"Das war scho a bisserl was!" Helmut Böhm erinnert sich gut daran, als der Ellertshäuser See gebaut wurde. Der heute 85-Jährige war damals 20 Jahre alt und lebte auf dem landwirtschaftlichen Hof der Eltern in Altenmünster. Das Tal des Sauerquellenbachs, der mit zwei Dämmen zwischen Ebertshausen und Fuchsstadt aufgestaut wurde, gehörte damals zum ehemaligen Landkreis Hofheim.
Eine Firma aus Nürnberg sei mit schwerem Gerät für den Dammbau angerückt. "Solche großen Maschinen kannten wir hier nicht." Denn wer in den 1950er-Jahren auf dem Land ein Haus baute, musste Pickel und Schaufel in die Hand nehmen. "Das war alles Handarbeit", betont Ehefrau Erna. Klar, dass der Dammbau die Bevölkerung neugierig machte und Schaulustige anlockte. Auch Helmut Böhm ist "halt mal hin".

Die Geschichte besagt, dass dort, wo sich heute der See befindet, früher die Wüstung Ellertshausen lag. Sie war um das Jahr 1000 von Mönchen gegründet worden. Diesen Ort vermutet so mancher ja heute noch auf dem Grund des Sees, allerdings ist noch nie die Kirchturmspitze zum Vorschein gekommen. Auch nicht 1983, als das Wasser wegen Sanierungsarbeiten komplett abgelassen wurde. Auf dem Seegrund befindet sich nur das sogenannte Ablassbauwerk, ein Stahlbetonbau mit Schieber und Rohren, über den der Wasserspiegel reguliert wird. Das muss jetzt wieder saniert werden. Deshalb wird der See zum zweiten Mal in seiner 65-jährigen Geschichte entleert. Der Ablasschieber ist am 29. September geöffnet worden.
Früher gab es auch im Schweinfurter Oberland Gemüseanbau
Apropos Geschichte: Die ist etwas kurios. Die Idee, in dem Wiesengrund des Sauerquellenbachs einen See aufzustauen, hatte Georg Weiler. Er war Bürgermeister in Fuchsstadt und stellvertretender Landrat in Hofheim. Und er war Landwirt und als solcher Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands. Wie manch anderer Bauer auch, baute er Sonderkulturen an. "Mein Großvater hat die Sachs-Kantine mit Gemüse beliefert", weiß Enkel Bernhard Weiler. Gemüse braucht viel Wasser, wenn es wachsen und entsprechende Qualität haben soll. Das fehlte in der Region, weil das Schweinfurter Oberland auf der fränkischen Trockenplatte liegt.

Auch die Milchvieh-Bauern litten unter dieser Trockenheit. "Wir hatten nur unser Grünfutter und für den Winter Rüben", erzählt Helmut Böhm. Mais wurde damals kaum angebaut, Silage war noch unbekannt und Futtermittelzukauf hätte sich keiner leisten können. Bauernvertreter Georg Weiler hatte in seiner Weitsicht dann die Idee, einen Wasserspeicher anzulegen. 1000 Hektar Feld sollten daraus beregnet werden. Später sollte sich herausstellen, dass dieses Unterfangen für die Bauern viel zu teuer geworden wäre.
Für den Dammbau wurde eine Nürnberger Firma engagiert
Aber der Reihe nach. Weiler initiierte die Gründung eines Wasser- und Bodenverbandes, über den der Bau des Ellertshäuser Sees erfolgte und der spätere Bewässerungsbetrieb abgewickelt werden sollte. Mitgliedsgemeinden waren Stadtlauringen, Oberlauringen, Wettringen, Fuchsstadt, Altenmünster und Ebertshausen (heute Landkreis Schweinfurt) sowie Aidausen und Nassach (heute Landkreis Haßberge). Für den Dammbau wurde eine Nürnberger Baufirma engagiert. Bernhard Weiler – inzwischen 73-jährig – weiß noch, dass der leitende Bauingenieur im Haus der Großeltern wohnte und ihn manchmal mit zur Baustelle nahm. "Ich war damals ein Schulbub und bekam immer ganz leuchtende Augen."

Wo heute der See ist, war zu dieser Zeit ein Wiesental, durch das der Sauerquellenbach floss. Der 73-Jährige hat noch das Bild vor Augen, wie dort die Bagger im Dreck herumwühlten, und das Geräusch in den Ohren, wenn die große Rüttelplatte beim Verdichten des Damms auf den Boden gekracht ist. "Das hat richtig gescheppert."
Zuschüsse flossen nicht wie erhofft
Er erinnert sich auch noch, als der Hang am Südufer planiert und abgeholzt wurde, um dort Baugrundstücke für Ferienhäuser zu schaffen. Das Gelände gehörte dem Wasser- und Bodenverband. Dieser hatte in der ganzen Region verstreut Grundbesitz, den die Mitgliedsgemeinden bei der Gründung des Verbands als Grundstock eingebracht hatten. Weil die Zuschüsse nicht so flossen wie erhofft, die Baufirma aber bezahlt werden musste, wurde kurzerhand das Areal zum Baugebiet ausgewiesen. "Das war eine mords Aktion", weiß der Enkel. Der gesamte Hang habe voller Baumwurzeln gelegen.

Der Erlös aus den Grundstücksverkäufen floss in den Bau des Stausees, und der Verband kam auf diese Weise in den Besitz einer Ferienhaussiedlung. Bis zur Auflösung des Verbands im Jahr 2016 befanden sich die Siedlungsstraßen noch im Eigentum des Wasser- und Bodenverbands.
Zwischen 1957 und 1958 wurde der See geflutet
Bis zur Fertigstellung der Dämme lief alles nach Plan. Der See wurde zwischen 1957 und 1958 geflutet. Talabwärts bei Fuchsstadt wurden auch noch vier Staustufen im Sauerquellenbach errichtet, über die bei entsprechendem Zufluss aus dem See die angrenzenden Äcker hätten bewässert werden sollen. Doch es kam nie dazu. Pumpen hätten gekauft und Rohre zu den Äckern verlegt werden müssen. Um das zu finanzieren, hätten die Landwirte sich finanziell beteiligen müssen. Pro Hektar zu bewässerndes Feld sollten sie 100 D-Mark zahlen, weiß Bernhard Weiler. Dazu seien viele Bauern nicht bereit gewesen. Das Interesse an einer Bewässerung schwand. Der Anbau der Sonderkulturen wurde aufgegeben, die Landwirtschaft umstrukturiert.

Bis zum Schluss habe der Großvater für seine Bewässerungsidee gekämpft, sagt Bernhard Weiler. Als der engagierte Bauernvertreter 1959 dann bei einem Jagdunfall ums Leben kam, war das hehre Ziel endgültig gestorben. Was blieb, waren ein Schuldenberg und ein See, der betreut und gepflegt werden musste. Erna Böhm erinnert sich, dass am Wochenende Ausflügler, die mit dem Auto zum See kamen, abkassiert wurden, damit Geld hereinkam.
Der Freizeit- und Badetourismus sei damals aber noch nicht so ausgeprägt gewesen. "Die meisten von uns konnten ja gar nicht schwimmen." Und die wenigsten hätten Muse für solche Vergnügungen gehabt. "Wir mussten ja unter der Woche schwer arbeiten." Auch sie hat in ihrer Kindheit in der Landwirtschaft der Eltern mitgeholfen. Manchmal sei sie am See spazieren gegangen.
Gut zehn Jahre versuchte der Wasser- und Bodenverband, den 33 Hektar Fläche umfassenden See zu hegen und zu pflegen. 1970 veräußerte er ihn dann an den Freistaat Bayern. Heute dient der See hauptsächlich dem Hochwasserschutz sowie der Freizeit und Erholung. "Es war ein schönes Tal, ich seh' den Wiesengrund noch vor mir", denkt Helmut Böhm an die Zeit vor dem Bau des Sees zurück. "Jetzt haben wir halt Wasser dort, das ist auch schön."