"Ukraine heute wie damals ... Flucht und Heimat" war der Titel eines Abends, zu dem die SPD 60Plus und der Bundestagsabgeordnete Markus Hümpfer eingeladen hatten. Drei Schicksale, drei Geschichten standen im Mittelpunkt. Schicksale, die eines vereint: die Flucht aus der Heimat, der Ukraine.
Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, Männer und Frauen, alte und junge. Vorne steht Peter Arndt, der Autor des Buches "Wetterseite der Bäume". Es ist Koljas Geschichte, die der gebürtige Wiesentheider erzählt; und die seiner Familie. Denn die Hauptfigur seines Romans hat Arndt an die Erzählungen seines Vaters Nikolaus angelehnt.
Koljas Odyssee: Flucht und Überleben im Zweiten Weltkrieg
In der Romanbiografie "Die Wetterseite der Bäume" entfaltet sich die eindrucksvolle Geschichte des elfjährigen Kolja, der während des Zweiten Weltkriegs eine herausfordernde Odyssee durchlebt. Die Erzählung beginnt in Wolhynien, einer Region in der heutigen Westukraine, wo Kolja und seine Familie in einer Zeit der Ungewissheit und des Schreckens leben. Kriegsbedingte Umstände zwingen sie, ihre Heimat zu verlassen und eine gefährliche Reise ins Sudetenland und ins besetzte Polen anzutreten.
Inmitten dieser Zeit wird Kolja in die Hitlerjugend aufgenommen. Eine Entscheidung, die seinen Lebensweg für immer prägen wird. Die Mitgliedschaft in dieser Organisation spiegelt den gesellschaftlichen Druck wider, dem viele junge Menschen ausgesetzt waren, und offenbart, wie der Nationalsozialismus das Leben der Kinder und Jugendlichen beeinflusste. Zunächst wird Kolja Flakhelfer, bevor er in den letzten Kriegswochen als Kindersoldat nach Berlin geschickt wird, während seine Familie in Pferdewagen vor der Roten Armee flüchtet. Verzweifelt sucht Kolja seinen Platz in einer chaotischen Welt, hin- und hergerissen zwischen den Idealen der Erwachsenen und seiner eigenen, unschuldigen Kindheit.
Emotionale und soziale Folgen von Flucht und Vertreibung
Die Geschichte beleuchtet die emotionalen und sozialen Folgen von Umsiedlung, Flucht und Vertreibung, die viele Menschen in dieser Zeit erlitten haben. Kolja erkennt in der Gefangenschaft, wie niederträchtig seine Generation von den totalitären Institutionen des NS-Regimes missbraucht wurde. Diese Erkenntnis führt zu einer Wandlung, die ihn zu einem selbstbewussten Demokraten reifen lässt. Durch die persönlichen Erinnerungen von Peter Arndts Vater, Nikolaus Arndt, wird die Erzählung lebendig und bietet einen tiefen Einblick in die Auswirkungen des Krieges auf das Leben der Zivilbevölkerung.

Es ist eine Erzählung von Verlust, Identität und der Suche nach einer neuen Heimat in einer Zeit voller Unsicherheit und Schmerz. Nach dieser Lesung zieht sich Arndt zurück und findet seinen Platz im Publikum.
Aktuelle Stimmen aus der Ukraine: Annas Geschichte
Der Raum gehört nun der Gegenwart. Zwei Frauen aus der Ukraine stehen auf der Bühne, bereit, ihre Geschichten zu teilen. Eine von ihnen ist Anna. Mit zitternder Stimme schildert sie, wie sie in ihrer Küche steht, für ihre Kinder kocht, als plötzlich die Stille zerreißt und Raketen vom Himmel fallen. In einem Moment der Panik rennt sie, ihre Kinder fest an sich gedrückt, in den dunklen, kalten Keller ihres Hauses. Kein Licht, kein Wasser – nur das ohrenbetäubende Geräusch von Explosionen und das ängstliche Schreien der Kinder, das ihr Herz zerreißt. Die Welt, die einst voller Möglichkeiten war, hat sich auf einen kleinen, beengten Raum geschrumpft, und das Gefühl von Sicherheit ist ein ferner Traum.
Inmitten des Schreckens und des Chaos hört Anna die beruhigende Stimme ihrer Tante in Schweinfurt: "Ihr könnt zu mir kommen", hatte sie gesagt. Und so geschah es. Heute steht Anna hier, spricht Deutsch, das sie mühsam gelernt hat, und berichtet von ihrer Arbeit als Dolmetscherin in Schweinfurt. Und ist dankbar, dass sie und ihre Kinder "endlich in Frieden schlafen und aufwachen können".