 12 Medizinische Fachangestellte und 40 Pflegekräfte gehören zum Team. Man habe auf die steigenden Zahlen reagiert, zum Beispiel einen zusätzlichen Rufdienst für die Unfallchirurgie eingeführt. 15 weitere Pflegekräfte werden eingestellt. "Wir entwickeln uns weiter", sagt Stubner. Außerdem wurden die Schichten an die Zeiten angepasst, in denen erfahrungsgemäß die meisten Patienten kommen.
Im Durchschnitt zwischen 110 und 130 Patienten an einem Wochentag
110 bis 130 Patienten und Patientinnen werden durchschnittlich an einem Wochentag behandelt, 80 bis 100 an Wochenenden und Feiertagen. 60 Prozent werden ambulant behandelt, gehen danach wieder nach Hause, so Stubner.
Nach der Anmeldung kommt die Ersteinschätzung
Was passiert, wenn ein Patient in die Zentrale Notaufnahme kommt? Egal, ob zu Fuß oder mit Rettungsdienst? Erste Station nach der Anmeldung ist die Ersteinschätzung. Ziel: "Rausfischen, wer uns am Dringendsten braucht." Eine Pflegekraft fragt nach Beschwerden, nach Schmerzen, nach Erkrankungen. Sie entscheidet, in welche der fünf Kategorien der Patient fällt.
Ein Zuhörer fragt, ob es manchmal Sprachschwierigkeiten gebe. Ab und an sei es herausfordernd, so Anja Klein. Aber mithilfe von google-Translator oder Teammitgliedern, die die jeweilige Sprache können, habe man noch immer herausgefunden, wo es wehtut.

Die Kategorie Rot sieht sofort einen Arzt, Orange schnell, Gelb zeitnah. Grün wird so bald wie möglich behandelt, bei Blau komme auch eine Behandlung in einer Bereitschaftspraxis oder beim Hausarzt infrage. Das muss allerdings ein Arzt entscheiden, so lange wartet dann der jeweilige Patient.
Stubner schildert einige Beispiele, weswegen Leute in die ZNA kommen. Mit Schnupfen zum Beispiel. Die ZNA kann hier nicht helfen, auch wenn derjenige lange gewartet hat. Hier empfehle sich ein Gang zur Apotheke, um ein frei erhältlichen Schnupfenmittel zu holen oder ein Besuch am nächsten Tag beim Hausarzt. Die ZNA kann übrigens weder Rezepte noch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen. Auch das sei nicht allgemein bekannt.

Wer Hilfe suchend in die ZNA kommt, aufgenommen wird, kann übrigens aus rechtlichen Gründen nicht einfach weggehen, wenn es ihm zu lange dauert. Ein Arzt oder eine Ärztin muss sich ihn erst anschauen.
Benedikt Stubner zeigt später auch noch einen Schockraum in der ZNA. Am Tag vorher kämpfte hier ein 20-köpfiges Team um das Leben einer Frau, die bei einem Unfall mit einem Lastwagen schwer verletzt worden war. Da wird man als Zuhörer schon sprachlos, wenn Stubner die Probleme einer anderen Notfall-Patientin schildert. Die Frau hatte eine neue, rote Haarfarbe ausprobiert. Sie war mit dem Ergebnis unzufrieden und wollte Hilfe, weil ihre Ohren auch Farbe abbekommen hatten.