Neben dem DGB und "Schweinfurt ist bunt" haben für den 1. Mai in Schweinfurt mehrere andere Gruppen Kundgebungen angemeldet, darunter das Bündnis "Schweinfurt auf die Straßen" (wir berichteten). Noch offen ist, ob die Neonazipartei "III. Weg" eine Kundgebung durchführt. Der geforderte Demonstrationszug wurde von der Stadt verboten. DGB-Regionsgeschäftsführer Frank Firsching erklärt im Interview, warum er den 1. Mai als Tag der Gewerkschaften sieht und wieso Solidarität an oberster Stelle stehen sollte.
Der 1. Mai ist der Tag der Gewerkschaften, der Arbeitnehmer. Was denken Sie, wenn wie jetzt am Samstag auch Gruppierungen wie der III. Weg oder SWADS Kundgebungen anmelden?
Frank Firsching: Diese Gruppen haben mit dem 1. Mai nichts zu tun, er ist die Seele der internationalen Arbeiterbewegung. Man muss unterscheiden zwischen dem III. Weg und dem Bündnis „Schweinfurt auf die Straße“ (SWADS). Der III. Weg provoziert absichtlich am 1. Mai, weil er diesen internationalen Tag in einen nationalen Tag der Arbeit umdeuten will, wie es schon Adolf Hitler tat, während des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945. Anfang der 2000er-Jahre haben sie das schon gemacht, als sie unter anderem auch in Schweinfurt aufgetreten sind. SWADS nimmt einen beliebigen Tag, und ich glaube nicht, dass sie den Zusammenhang zum 1. Mai sehen. Das bewerte ich anders, weil ich denke, sie sagen, da ist ein Feiertag, da gehen wir auf die Straße, und sie haben es ja schon zwei Mal in Schweinfurt gemacht. Allerdings ist diese Gruppe natürlich auch von AfD und Co. gesteuert, die sich damit als Hüter demokratischer Werte darstellen wollen, indem sie die Leute aufrufen, am 1. Mai auf die Straße zu gehen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Das Perfide ist, dass die Corona-Maßnahmen per se abgeschafft werden sollen, und das hat mit Solidarität nichts zu tun. Die Solidarität gegenüber Kranken, gefährdeten Personen oder Pflegepersonal ist nicht vorhanden, und das ist das Gegenteil des 1. Mai. Der 1. Mai ist der Tag der Solidarität.

Was ist so schlimm daran, wenn auch andere Gruppen am 1. Mai ihre Anliegen kundtun? Der Tag gehört der Gewerkschaftsbewegung nicht alleine, oder doch?
Firsching: Der 1. Mai gehört der Gewerkschaftsbewegung. Ohne sie gäbe es ihn nicht. Genauso gäbe es Weihnachten ohne das Christentum nicht. Die Gewerkschaftsbewegung hat in den 1880er-Jahren für den Acht-Stunden-Tag gekämpft, und es sind viele Menschen deshalb gestorben. Bis 1890 waren die Gewerkschaften verboten durch die damaligen Machthaber. Gewerkschaften haben den 1. Mai blutig erkämpft, deswegen gehört er ihnen. Er ist aber natürlich ein Feiertag für alle.
"Das Perfide ist, dass die Corona-Maßnahmen per se abgeschafft werden sollen, und das hat mit Solidarität nichts zu tun."
Frank Firsching zu den Zielen der SWADS-Kundgebungen.
Hat der 1. Mai heute noch die Bedeutung wie in den 70er- oder 80er-Jahren?
Firsching: Unbestreitbar haben die Gewerkschaften im Vergleich zu den 1970er-Jahren an Mitgliedern verloren. Ja, an gesellschaftlicher Bedeutung hat der Tag ein Stück verloren, weil die Gewerkschaften schwächer geworden sind. Das Resultat dieser Schwäche sind prekäre Beschäftigung und Armutslöhne. Deswegen müsste man erwarten, dass sich mehr Menschen den Gewerkschaften zuwenden und gemeinsam diese Form schlechter Arbeitsbedingungen überwinden.

Wie feiern Sie den 1. Mai? Sind Sie in Schweinfurt vor Ort?
Firsching: Ich fahre am Vormittag nach Lohr am Main, spreche dort auf der Kundgebung. Wenn ich zurückkomme, schaue ich mir den Live-Stream des DGB an und besuche später meinen Neffen, der am 1. Mai Geburtstag hat. Außerdem kann, wer den Firsching sehen will, auch den Live-Stream aus Lohr anschauen.
Wie fühlt es sich an, wenn man als Gewerkschafter an seinem Tag nicht öffentlich auf einer Bühne steht, sondern eine Videobotschaft versendet?
Firsching: Es ist natürlich bitter, wenn man den 1. Mai nicht so feiern kann wie man das gewohnt ist, mit vielen wunderbaren Kolleginnen und Kollegen als Gemeinschaftserlebnis. Es fehlt natürlich auch ein Stück Emotion und Glück am 1. Mai. Da geht es überzeugten Gewerkschaftern vielleicht auch so wie Gläubigen, die nicht in die Kirche können.
"Es ist natürlich bitter, wenn man den 1. Mai nicht so feiern kann, wie man das gewohnt ist."
Frank Firsching über das Gemeinschaftserlebnis mit Gewerkschaftern.
Das DGB-Motto 2021 ist "Solidarität". Wie weit ist es mit der Solidarität in Deutschland in Corona-Zeiten?
Firsching: Gut und schlecht. Solidarität erleben wir jeden Tag von allen, die sich an die Regeln halten und versuchen, ihre Nachbarn, ihre Familie, ihre Freunde nicht mit Corona zu infizieren. Die üben jeden Tag Solidarität aus. Denjenigen, die das nicht tun, mangelt es an Solidarität, weil es ihnen egal ist, ob sie jemanden anstecken. Zum Glück ist die Menge an Menschen, die sich solidarisch zeigen, in der Überzahl. Die Gesellschaft aktuell ist auch solidarisch, wenn man sieht, wie viel Kurzarbeitergeld gezahlt wird oder was der Staat tut, um Menschen zu helfen. Gleichzeitig tun sie aber auch nicht genug, wenn man die Künstler betrachtet, Soloselbstständige oder Menschen, die von Hartz-IV leben müssen. Da ist es viel zu wenig Solidarität. Gleichzeitig werden auf der einen Seite die Reichsten immer noch reicher, auf der anderen Seite sind viele, die zum Beispiel in Arbeitslosigkeit gefallen sind durch Corona. Da wünsche ich mir noch mehr Solidarität.
"Schweinfurt wird in den nächsten zehn Jahren von Arbeitsplatzabbau bedroht sein."
Frank Firsching über die Zukunft der Industrie nach Corona in Schweinfurt.
Wie sehen Sie die Zukunft der Betriebe in Schweinfurt nach Corona?
Firsching: Schweinfurt wird in den nächsten zehn Jahren von Arbeitsplatzabbau bedroht sein. Die Industriebetriebe werden ihre Produktion umstellen, Stichwort Digitalisierung. Der Klimawandel wird dazu führen, dass es eine Umsteuerung der industriellen Produktion geben wird, und die muss gestaltet werden. Je nachdem, wie stark die Gewerkschaften sind, bleiben am Ende mehr oder weniger Arbeitsplätze.
Worauf richtet der DGB besonders sein Augenmerk?
Firsching: Unsere wesentliche Aufgabe ist es, Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern, aber auch den Übergang zu gestalten. Wir haben das getan beim Thema Ausstieg aus der Kernkraft oder Ausstieg aus der Kohle. Da konnten wir durch Fortbildungsprogramme und Qualifizierung Kolleginnen und Kollegen in neue Arbeitsplätze überführen. Aber auch da gibt es Menschen, die auf der Strecke bleiben, um die man sich mit guten Sozialprogrammen und gesetzlicher Absicherung kümmern muss.