Sie war diejenige, die das Verfahren im Mai 2020 ins Rollen brachte. Die junge Frau sitzt im Zeugenstand am zweiten Prozesstag im Landgericht Schweinfurt, erzählt unter Tränen von dem Moment, der für sie alles geändert hat. Sie sei in der orthopädischen Praxis des angeklagten 59-Jährigen gewesen, wegen einer Schulterverletzung. Wegen Corona habe der Arzt, bei dem sie schon seit Jahren in Behandlung gewesen sei, eine Maske und eine Schutzbrille bei der Untersuchung getragen. Erst später wird ihr klar werden, dass das an diesem Tag ihr Glück sein wird.
Sie habe ihren BH ausziehen müssen, nicht das erste Mal bei einer Behandlung bei diesem Arzt, erzählt sie. Er habe einen Anruf vorgetäuscht, sein Handy gezückt. Und das Display habe sich in der Schutzbrille gespiegelt. Die Worte fallen ihr schwer, sie sagt: "Dann habe ich mich darauf gesehen."
Die Frau ging sofort zur Polizei, nachdem sie die weitere Behandlung noch über sich ergehen lassen habe, sagt sie. Als die Beamten schließlich das Smartphone und weitere Datenträger des Arztes durchsuchten, zeigte sich, dass sie nicht die Einzige war, von der es heimliche Aufnahmen gab.
Staatsanwaltschaft geht von acht betroffenen Frauen aus
In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ist die Rede von acht Frauen und einem Tatzeitraum zwischen 2017 und 2020. Der 59-Jährige muss sich wegen Vergewaltigung, sexuellen Missbrauchs, sexueller Belästigung und der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs vor dem Landgericht Schweinfurt verantworten. Er soll sexuelle Handlungen an seinen Patientinnen vorgenommen und von ihnen und seinen ehemaligen Mitarbeiterinnen heimlich Bildaufnahmen gemacht haben.

"Ich schäme mich zutiefst und entschuldige mich ausdrücklich dafür", hatte der Angeklagte gleich zu Beginn des Verfahrens am Montag über seinen Verteidiger erklären lassen. Zu den weiteren Vorwürfen schwieg er zunächst.
Am zweiten Prozesstag erklärt er schließlich zu Beginn: "Zu keinem Zeitpunkt habe ich meine Hände bei Untersuchungen zu unsittlichen, sexuellen Handlungen benutzt." Sollte seine Wortwahl als unangemessen empfunden worden sein, bitte er dies zu entschuldigen.
Patientinnen des Schweinfurter Orthopäden: "Ich habe gedacht, der weiß schon, was er macht."
Ehemalige Mitarbeiterinnen und Patientinnen berichten vor Gericht von unangemessenen Kommentaren und Berührungen. Einige Patientinnen erzählen von Massagen am Brustbein, bei denen der Angeklagte auch ihre Brüste berührt haben soll.
Warum das aus seiner Sicht medizinisch notwendig gewesen sei, habe der Orthopäde nicht erläutert. Gewundert hätten sich die Frauen schon, es habe sich falsch angefühlt, "als wäre eine Grenze überschritten worden". Aber sie sagen auch Sätze wie: "Ich habe mir nicht viel dabei gedacht" oder "Ich habe gedacht, der weiß schon, was er macht". Er sei ja schließlich Arzt.

Und dennoch, auffällig war für alle Patientinnen der Moment, als er während der Behandlung sein Handy in die Hand nahm. "Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte man auch denken können, der macht ein Foto, so komisch hat er das Handy gehalten", habe eine der Frauen noch gedacht.
Als die Polizei sie im Sommer 2020 über die Ermittlungen informiert, ist es genau dieser Moment, der ihr sofort einfällt. Eine andere Frau sagt: "Als die Polizei anrief, kam es wie ein Blitz." Sie habe gesagt: "Ich weiß, warum sie anrufen."
Im Raum steht auch der Vorwurf einer Vergewaltigung. Dabei geht es im juristischen Sinne –vereinfacht ausgedrückt – nicht nur um Sex gegen den Willen einer anderen Person, sondern auch um ein Eindringen in den Körper, etwa mit einem Finger, wie es in diesem Fall laut Anklageschrift gewesen sein soll. Bei der Frage, ob es dazu tatsächlich gekommen ist, ist sich die Frau vor Gericht nicht sicher. Aber dennoch: "Die Situation war sehr unangenehm, für mich war das viel zu weit", sagt sie.
Orthopäde hat Praxis wegen Berufsverbots aufgegeben
Der Orthopäde hat seine Praxis vor einiger Zeit aufgegeben. "Es gab keine andere Möglichkeit", sagt er vor Gericht. Seit 2020 besteht für ihn das Verbot, Frauen zu behandeln. "Das bedeutete tatsächlich aber ein komplettes Berufsverbot." Es sei im Praxisalltag nicht zu erklären gewesen, warum nur noch Männer behandelt werden dürften.
Der Prozess wird am Donnerstag um 9 Uhr in der Schweinfurter Stadthalle fortgesetzt.