Man sieht es dem untersetzten Mann mit Baseball-Cap, Bart und Glatze nicht an, dass er vor einem halben Jahrhundert Sportgeschichte geschrieben hat: Hans Glaab wurde 1960 der erste Deutsche Meister im Bodybuilding. Seitdem führt er ein abenteuerliches Leben in Australien.
Drei Stunden vergehen wie im Flug, wenn Glaab beim Besuch in seiner Heimatstadt dem Reporter seine Geschichte erzählt. „Verhungert bin ich nur nicht, weil ich bei den Amerikanern und in Kleingärten genügend geklaut habe“, erzählt der 1936 Geborene von seiner Kindheit in der Nachkriegszeit. Oft genug habe seine Mutter gewarnt, wenn er nichts zum Tauschen auf dem Schwarzmarkt mit nach Hause bringe, gäbe es kein Abendessen. Doch die harten Zeiten sind vorbei, als Glaab bei SKF Werkzeugmacher lernt. Von seinem Lohn leistet er sich bald einen von den drei 500er BMW, die damals in Schweinfurt herumfuhren.
Ein Freund nimmt ihn eines Tages mit ins Bodybuilding-Studio von Harry Gelbfarb. Der Amerikaner mit österreichischen Wurzeln hat 1956 im Graben das erste Bodybuilding-Studio Deutschlands eröffnet. Trotz der primitiven Einrichtung – es gibt keine Dusche, die Bänke sind aus Wasserrohren zusammengeschweißt – begeistert sich Hans Glaab für die Sportart. Zunächst trainiert er dreimal die Woche, später kommt er jeden Tag in das unbeheizte Studio mit Betonboden. Doch auch die Ernährung nimmt Glaab wichtig: „Wenn die anderen in der Brotzeitpause ihr Bier aufmachten, trank ich meine Milch.“
Bald ist er Gelbfarbs Modellathlet. Bei einer Körpergröße von 170 Zentimetern bringt er 75 Kilogramm auf die Waage. Den stärksten Eindruck machen seine gigantischen Oberarme. Entsprechend gehört er 1959 der ersten deutschen Nationalmannschaft an, die in Turin an der wiederum ersten Europameisterschaft im Bodybuilding teilnimmt.
Modellathleth
Dass das Team aus drei Schweinfurtern besteht, ist nicht unbedingt Ausdruck sportlicher Überlegenheit der Gelbfarb-Schule: Vielmehr hat der einfallsreiche Athlet wenige Monate zuvor flugs einen deutschen Bodybuilding-Verband gegründet, um am Wettbewerb in Italien teilnehmen zu können.
Im VW Käfer überqueren sie die Alpen, unter der Fronthaube zwei Schachteln roher Eier, von denen sich die Athleten während der Reise ernährten, wie Glaab lachend erzählt. Ein Jahr später erringt Glaab bei der ersten Deutschen Meisterschaft im Bodybuilding in der Klasse bis 172 Zentimetern Körpergröße den Titel des Mr. Germany. In dieser Zeit gründet er in Frankfurt zusammen mit einem Partner ein Studio, geht dann nach Berlin für eine erneute Gründung, verwirft aber das Vorhaben, als er hört, dass Australien Arbeitskräfte sucht. Fünf Tage dauert die Reise per Flugzeug, die Tickets bezahlt die australische Regierung.
Die Hoffnungen auf ein neues Leben zerschlagen sich zunächst: Die Ankömmlinge werden in einem heruntergekommenen Armeelager aus dem Zweiten Weltkrieg interniert, heraus kommt nur, wer einen Arbeitsplatz gefunden hat. Nach vier Monaten organisiert Hans Glaab zusammen mit anderen Verschwörern einen Aufstand.
Beraten werden sie von einem ehemaligen deutschen U-Boot-Kommandanten, der auf einschlägige Erfahrungen in der Kriegsgefangenschaft zurückgreift: „Zuerst die Telefondrähte durchschneiden, dann kann keine Hilfe von außen geholt werden.“
Die Polizei schlägt den Aufstand trotzdem nieder, eine Wiederholung wird auf unkonventionelle Weise verhindert: „Innerhalb einer Woche hatten die sogenannten Rädelsführer Arbeit. Dazu zählte auch ich“, schildert Glaab seinen unerwarteten Start in die australische Gesellschaft.
Zunächst schlägt er sich als Hilfsarbeiter durch, später heuert er als Koch auf einer Fähre an. Wenn der Kapitän nach dem ersten fünftägigen Turn zufrieden ist, soll Glaab den Job behalten. Das Problem für ihn: Er kann gar nicht kochen. „Ich stand in der Kombüse und überlegte mir: Wie hat Mutter damals den Kartoffelsalat zubereitet?“, schildert Glaab seinen Einstieg in die Gastronomie.
Zum Glück lässt ihn sein Gedächtnis nicht im Stich. Vier Jahre schippert er über die australischen Küstengewässer. Doch weniger die See, vielmehr die unendliche Weite des Outbacks haben es ihm angetan. Er geht wochenlang auf Känguru-Jagd, schürft nach Gold und kurz und erfolglos nach Opalen. Noch im Rentneralter reist er 2000 Kilometer mit dem Auto durch die Wüste. Das Bodybuilding betreibt er zunächst weiter. Im Jahr 1965 wird er zum „Mr. South Wales“ gekürt, danach beendet er seine Sportkarriere.
Im Ruhestand
Seit sieben Jahren genießt Hans Glaab seinen Ruhestand. Im Garten seines Hauses in Perth trainiert er regelmäßig mit Hanteln und Geräten. Seinen PC hat er abgeschafft aus Angst, er könne ihn vom Leben in der freien Natur abhalten. Für eine Schafkopfrunde deutscher Einwanderer gibt er den „Brunzkartler“. Fehlt einer am Kartabend, fährt Glaab 60 Kilometer weit, um einzuspringen.
Alle paar Jahre kommt Glaab nach Europa. Dann geht er mit dem Auto wochenlang auf Rundreise. Er besucht seinen Bruder in Schweinfurt und seine Schwester im Ruhrgebiet, Freunde in Österreich und Italien. Auf Dauer nach Deutschland zurückkehren will er nicht. Der dichte Verkehr und die Menschenmassen in den Städten sind ihm zuwider. Den deutschen Pass wird er trotzdem nicht zurückgeben, die australische Staatsangehörigkeit besitzt er nicht: „Ich kann mir nicht vorstellen, jemals auf die Königin und die Bibel zu schwören.“