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Gerolzhofen: Familie Wiosha: ein Musterbeispiel für gelungene Integration

Gerolzhofen

Familie Wiosha: ein Musterbeispiel für gelungene Integration

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    Auf dem Wiosha-Grabmal an der Stadtpfarrkirche von Gerolzhofen ist die junge Margaretha Wiosha dargestellt.
    Auf dem Wiosha-Grabmal an der Stadtpfarrkirche von Gerolzhofen ist die junge Margaretha Wiosha dargestellt. Foto: Klaus Vogt

    Die interessante Sonderausstellung "Woher – wohin" in der Rüstkammer des Alten Rathauses am Gerolzhöfer Marktplatz zeigt, dass Mobilität und Migration seit Jahrhunderten prägende Elemente unserer Gesellschaft sind. Ein alter Grabstein an der Südseite der Stadtpfarrkirche ist ein Hinweis darauf, dass bereits im 17. Jahrhundert ausländische Menschen sich in der Stadt ansiedelten. Denn auf dem Stein ist der ungewöhnliche Name "Margaretha Wioshin" zu lesen.

    Im ausgehenden 16. Jahrhundert beginnt in der mainfränkischen Region die Zuwanderung von Kaufleuten aus Savoyen, einer Gegend im heutigen Grenzgebiet zwischen Frankreich, Italien und der Schweiz. Ihnen folgen hochspezialisierte Gerber aus Wallonien, Bautrupps mit Zimmermännern und Steinmetzen aus Graubünden und Tirol, Stukkateure aus dem Tessin. Sie alle prägen die Region nachhaltig. Unter anderem zeigen die Fremden den einheimischen Gerolzhöfer Handwerkern, dass man auf den Weißen Turm und auf den Eulenturm statt den hier üblichen Spitzhelmen eine hübsch anzuschauende Zwiebelhaube aufsetzen kann. Diese glockenförmigen Dächer werden auch heute noch als "welsche Haube" bezeichnet, wobei der Begriff "welsch" damals so viel wie fremdländisch und südländisch bedeutete.

    Der Eulenturm in Gerolzhofen trägt eine "welsche Haube", eine besondere Konstruktionsform, die südländische Zimmermänner mit nach Franken brachten. 
    Der Eulenturm in Gerolzhofen trägt eine "welsche Haube", eine besondere Konstruktionsform, die südländische Zimmermänner mit nach Franken brachten.  Foto: Silvia Gralla

    Der Grund für die Auswanderung insbesondere aus Savoyen ist aber nicht in der Armut zu suchen. Vielmehr sahen die dortigen wohlhabenden Kaufleute in der Emigration eine Chance auf Expansion ihrer Geschäfte. Sie waren gut miteinander vernetzt und sorgten später dann, wenn sie in der Fremde sesshaft geworden waren, durch Angebote für Ausbildung und Mitarbeit an die Daheimgebliebenen für einen weiteren Nachzug.

    Schnell integriert

    Neue Forschungen, unter anderem von Christian Naser, belegen, dass es den Zugezogenen meist schon in der ersten Generation durch Einheirat gelingt, sich in die hiesige Gesellschaft zu integrieren. Das Ganze wurde begünstigt, weil sowohl die Migranten als auch die Einheimischen (wieder) der traditionellen katholischen Religion angehörten.

    Die Familiengeschichte der "Wiosha" in Gerolzhofen ist geradezu ein Paradebeispiel, wie diese Integration ablief. Diese "welschen Kaufleute" aus Savoyen gründeten mindestens vier Familien in der Stadt, wenngleich ihr fremdländisch klingender Familienname nur für recht kurze Zeit in der Stadtgeschichte wie eine Sternschnuppe hell aufleuchtete und dann wieder erlosch.

    Der erste Kaufmann aus Savoyen, der zur Zeit von Fürstbischof Julius Echter nach Gerolzhofen gekommen sein dürfte, war Charles Viochat. In den Steuerlisten der Stadt und den Matrikelbüchern der Pfarrei wird er als Carol Wiosha geführt, sein Name wird also "eingefränkischt". Carl wurde Ende des 16. Jahrhunderts in Megève in Savoyen geboren, hat die Savoyen-Expertin Franziska Raynaud erforscht. Als Geburtsort von Carl wird in den Gerolzhöfer Archivalien allerdings stets "Messiva in Sovay" angegeben. Warum dies so ist, und ob es sich vielleicht um einen phonetischen Übertragungsfehler handelt, bleibt unklar.

    Reiche Kaufmannstochter

    Dieser "Carolus Wiosha soveius" (soveius heißt so viel wie "aus Savoyen") heiratet am 19. Juli 1601 die gut betuchte Gerolzhöfer Kaufmannstochter Ottilia Fischer, deren Vater am Marktplatz im heutigen Fachwerkhaus Jahn eine gutgehende Krämerei betreibt. Als Schwiegersohn übernimmt er kurz danach sowohl das prächtige Anwesen, das einen Wert von 350 Gulden hat, als auch das Krämergeschäft, das bei der Besteuerung mit 300 Gulden angesetzt wird.

    Im Fachwerkhaus Jahn betrieb Carl Wiosha einen gut gehenden Krämerladen.
    Im Fachwerkhaus Jahn betrieb Carl Wiosha einen gut gehenden Krämerladen. Foto: Klaus Vogt

    Der Eintrag der Hochzeit ist der erste schriftliche Beleg für den Aufenthalt von Carl Wiosha in Gerolzhofen. Wie lange er vorher schon in Gerolzhofen war, bleibt im Dunkeln. Eine eigene Immobilie hatte er zunächst nicht. Höchstwahrscheinlich hatte er sich schon einige Monate oder gar Jahre zuvor in einem Gebäude eingemietet oder einen der Verkaufsstände am Tuchhaus oder am Rathaus betrieben. Auf jeden Fall gelingt es ihm, als fremder Zugewanderter das Herz eines der reichsten Töchter der Stadt zu gewinnen. Mutmaßlich wird sein Werben aber auch dadurch begünstigt worden sein, dass er nicht gänzlich unvermögend war.

    Mindestens vier Kinder

    Drei Kinder von Carl und Ottilia sind in den Taufbüchern zu finden: Im Jahr 1603 wird Margaretha geboren, 1608 kommt Sohn Georg Conrad zur Welt und 1610 Tochter Ottilia. Carl Wiosha selbst stirbt bereits 1611. Mutmaßlich gingen aus der Ehe noch mehr Kinder hervor, allerdings wurden die Matrikel damals zeitweise recht schlampig geführt, so dass es über sie keine Details gibt. Sicher ist aber, dass es zumindest noch ein viertes Kind gab: die Tochter Barbara. Von ihr ist nur ihr Hochzeitstermin bekannt. Im Jahr 1628 heiratet sie den reichen Schuhmacher Hans Lang aus dem heutigen Anwesen Willacker/Theobald in der Rügshöfer Straße. Im Matrikelbuch beschreibt sie der Gerolzhöfer Pfarrer als "Barbara, Caroli Wioshae, olim civis, relicta filia", also als hinterlassene Tochter des einstigen Bürgers Carl Wiosha. 

    Unter dem Jahr 1627 findet man dann den Hinweis, dass noch immer zwei unmündige Kinder "des Carol Wiosha seelig" unter Vormundschaft stehen, möglicherweise sind damit Georg Conrad und Ottilia gemeint. Beide Kinder haben noch Geldforderungen aus dem Verkauf ihres Elternhauses am Marktplatz an den neuen Eigentümer Martin Heilmann. Das Überraschende dabei: Vormund der beiden Kinder ist ein weiterer Wiosha – Johann, ihr Onkel.

    Gesellschaftlicher Aufstieg

    Dieser Johann Wiosha wurde als Jean Viochat ebenfalls in Megève geboren und wahrscheinlich von seinem Bruder Carl nach Gerolzhofen gelotst. Wie Carl taucht auch Johann nicht in den Gerolzhöfer Archivalien auf, ehe er am 21. Januar 1603 Elisabeth Schwab heiratet. Wie seinem Bruder Charles eineinhalb Jahre zuvor, gelingt es auch Johann Wiosha, schnell in höchst angesehene gesellschaftliche Kreise der Stadt aufzusteigen.

    Elisabeth Schwab ist – zumindest von ihrer Finanzausstattung her – die begehrteste Bürgertochter der Stadt. Am 21. Januar 1603 gibt die Gerolzhöferin dem Einwanderer aus Savoyen im Steigerwalddom ihr Ja-Wort. Ihr Vater Melchior Schwab betreibt am Marktplatz die größte Krämerei der Stadt. Heute steht an dieser Stelle das barocke Schäflein-Anwesen (Bäckerei und Café Schmitt).

    An der Stelle, wo früher das Kaufhaus des Johann Wiosha war, steht heute dieses barocke Haus.
    An der Stelle, wo früher das Kaufhaus des Johann Wiosha war, steht heute dieses barocke Haus. Foto: Klaus Vogt

    Vier Jahre später, anno 1607, wird der Schwab-Schwiegersohn Johann Wiosha in den Steuerbüchern bereits als neuer Eigentümer des Hauses mit einem enormen Wert von 600 (!) Gulden geführt. Seine Krämerei wird ebenfalls mit 600 Gulden taxiert. Die beiden Einwanderer-Brüder Carl und Johann betreiben nun beide am Marktplatz, nur durch ein Nachbaranwesen voneinander getrennt, zwei gut gehende Krämereien. Eine wahre Erfolgsgeschichte.

    Riesiges Vermögen

    Die Geschäfte laufen ausgezeichnet, denn 1621 besitzt Johann neben seinem Wohn- und Geschäftshaus am Markt zusätzlich noch eine große Behausung am Dingolshäuser Tor und gemeinsam mit dem bischöflichen Vogt Ferdinand Karrer eine große Scheune beim Amtshaus. Auffallend ist sein großes Barvermögen. Laut der fürstbischöflichen Münzordnung entsprechen die Münzen von "allerlei Sorten" einem Wert von 2465 Gulden. Sein riesiges zu versteuerndes Vermögen inklusive des umfangreichen Grundbesitzes beträgt im Jahr 1621 exakt 7382 Gulden – obwohl anno 1619, zu Beginn des 30-Jährigen Kriegs, durchziehende Soldaten in seinem Haus und "am zerbrochenen Hausrat" noch große Schäden hinterlassen hatten.

    Das Sortiment, das Wiosha in seiner Krämerei anbietet, sind sowohl Dinge des täglichen Gebrauchs als auch besondere Kostbarkeiten. So kauft die Pfarrei bei ihm im Laden regelmäßig die Kerzendochte für die Stadtpfarrkirche, edle Stoffe und Kelchtüchlein. Und als die Stadt 1632 bei einem feindlichen schwedischen Offizier, einem "Capitän", mit einem Silberbecher im Wert von 32 Gulden um schonende Behandlung der Gerolzhöfer Bevölkerung heischt, liefert Wiosha die gewünschte Kostbarkeit. Sein Reichtum zieht natürlich immer wieder auch zwielichtige Typen an. Im Jahr 1626 beispielsweise wird Wiosha Opfer eines Diebstahls. Dem gefassten Dieb werden später die zwei Schwurfinger abgehauen.

    Öffentliche Ämter

    Wioshas wirtschaftlicher Erfolg geht einher mit dem gesellschaftlichen Aufstieg. Bereits seit 1609 engagiert sich der Mann aus Savoyen in Gerolzhofen als Einnehmer der Bethsteuer, der damaligen Grundsteuer. Mit Geld kann er ja gut umgehen. Am 8. Januar 1619 wird Wiosha dann als Nachfolger des verstorbenen Jörg Geiger in den Stadtrat aufgenommen. Dort übernimmt er in den Folgejahren abwechselnd die verschiedensten Ressorts: Er ist Unterbürgermeister, Fleischschätzer, Fischschauer, Oberbethmeister,  Oberbaumeister, Waldvisitator, Schulvisitator, Oberspitalmeister und Visitator der städtischen Waage. 1625 und 1630 ist Jean Viochat aus Savoyen dann sogar der Oberbürgermeister der Stadt Gerolzhofen.

    Auf dem Grabstein an der Stadtpfarrkirche ist auch heute noch gut der Name von Margaretha Wiosha zu lesen.
    Auf dem Grabstein an der Stadtpfarrkirche ist auch heute noch gut der Name von Margaretha Wiosha zu lesen. Foto: Klaus Vogt

    Über die Familienverhältnisse von Johannes Wiosha ist wenig zu eruieren. 1632 stirbt der Einwanderer am 25. September im Alter von 61 Jahren und wird auf dem städtischen Friedhof an der Kirche, nicht weit von seinem Geschäftshaus entfernt, beigesetzt. Seine Witwe Elisabeth stirbt – auf den Tag genau zwei Jahre später – am 25. September 1634 und wird an seiner Seite zur letzten Ruhe gebettet.

    Ein Grabmal für die Tochter

    In den heute noch vorhandenen, allerdings unvollständigen Taufmatrikeln sind keine Kinder des Ehepaares eingetragen. Mindestens eine Tochter müssen beide aber gehabt haben: Margaretha Wioshin. Sie taucht als "Tochter von Hansen Wiosha" sowohl als Taufpatin als auch als Betreuerin von 18 Firmlingen in Archivalien auf. Das Grabmal an der Südseite der Stadtpfarrkirche wurde zu ihrer Erinnerung errichtet. Aus der dortigen Inschrift lässt sich ableiten, dass Margaretha am 10. März 1606 geboren wurde und am Montag, 18. Dezember 1623 verstarb. Die "tugendsame Jungfrau" blieb offenbar die einzige Tochter des reichen Krämer-Ehepaares. 

    Auch wenn das Kunstwerk heute in Teilen schon stark verwittert ist, eines lässt sich noch immer erkennen: Das Ehepaar Wiosha hat damals keine Kosten gescheut und sich nach dem besten erreichbaren Bildhauer umgetan, um für die geliebte Tochter ein Grabmal zu errichten. Um welchen Künstler es sich dabei gehandelt hat, ist allerdings nicht zu recherchieren.

    Aufwändiges Kunstwerk

    Anhand historischer Fotos lässt sich die originale Schönheit des Kunstwerks noch erahnen. Unter einem Volutengiebel bildet ein Relief den Hauptteil des Denkmals. Es zeigt die schmerzhafte Muttergottes mit dem Leichnam Christi auf ihrem Schoß zwischen zwei trauernden Engeln, im Hintergrund das leere Kreuz. In der Mitte kniet die Gestalt eines Mädchens in weitem Gewand, mit der damals typischen Halskrause, mit nach hinten herabfallenden Zöpfen und mit dem Rosenkranz in den gefalteten Händen.

    Das Wiosha-Denkmal an der Stadtpfarrkirche ist mittlerweile schon stark verwittert. 
    Das Wiosha-Denkmal an der Stadtpfarrkirche ist mittlerweile schon stark verwittert.  Foto: Klaus Vogt

    Rechts und links von dem Mädchen steht zu lesen: "Vox ultima: Jesus. Maria" – die zwei letzten Worte also, die Margarethe auf ihrem Sterbebett gesagt haben soll. Den Abschluss des Grabsteins bildet eine querovale, mit Rollwerk und geflügelten Engelsköpfen geschmückte Inschriftkartusche, auf der der Name der Verstorbene und ihre Lebensdaten zu lesen sind.

    Nachdem Johann und Elisabeth Wiosha gestorben waren, gab es keinen direkten Nachkommen, der das Erbe antreten konnte. Neuer Eigentümer ihres Geschäftshauses wird deshalb der Stadtrat Jacob Schwab, mutmaßlich der Neffe von Elisabeth Wiosha. Auch er ist Krämer und betreibt in der Marktstraße (heute "Schuhhaus am Markt") einen großen Gemischtwarenladen. Schwab zieht ins repräsentative Haus am Marktplatz um und verpachtet sein Haus in der Marktstraße.

    Welsche Mühle

    Im Jahr 1636 kauft der schwerreiche Jacob Schwab die im Schwedenkrieg ruinierte Erlesmühle (die heutige Werners-Mühle in der Dreimühlenstraße) und baut sie wieder auf. Die Mühle wird in alten Urkunden fortan als "welsche Mühle" bezeichnet – ganz offensichtlich galt also auch für den Ratsherr Schwab noch der Hausname "welsch", der auf seinen Onkel Johann Wiosha zurückgeht. Übrigens: Anno 1690 ist dann ein Hans Peter Müller der Pächter dieser Mühle. Müller ist gebürtiger Venezianer, also tatsächlich im wahrsten Sinn des Wortes ein "welscher Müller".

    Carl und Johann Wiosha – zwei Brüder aus Savoyen in Gerolzhofen. Doch dabei blieb es nicht. In der bewährten Tradition des Familiennachzugs wird einige Jahre später eine weitere Wiosha nach Franken gelotst: Johanna Wiosha "aus Messiva in Saffoy" (womit wieder Megève in Savoyen gemeint ist). Wahrscheinlich ist sie eine Schwester von Carl und Johann. Am 27. August 1612 heiratet sie den Gerolzhöfer Hans Döll. Dieser ist – es ist kaum überraschend – auch ein reicher Krämer, der einen Laden in seinem Haus am Marktplatz an der Ecke zur Spitalstraße (später Parfümerie Köhler) betreibt. Das heißt: Es gab damals drei Kaufhäuser in bester Lage am Marktplatz – und in allen dreien waren die geschäftstüchtigen Zuwanderer aus Savoyen involviert.

    Viertes Glied der Sippe

    Doch damit nicht genug. Als viertes Glied der Wiosha-Sippe taucht 1624 der ledige Krämerjunge "Petrus Wiosha, Nicolai filius de Missiv in Savoy" in Gerolzhofen auf, der als Pierre Viochat ebenfalls in Megève geboren wurde und mutmaßlich ein Neffe von Carl und Johann war. Erstmals aktenkundig wird er, als er bei einer Schlägerei während der Brünnstädter Kirchweih anno 1624 durch mehrere Hammerschläge schwer verletzt wird. 1633 wird er dann als Bürger von Gerolzhofen aufgenommen und heiratet Katharina Multer, die Tochter eines reichen Bäckermeisters aus der Frankenwinheimer Straße. Das Ehepaar hat nur eine Tochter, Anna Wiosha.

    Peter Wiosha stirbt am 20. Februar 1637. Und mit ihm auch der Familienname Wiosha.

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