Über 80 Medizinerinnen und Mediziner aus dem Raum Schweinfurt und Haßfurt wenden sich in einem Brief an die Öffentlichkeit. Sie arbeiten in Kliniken, in niedergelassenen Praxen, manche stehen am Berufsanfang, manche sind Chefärzte, andere schon im Ruhestand. Mit ihrem Brief an die "Mitbürgerinnen und Mitbürger" wollen sie, wie auch die Demonstrationen der vergangenen Tage, Stellung beziehen – gegen Rechtsextremismus, Rassismus, gegen Pläne in der AfD, Menschen mit Migrationshintergrund auszuweisen, auch deutsche Staatsbürger. Stichwort Remigration.
Das deutsche Gesundheitssystem, sagen sie, wäre ohne Menschen mit Migrationsgeschichte nicht mehr funktionsfähig. Auch das ist ein Punkt. Vor allem aber geht es um Haltung und Demokratie. Darum, klar Stellung zu beziehen in der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatte, die auch die Ärztinnen und Ärzte bewege, schreibt Dr. Markus Ewald, Chefarzt Innere Medizin am Krankenhaus St. Josef in Schweinfurt. Er hat den Brief verfasst, den in der Folge 80 Berufskolleginnen und -kollegen unterzeichnet haben und den wir hier veröffentlichen:
Ein Brief an die Mitbürgerinnen und Mitbürger der Region
"Es ist Wesensart unserer medizinischen Profession und seit Jahrtausenden ärztliches Selbstverständnis, Hilfe nicht von der Person der Hilfesuchenden abhängig zu machen. Diese 'Neutralität' birgt jedoch bisweilen die Gefahr, sich indifferent zu verhalten oder allenfalls in eigener Sache aktiv zu werden. Sowohl Inhalte wie Formen der aktuellen Debatten fordern jedoch unseren Widerspruch heraus: Wenn rassistische Extremisten offenkundig systematisch den Anschluss an (noch) zugelassene Parteien suchen und diese weitgehend programmatisch beeinflussen, dann ist Widerspruch nicht Option, sondern Pflicht.
Es gibt nicht viele Gebiete, in denen die Kontakte mit Migrantinnen und Migranten vergleichsweise intensiv sind, wie in der Medizin. Natürlich auch mit allen Problemen, die dabei ein System immer wieder offenlegt. Nur wenige kennen sie wohl aus näherer Anschauung besser als wir. Vor allem kennen wir aber, trotz aller Hürden des Alltags, vor allem auch die positiven Erfahrungen der Stärken und Vielfalt, die durch unsere Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern seit vielen Jahren zu uns gebracht werden.
Was Menschen mit Migration für das Gesundheitssystem bedeuten
Das deutsche Gesundheitssystem wäre heute ohne Mitbürgerinnen und Mitbürger mit einer Migrationsgeschichte nicht mehr funktionsfähig. Weder ambulant noch in den Krankenhäusern und in Pflegeberufen. Spätestens bei der Einlieferung in eine Notaufnahme werden das auch verfassungsfeindliche Rassisten merken. Und man darf ihnen versichern, dass alle unsere Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern die Größe haben, sie genau so zu behandeln, wie alle anderen.

Mit Abscheu wenden wir uns deshalb dagegen, wie mit der Not von Menschen, wie mit völkischem Rassenwahn und wie mit so scheinbar harmlos daherkommender 'Das wird man ja wohl noch sagen dürfen' - Polemik die Axt an die Grundlagen unseres Staates gelegt wird. Denn um nichts anderes geht es dabei. Es geht ihnen nicht um tatsächliche Diskurse. Es geht ihnen darum, Konflikte anzuheizen. Es geht ihnen nicht darum, Bedenken, Sorgen und Ängste zu hinterfragen. Es geht ihnen darum, diese Sorgen für ihre Agenda zu instrumentalisieren. Es geht ihnen nicht um Lösungen, Konsens und Kompromiss. Im Gegenteil: Jeder Kompromiss ist angeblich 'faul'.
Unzufriedenheit berechtigt nicht zu jeder Form der Auseinandersetzung
Ein Kompromiss ist aber nicht 'faul', sondern das höchste Ziel einer offenen und fairen Debatte. Wir, als Ärztinnen und Ärzte sind selbst weit entfernt davon, mit dem kommunikativen und inhaltlichen Vorgehen in der Gesundheits- und Krankenhauspolitik der Gegenwart zufrieden zu sein. Wir sehen aber nicht, dass dies zu jeder Form der Auseinandersetzung berechtigt. Und erst recht nicht, dass auf dem Boden der Sozial- und Gesundheitsversorgung Stimmungen gemacht und verfassungsfeindliche Umtriebe angetrieben werden dürfen.
Das Gleiche gilt für jedes Debattenthema: Auch über das Thema Migration darf eine Debatte geführt werden und nicht jede Meinung dazu sollte pauschal abgewertet werden. Wir verabscheuen jedoch rassistische Tendenzen, die aktuelle (und auch notwendige!) politische Debatten für eine systemverändernde Agenda missbrauchen wollen.
Auch wer nur aus momentaner und sogar nachvollziehbarer Frustration über seine persönliche Situation mit den entsprechenden Bewegungen sympathisiert oder ihnen 'aus Protest' seine Stimme gibt, sollte sich bewusst sein: In dem Land, das diese eigentlich anstreben, werden sie nicht glücklich werden.
Debatten nicht durch Lärm und Krawall ersetzen
Der mit der Universität in Würzburg und damit der Region eng verbundene Pathologe Rudolf Virchow hat Medizin nicht als Naturwissenschaft, sondern als 'soziale Wissenschaft' betrachtet und sich zeitlebens auch in gesellschaftliche Diskurse eingebracht. Er muss uns darin, genauso wie in seinem Wirken als medizinischer Wissenschaftler Vorbild sein.
Deshalb unsere Aufforderung an alle Mitbürgerinnen und Mitbürger, egal ob sie gerade (auf Zeit!) in der Verantwortung sind: Hören wir einander zu und weichen Debatten nicht aus. Ersetzen wir Debatten nicht durch Lärm und Krawall. Bleiben Sie nicht stumm und tatenlos. Entlarven Sie die Lügner. Schweigen Sie nicht, wenn im Verein, am Stammtisch oder sogar in der Familie in scheinbar belanglosem Plauderton unser Gemeinwesen infrage gestellt wird.
Diejenigen, die den Boden des Grundgesetzes verlassen, gerade die sollten als erste darüber nachdenken, ob es nicht besser und konsequenter wäre, auch das Land zu verlassen. Egal, wo sie geboren wurden. Wir werden uns dafür einsetzen, dass es dieses Land nur mit diesem Grundgesetz und dem Einhalten seiner Prinzipien gibt. Für dieses Deutschland gibt es keine Alternative."
Wer den offenen Brief unterzeichnet hatDie Erstunterzeichner, Stand 30. Januar: Jens Amling, Walter Becker, Dr. Arman Behdjati-Lindner, Christina Bendig, Dr. Regine Bohn, Dr. Lydia-Maria Carlé, Dr. Max Dippel, Dr. Anja Dittmar, Klaus Dötter, Carsten Dollinger, Michael Donhauser, Dr. Klaus Dufey, Dr. Markus Ewald, Jarwan Feras, Dr. Daniela Grathwohl, Clemens Haberer, Dr. Andreas Handschuh, Dr. Joachim Harlos, Dr. Andrea Heider-Harlos, Sebastian Hartmann, Dr. Johannes Herrmann, Dr. Dorothea Hermle-Hartmann, Dr. Harald Hezner, Dr. Susanne Hochreuther, Dr. Lars Hofmann, Dr. Susanne Hoffmann-Möhringer, Alexander Hoffmann-Wolz, Alexander Horn, Dr. Marc-Alexander Katz, Dr. Mohamed Khalifa, Dr. Annegret Kirchner, Dr. Alexander Koch, Dr. Heike Köhler, Dr. Jessica Körber, Dr. Joachim Körber PD, Dr. Tobias Koppara, Dr. Jan Krauspe, Dr. Ulrike Lange, Dr. Johannes Leitgeb, Dr. Georg Lippert, Hans-Martin Lode, Ria Ludwig, Dr. Michael Lühn, Dr. Volker Lutz, Dr. Rudolf Maidhof, Dr. Petra Maierhofer, Dr. Martens, Dr. Wolfgang Menger, Prof. Dr. Detlef Meyer, Dr. Michael Mildner, Dr. Johannes Mühler, Dr. Martin Nürnberger, Prof. Dr. Gunther Pestel, Dr. Gerhard Pöpperl, Monika Raupp, Christian Rein, Dr. Leonore Reinhard-Huber, Jürgen Royek, Hartmut Schätzlein, Dr. Rainer Schamberger, Dr. Reinhard Scheer, Dr. Jürgen Schiemann, Andreas Schloßbauer, Dr. Christian Schmid, Dr. Tanja Schmid, Dr. Lothar Schmid, Dr. Christoph Schmidt, Dr. Manfred Spall, PD Dr. Susanne Schwedler, Dr. Jens Spieß, Kristina Spieß, Dr. Verena Stieglitz, Dr. Sean Patrick Stieglitz, Benedikt Strobel, Dr. Sabine Vogel, Dr. Reginhard von Hirschhausen, Dr. Kristin Wahl, Dr. Werner Weigand, Dr. Hel. Weigand, Dr. Günter Weis, Christine Weth, Evi Ziegler, Dr. Peer Ziemssen, Dr. Manfred Zimmermann, Dr. George-Codrut Zlota.Quelle: Dr. Markus Ewald