Glücklich hält Ulla Dausacker ihre zwei Tage alte Tochter Helen im Arm. Sie liegt auf der Entbindungsstation im Marktkrankenhaus Werneck und fühlt sich pudelwohl. „Ich wollte unbedingt hier mein Kind zur Welt bringen, schließlich ist es ein sehr intimes Erlebnis, und da soll es persönlich zugehen.“ Ihr Wunsch war jedoch ein Rennen gegen die Zeit, denn die Geburtshilfe am Krankenhaus schließt am 31. März ihre Pforten. „Mein errechneter Termin war eigentlich der 1. April, aber nun kam Helen ja zum Glück früher auf die Welt – wenn auch durch einen Kaiserschnitt“, erzählt die frisch gebackene Mutter.
Die kleine Helen wird also eines der letzten Kinder sein, die in Werneck zur Welt kamen. Im Laufe der vergangenen 70 Jahre wurden hier 25 000 bis 30 000 Babys geboren. Eine Ära geht zu Ende – so drückt es Beleghebamme Astrid Wimmer-Reith aus. Ihrem letzten Arbeitstag sieht die 47-Jährige mit Wehmut entgegen – „da werden bestimmt ein paar Tränen fließen“. Seit über 25 Jahren ist Wimmer-Reith im Wernecker Krankenhaus beschäftigt, erst war sie angestellt, dann als selbstständige Beleghebamme tätig. Auch die eigenen vier Kinder hat sie hier entbunden. „Da fällt es schwer, Abschied zu nehmen, zumal die Geburtsstation sehr beliebt war und ist.“
Ihr Blick gleitet durch den heimelig gestalteten Kreißsaal. Hier das Foto eines schönen Babybauches, da ein paar Lichterketten, dort die geräumige Wanne für die Wassergeburten. Erinnerungen an zahlreiche Geburten werden wach. „Das Wichtigste ist, dass man ohne Wenn und Aber für die werdenden Mütter da ist, egal, wie lang die Geburt auch dauern mag“, sagt sie. Das schaffe Vertrauen und mache die Schmerzen erträglicher.
Wichtig auch die Zusammenarbeit mit dem Arzt. Mit den Gynäkologen und Belegärzten Dr. Wolfgang Kellermann und Jolanthe Hernas habe die Chemie einfach gestimmt. „Wir waren ein gutes Team und haben auf Augenhöhe zusammengearbeitet“, sagt die Hebamme. Das findet auch Kellermann: „Meine Rolle sehe ich mehr als die ärztliche Fachkompetenz im Hintergrund. Sobald es Komplikationen gab, kamen ich oder meine Kollegin zur Hilfe.“
Nach fast 30 Jahren gebe er die Geburtshilfe mit zwei weinenden Augen auf. „Es ist zum Großteil eine politische und gesellschaftliche Entscheidung.“ Die Zukunft kleiner Entbindungsstationen sehe nicht rosig aus, erklärt er. Zunehmender Kostendruck und immens hohe Haftpflichtversicherungen der Geburtshelfer und Hebammen verschärften die Lage. Auch die Suche nach Verstärkung für sein Team im Wernecker Krankenhaus verlief ergebnislos: „Die jungen Ärzte sind nicht bereit, den Bereich Entbindung zu übernehmen.“ Sorgenvoll blickt er in die Zukunft der Geburtshilfe, die nach derzeitigen Kriterien wohl wieder anonymer wird. Dabei ging er in seiner Laufbahn gerade den anderen Weg: „Wenn die Frauen gut betreut sind, ist das Setzen einer Periduralanästhesie (PDA) zum Beispiel gar nicht nötig, und auch Geburtsverletzungen und Dammschnitte kamen bei uns nur selten vor“, so Kellermann.
Wenn die Frau entspannter ist, sinkt das Verletzungsrisiko, erklärt auch Hebamme Silke Schiwon-Nickels. Ob Geburten im Liegen, in der Hocke, im Vierfüßlerstand oder im Wasser – jede Frau habe individuelle Empfindungen, in welcher Position sie am besten gebären kann. „Wir sind dafür da, sie auf diesem Weg zu begleiten“, so die 47-Jährige.
Seit acht Jahren arbeitet sie im Wernecker Krankenhaus als Beleghebamme. „Ich wusste schon mit 14, dass ich Hebamme werden will. Wahrscheinlich ist das meine Berufung“, meint sie. So um die 2000 Geburten hat sie in ihrer bisherigen Laufbahn begleitet. Viele davon in Werneck. „Eine Geburt ist immer wieder einzigartig, und am Ende steht meistens ein freudiges Ereignis.“ Natürlich kommt es auch vor, dass eine Frau ihr totes Baby auf die Welt bringen muss. „Das ist schlimm, aber umso wichtiger ist für die Frauen unsere Unterstützung.“
Die Wichtigkeit der Geburtenstation würde der Vorstand des Kommunalunternehmens Marktkrankenhaus, Heinrich Keller, sofort unterschreiben. Er bedauert, dass sie dichtgemacht wird. Zehn Kinderschwestern und fünf Hebammen seien davon betroffen. „Zwei der Schwestern konnten wir übernehmen“, erklärt er. Auch persönlich fühlt er mit, da er selbst, seine Kinder und sogar sein Enkel in Werneck geboren wurden.
Wie es beruflich weitergeht, wissen die Hebammen Wimmer-Reith und Schiwon-Nickels zum Glück schon. Beide beginnen in einer Festanstellung im Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt. Mit Sorge beobachten sie trotzdem die Entwicklung in ihrer Branche: „Die Versicherungsprämien steigen ins Unermessliche, und wenn es ganz hart kommt, stehen die freiberuflichen Hebammen ab Sommer 2015 vor dem Aus, da keine Versicherung sie mehr annimmt.“ Damit schwinden auch die Rechte der Frauen auf Hilfe einer Hebamme und die freie Wahl des Geburtsortes. Die frischgebackene Mutter Ulla Dausacker kritisiert diese Entwicklung: „Das persönliche Verhältnis zu meiner Hebamme hat mir sehr geholfen. Auch mein nächstes Kind hätte ich gerne in Werneck geboren.“