Den Bergrheinfeldern werden die Augen tränen, wenn das Szenario Wirklichkeit wird, das der Vorsitzende der örtlichen Bürgerinitiative (BI) gegen SuedLink, Norbert Kolb, bei einer Informationsveranstaltung im Pfarrheim an die Wand beamt. Auf der Google-Grafik wimmelt es nur so von roten und gelben Punkten, Linien und Pfeilen rund um das Bergrheinfelder Umspannwerk.
Grob gesagt: Das Gelbe symbolisiert die bestehenden 150 Strommasten, das Rote die geplanten oder noch denkbaren Stromtrassen und Strommasten neben dem Bau von SuedLink und P43. Ganz neu: Es könnten sogar noch Windräder dazu kommen. "Es sind alles Vermutungen", betont Kolb. Begründet seien sie aber auf Erfahrungen und Daten, denen als Quelle Angaben der Bundesnetzagentur und der Geodaten-Atlas Bayern zugrunde liegen. Kommt es so wie Kolb befürchtet, dann werden nicht nur die Bergrheinfelder betroffen sein. "Die Zeche zahlt der Bürger, Bergrheinfeld, die komplette Region."
Wird Energie noch bezahlbar?
Der Informationsabend, zu dem die Bürgerinitiative "Bergrheinfeld sagt Nein zu SuedLink" eingeladen hat, soll klarmachen, "worauf wir zulaufen". Darauf nämlich, so Kolb, dass Energie immer mehr zum Luxusgut wird. Das Thema des Abends lautet daher: Wird Energie noch bezahlbar? Ist unsere Energieversorgung gesichert?

Rund 70 Zuhörerinnen und Zuhörer sind ins Pfarrheim gekommen, unter ihnen Bürgermeister Ulrich Werner und örtliche Gemeinderäte, aber auch Interessierte aus Nachbargemeinden und Kommunalpolitiker aus Nachbarlandkreisen. Als Referenten hat die Bürgerinitiative den bundesweit bekannten Verfechter der dezentralen Energiewende, Rainer Kleedörfer, eingeladen. Er verantwortet die Unternehmensentwicklung der N-ERGIE Aktiengesellschaft und ist fachlicher Sprecher für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung der Europäischen Metropolregion Nürnberg.

BI-Sprecher Norbert Kolb zeigt vorab mit anschaulichem Bildmaterial, wie Bergrheinfeld seit dem Jahr 2006 scheibchenweise immer mehr aufgebürdet wird: zuerst das neue Umspannwerk West, dann die Konverterhalle, danach SuedLink und obendrauf noch die P43. Wenn alles einmal gebaut ist, so befürchtet die Bürgerinitiative, wird Bergrheinfeld zum zentralen Stromumschlagplatz.
Bergrheinfeld als Drehscheibe für die Stromverteilung
Hintergrund all dieser beschlossenen Projekte ist ein durch die Übertragungsnetzbetreiber und die Bundesnetzagentur prophezeiter Strommangel im industriestarken Süddeutschland, der mit der Abschaltung der Kernkraftwerke entsteht und durch intensiven Zubau erneuerbarer Energien in Norddeutschland bzw. in der Nordsee ausgeglichen werden soll. Der dort entstehende Strom muss dann über weite Strecken mittels neuer Leitungen von Norden nach Süden transportiert werden, da der Bestand nicht ausreicht. Die Region Bergrheinfeld soll dabei als Drehscheibe bei der Durchleitung und Verteilung des Stroms dienen.
"Wir waren naiv", sagt Norbert Kolb. Man wollte der Energiewende nicht im Wege stehen. Erst 2016 habe man gemerkt, was wirklich läuft: "Alle Projekte SuedLink & Co haben nichts mit einer Energiewende zu." Das sei ein Endloskabel ohne Anschlussmöglichkeiten. "Ein räudiger Beschluss aus 2008."

Wenn Kolb sich in die Zukunft hinein denkt, befürchtet er, dass Bergrheinfeld noch viel mehr Leitungen, Masten und Konverter bekommen wird. Denn im aktuellen Bericht der Bundesnetzagentur zum Zustand der Verteilernetze ist der Raum Schweinfurt als Engpassregion ausgewiesen. Kolb schlussfolgert daraus: Um den Erneuerbaren Strom zur Schweinfurter Industrie zu bringen, "muss ein SuedLink 2 gebaut werden". Das neue Umspannwerk sei dafür gerüstet. Es ist auf bis zu 10 Gigawatt Leistung ausgelegt, SuedLink und P43 bringen nur 2,5 Gigawatt. "Da wird doch klar, was hier zukünftig ansteht."
Und noch etwas hat Kolb herausgefunden: Das 50 Hektar große Gelände, das sich Tennet in den vergangenen Jahren rund um Felsenhof und Umspannwerk zusammengekauft habe, sei jetzt als Windvorranggebiet ausgewiesen. Das heißt: Hier können auch noch Windräder gebaut werden. Kolb spricht von der "neuen Skyline von Bergrheinfeld".
Stromversorgung soll bis 2035 klimaneutral sein
Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Die Stromversorgung soll bereits im Jahr 2035 nahezu vollständig auf Erneuerbaren Energien beruhen. Um das zu erreichen, hat der Bundestag am 12. Mai über das sogenannte Osterpaket beraten, ein Bündel gesetzlicher Initiativen zur Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien.

Was das bedeutet, zeigt Rainer Kleedörfer auf. Seiner Berechnung zufolge müssen die bisherigen Ausbauziele bis 2030 aus dem Stand verneunfacht werden. "Das ist eine irrsinnige Menge." Allein bei der Photovoltaik müsste ab 2025 eine Leistung von 20.000 Megawatt zugebaut werden. Dazu bedürfe es zehntausende Hektar an Fläche.
Laut Kleedörfer gewährleisten die Erneuerbaren dabei gar keine sichere Stromversorgung. Auch, weil der Stromverbrauch mit Zunahme der Elektromobilität 2030 viel höher als heute liege. Als Lückenfüller setzt man bislang auf Erdgas, das sukzessive durch Wasserstoff ersetzt werden soll. Mit dem Ukraine-Krieg seien diese Pläne zunichte gemacht. "Es wird kein einziges Kraftwerk gebaut werden", prognostiziert Kleedörfer. Deutschland steuere auf eine massive Unterversorgung mit Strom hin.
Schon jetzt werde offen diskutiert, ob es im kommenden Winter genügend Strom und Erdgas gibt und welche Bevölkerungsgruppe zuerst im Dunkeln sitzt oder frieren muss. Doch selbst wenn der prognostizierte Energiemangel nicht eintritt, sieht Kleedörfer ein Riesenproblem, die Energie in die Dörfer und Städte zu bringen. "Das Netz ist voll." Schon jetzt gebe es massive Engpässe im Verteilnetz, die sich weiter verschärfen würden. Der Fokus der Politik sollte deshalb auf den Ausbau der Stromverteilnetze und nicht auf die Stromübertragungsnetze gerichtet werden. Mit den aktuellen Trassenplanungen werde der zweite Schritt vor dem ersten gemacht.
Photovoltaik-Anlagen in der nordafrikanischen Wüste bauen
In der Diskussion gibt es wertvolle Anregungen aus dem Publikum. Ein Vorschlag: Vorhandene Gasleitungen für den Transport der Erneuerbaren Energien umrüsten. Ein anderer: Batteriespeicher für Photovoltaik-Betreiber finanziell attraktiver machen. Oder: Photovoltaik-Anlagen in der nordafrikanischen Wüste installieren, die Energie in Wasserstoff umwandeln und damit die Nordhalbkugel energetisch versorgen. Noch besser die Idee von Bürgermeister Ulrich Werner: Einfach mal Energie sparen. Ein Drittel Einsparung sei ohne großen Komfortverlust möglich, meint er.
Kleedörfer hält alle Ideen für machbar. Wenn aber Energie immer teurer und die Sicherheit der Energieversorgung immer ungewisser werde, sei die Akzeptanz der Erneuerbaren Energien ernsthaft in Gefahr. Deshalb seine Forderung an die Politik: den Rahmen für eine sichere, bezahlbare und zunehmend klimaneutrale Energieversorgung schaffen. "Nur in diesem Dreiklang wird die Energiewende gelingen."