Grün und dicht steht der Wald, zwischen Mainleite, Peterstirn und Höllenbach. Vielerorts haben Wildsauen den feuchten Boden zerwühlt. Es ist gar nicht so einfach, ein gutes Dutzend Grenzgänger zu finden, das nach Markierungen Ausschau hält: Keine Geocacher, sondern Mitglieder einer altehrwürdigen, eingeschworenen Gemeinschaft.
Zum ersten Mal seit acht Jahren schauen Feldgeschworene aus Schonungen und Mainberg sowie ihre Schweinfurter Amtskollegen nach den Steinen, entlang der vielleicht neun Kilometer langen, gemeinsamen Grenze.
"Siebener" haben den Frieden gehütet
Schon im mittelalterlichen Franken haben die "Siebener" penibel Ackerränder und damit den Frieden gehütet. Ebenso die Abmarkungen in Wald und Flur, aber auch inmitten der Stadt. Schweinfurt hat tatsächlich eigene Siebener, rund um Obmann Peter Baum, ebenso Oberndorf. In der Bauerngasse habe man unlängst einen jahrhundertealten Feldnagel gefunden, unterm Pflaster, berichtet Baum. Bei den Grenzsteinen dienten vergrabene Geheimzeichen als Schutz gegen das Verrücken.
Einen Vormittag lang geht es über Stock und Stein, vorbei an Kleingärten, Wanderern und Bikern. "Ihr seid hier auf Mainberger Gebiet", teilt Hermann Müller einer Gassigeherin mit. "Wir sind eigentlich auch aus Schonungen", schmunzelt der Obmann aus Schonungen. Bereits 1987 haben die dortigen Feldgeschworenen mit den Mainbergern fusioniert.
In Schonungen sind die Namen der Obleute seit 1885 überliefert. Es sind Namen, die von Verantwortung und Vertrauen künden: Georg Popp, Johann Spath, Franz Füglein, Adam Schonunger, Josef Brand (der erste nach der Zusammenlegung 1987), Karl Wirth und, von 2008 bis 2015, Werner Scheuring. Müllers Amtsvorgänger war zudem Kreisobmann und hat gerade erst den "Goldenen Senkel" erhalten. Den Orden am Bande gibt es mittlerweile auch im Landkreis Schweinfurt, für Grenzschützer, die 40 Jahre oder mehr tätig waren. Senkel meint das Lot, das sicherstellt, dass die Grenzsteine wirklich passgenau gesetzt werden, an Wegkurven, Ecken, Geraden.
Hier stießen früher Staaten aufeinander
Natürlich gelangen Stadt- wie Kreisbewohner heutzutage ohne Probleme über die grüne Grenze. Aber die nummerierten Grenzsteine sind eine Erinnerung daran, dass hier in feudalen Zeiten eigene Staaten aufeinander gestoßen sind. Das Kürzel "SS" zeigt den Rand der Stadt Schweinfurt an. Das "W" auf der Rückseite meint laut Hinweistafel an Stein Nr. 219 das Hochstift Würzburg. Amt Mainberg wurde 1542 von den Hennebergern gegen Meiningen getauscht und war dann bis zur Säkularisation 1802 fürstbischöflich. Aus dieser Zeit stammt die heutige Grenzlinie.
"StW" steht für Staatswald, teilt Historiker Thomas Horling auf Nachfrage mit, als Fachmann für die Geschichte der Mainleite. "KW" war zuvor der Königliche Wald, der sich hier als Jagdrevier erstreckt hat, rund um die 200 Jahre alte, frisch renovierte Forststation Dianenslust. Nach der Revolution 1918 endeten die royalen Lustbarkeiten im Wald, der Freistaat Bayern zog ein.
Los geht der Rundgang an der Mainleite, neben der Sachs-Eiche. Die Siebener, zu der mit Silke Fiedler auch eine Schonungerin zählt, haben viel vor. Stein 260 bis 144 soll aufgespürt, von Moos und Schmutz saubergebürstet, per Farbsprühdose bepunktet, der Abstand gemessen und der Zustand protokolliert werden.
"Eigentlich sollte alle drei Jahre kontrolliert werden", sagt Hermann Müller, spätestens alle fünf Jahre. Nach fast einem Jahrzehnt Waldesruh sind manche Steine trotz Karte schwer zu finden. Mal wurden sie unterm neuen Waldweg einplaniert oder vom Gebüsch überwuchert. Oder sie sind ganz verschwunden: "Der nächste Stein ist Hardcore", heißt es an einem fiesen Steilhang. Dass Exemplare gezielt im Main versenkt wurden, ist aber nur ein "Inside Gag." Von Bächen werden sie manchmal schon überspült.
Das Amt des Siebeners wird hierzulande ernst genommen. Würzburgs Fürstbischof Julius Echter hat da Maßstäbe gesetzt, mit der "Steinsetzerordnung" von 1585. Ein Stein mit Echterlogo bleibt leider im Unterholz verschwunden. Verantwortlich für die Grenzen sind heute die Vermessungsämter, aber ohne vereidigte Siebener der Gemeinden geht auch im Satellitenzeitalter wenig. In den Familien Baum und Müller wurde das Ehrenamt vererbt. Ansonsten wird angefragt, wer geeignet scheint.
Hermann Müller, Landwirt auf dem Schonunger Kaltenhof, zeigt stolz einen fein gedrechselten Stab, zum Nachsondieren. Der hat schon Opa Eustachius Halbig gehört und könnte an die 200 Jahre alt sein. Grenzen müssten gewahrt werden, ist der Obmann überzeugt, vor Ort wie in der Weltpolitik.
Für frische Luft und Bewegung ist auf jeden Fall gesorgt. Am Ende geht es in ein dichtes Brennnesselfeld, auf der Suche nach einem Stein am Höllenbach. Eine feierliche Grenzbegehung für die Schonunger Bürger, die könnte sich Obmann Müller für 2025 vorstellen – mit der Möglichkeit zur kleinen Spende in die Siebenerkasse.