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Donnersdorf: "Ich habe Angst": Beschäftigte von Kaufland in Donnersdorf sind verzweifelt und fühlen sich alleingelassen

Donnersdorf

"Ich habe Angst": Beschäftigte von Kaufland in Donnersdorf sind verzweifelt und fühlen sich alleingelassen

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    Der drohende Arbeitsplatzverlust belastet viele der Beschäftigten im Kaufland-Logistiklager in Donnersdorf sehr. Gerade die Ungewissheit, wann die Kündigungen ausgesprochen werden und wie es danach finanziell weitergeht, sorgt die betroffenen Menschen.
    Der drohende Arbeitsplatzverlust belastet viele der Beschäftigten im Kaufland-Logistiklager in Donnersdorf sehr. Gerade die Ungewissheit, wann die Kündigungen ausgesprochen werden und wie es danach finanziell weitergeht, sorgt die betroffenen Menschen. Foto: Getty, Josef Lamber, D. Biscan

    Deborah erinnert sich genau an jenen Moment, als sie die Schreckensnachricht erfuhr. Als sie und ihre Kollegen Anfang Januar zur "Schichtansprache" ihrer Chefs mussten. Als klar war, dass nicht nur sie, sondern rund 350 Mitarbeitende der rund 500 Beschäftigten bei Kaufland in Donnersdorf demnächst arbeitslos werden.

    "Ich fühlte mich sehr, sehr schlecht, und das ist auch heute noch so", sagt die Frau, die seit vielen Jahren in dem Logistiklager arbeitet. Ihr Mann Jonas nickt. Die Stimmung in der Belegschaft sei völlig am Boden, meint Kollege William. "Wir sind alle tief enttäuscht und traurig."

    Beschäftigte wollen aus Angst ihre Namen nicht öffentlich machen

    Ihre richtigen Namen sollen nicht genannt werden. Die Angst vor Schikanen im Betrieb ist groß. Obwohl ohnehin die Kündigung droht, fürchten sich Deborah und die beiden Männer davor. "Ich habe Angst vor dem Kaufland-Management."

    Die drei Beschäftigten haben sich an diese Redaktion gewandt, weil sie ihre Ängste und die vieler Kolleginnen und Kollegen öffentlich machen wollen. Sie möchten über ihre Sorgen sprechen. Auch darüber, dass sie alle ausgetauscht werden sollen – gegen schlechter bezahlte Werkarbeitende von Subunternehmen; die laut der Gewerkschaft Verdi meist nur den Mindestlohn von 12,82 Euro zahlen.

    "Bitte helfen Sie mit, damit jeder weiß, was für ein Unternehmen Kaufland ist", lautete einer der Sätze im ersten Schreiben von Deborah. Es ist ein Hilfeschrei – und nicht der einzige. Weitere Mitarbeitende haben sich bei der Redaktion gemeldet, auch sie wollen anonym bleiben. Ihre Aussagen zum Innenleben von Kaufland sind weitgehend deckungsgleich.

    Im Spannungsfeld zwischen angekündigtem Jobverlust und einem Fünkchen Hoffnung

    Die psychische Belastung ist ihren Worten zufolge seit Wochen enorm, im Spannungsfeld zwischen angekündigtem Jobverlust und dem Fünkchen Hoffnung, dass vielleicht doch nicht alle 350 entlassen werden. Gerade die Ungewissheit frisst viele innerlich auf, meinen sie. Die Atmosphäre sei "total melancholisch und depressiv", berichtet Deborahs Mann Jonas.

    Das riesige Zentrallager dominiert die Ansicht der Steigerwaldgemeinde Donnersdorf, in der Kaufland der größte Arbeitgeber ist. Im Vordergrund ist der Ortsteil Falkenstein zu sehen.
    Das riesige Zentrallager dominiert die Ansicht der Steigerwaldgemeinde Donnersdorf, in der Kaufland der größte Arbeitgeber ist. Im Vordergrund ist der Ortsteil Falkenstein zu sehen. Foto: Norbert Vollmann (Archivfoto)

    Erste Andeutungen hatte es Ende Oktober gegeben. Damals, so die Gesprächspartner, habe es nebulös geheißen, dass "ein paar Leute von Leihfirmen zur Unterstützung kommen" würden. Vielleicht werde es einige Entlassungen geben, so ihre Erinnerung. Von Massenentlassungen war nicht die Rede. Erst an besagtem Januar-Tag. 

    Vor allem die finanziellen Einbußen sorgen viele Mitarbeitenden. "Die Menschen haben ihr Leben hier geplant, eine Wohnung gekauft, ihre Steuern fair bezahlt, ihre Kinder studieren, sie wollten hier leben, jetzt stehen sie vor der Arbeitslosigkeit", klagt Deborah.

    Besonders belastend ist die Situation für Familien, in denen beide Ehepartner im Lager beschäftigt sind. Das sind nicht wenige: Die überwiegende Mehrheit der 350 von der Kündigung bedrohten Mitarbeitenden sind verheiratete Paare. William, Deborah und Jonas sprechen von um die 90 Prozent, ein anderer Beschäftigter geht von mindestens 60 Prozent aus.

    Betroffen davon wären auch Deborah und Jonas. Beide verdienen "gutes Geld", wie sie sagen, zusammen um die 4500 Euro netto. Ob sie nach der Kündigung nochmals eine so gut bezahlte Tarifbeschäftigung finden werden, ist fraglich. Die Botschaft auf der Kaufland-Internetseite, das Unternehmen sei familienfreundlich, "klingt wie Hohn für uns".

    "Warum seid ihr nicht motiviert? Los, weiterarbeiten!"

    Angebliche Aussage der Teamleitung wenige Minuten nach Bekanntgabe der Entlassungen

    Was sie darüber hinaus ärgert, ist der dürre Informationsfluss, sowohl von Kaufland, als auch vom Betriebsrat und von der Gewerkschaft. "In der Praxis sind die Mitarbeiter auf sich allein gestellt", meint William. Sie wüssten nichts über den Zeitpunkt und die Bedingungen der Entlassungen.

    Dazu kommt ein anscheinend wenig sensibles Vorgehen der Vorgesetzten. Nur wenige Minuten, nachdem den Beschäftigten die Massenentlassung angekündigt worden war, kam von der Teamleitung angeblich die Ansage: "Warum seid ihr nicht motiviert? Los, weiterarbeiten". So erinnern sich jedenfalls Deborah und Jonas.

    Das Arbeitsklima hat zuletzt extrem gelitten. "Die Leute sind demotiviert", teilt ein Informant aus dem Lager mit. "Am lächerlichsten ist jedoch, dass sie uns mitteilen, dass wir entlassen sind, aber trotzdem 100-prozentigen Einsatz verlangen." Auch William wundert sich. Der Arbeitgeber erwarte, "dass wir sehr gute Arbeit machen, dabei haben wir keine Zukunft mehr bei Kaufland".

    Stattdessen müssten manche Kaufland-Beschäftigten sogar schwerer arbeiten als früher, behaupten die Gesprächspartner und Informanten. Besonders in der Nachtschicht, weil leichte Arbeiten wohl nur Werkarbeitende ausführen dürfen. Paletten seien ständig zu schwer für Frauen, heißt es von mehreren Seiten. Täglich bis zu zwei Tonnen Waren müssten sie zusammenbauen.

    Der Einsatz von externem Personal – die Befragten sprechen von um die 80, die seit November "plötzlich da waren" – kommt überraschend. Laut Verdi und Betriebsrat hatte es in der Vorwoche beim Gespräch mit der Geschäftsleitung zum Sozialplan geheißen, das Unternehmen plane, Werkarbeitsfirmen ab Juli zu beauftragen. Der Konzern hatte sich damals nicht dazu geäußert.

    Auf eine neuerliche Anfrage bestätigt ein Unternehmenssprecher nun dieses Vorgehen: "Schon seit längerem erhalten wir am Standort in Donnersdorf Unterstützung durch Werkunternehmen." Man habe kurzfristig mehr Personal benötigt, um die Warenversorgung der Filialen sicherzustellen. Eingesetzt würden Werkarbeiter in der Nachtschicht, eine notwendige Abgrenzung zu den Beschäftigten durch Kaufland sei "selbstverständlich gewährleistet", teilt er mit.

    "Schon seit längerem erhalten wir in Donnersdorf Unterstützung durch Werkunternehmen"

    Unternehmenssprecher von Kaufland

    Das getrennte Arbeiten von Angestellten und Werkarbeitenden bestätigen die Gesprächspartner. Das Unternehmen sei dazu übergegangen, "Arbeitsbereiche für die eigenen Mitarbeiter zu sperren", so William. Der Kontakt zu Fremdarbeitern sei untersagt. Gleichwohl habe man mitbekommen, dass dort offenbar eine "Hire- und Fire-Mentalität" (einstellen-und-feuern-Mentalität) herrscht. Wer Vorgaben nicht schaffe, sei "sofort weg".

    Werkarbeiter dürfen nicht mit den Arbeitnehmern des Auftraggebers zusammenarbeiten

    Ein gemeinsames Arbeiten wäre problematisch. Nach Ansicht der für Arbeitsrecht renommierten Rechtsanwaltskanzlei Spengler & Kollegen in Würzburg dürfen Werkarbeiter "in keinster Weise mit den Arbeitnehmern des Auftraggebers zusammenarbeiten", informiert Bernd Spengler. Es bestünde die Gefahr einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung.

    Dass sich dies in der Praxis nicht immer klar trennen lässt, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2012. Damals gab es Ermittlungen wegen illegaler Schweinwerkverträge in Logistikzentren des Kaufland-Konzerns. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren zwar ein, laut Verdi wurden aber "mehrere Millionen Euro Bußgeld für Kaufland fällig und die prekären Werkarbeitsverträge beendet".

    Dass Kaufland einen Mehrbedarf als Grund für den Einsatz von Werkarbeitsfirmen angibt, klingt für Deborah, Jonas und William wenig glaubwürdig. Sie und ihre Kollegen wurden jüngst aufgefordert, ihre Überstunden abzubauen. "Während Corona machten diese Leute ständig Überstunden. Sie haben Kaufland Einnahmen und Gewinne in Millionenhöhe beschert, jetzt sind sie überflüssig", sagt William. Er fragt sich, "ob wir schon ersetzt werden".

    Nicht alle kommen mit dieser Situation zurecht. Die drei haben erfahren, dass zuletzt einige Kollegen von sich aus gekündigt hätten. Sie selbst sind ebenfalls "total verzweifelt", wollen aber noch nicht aufgeben.

    Sie haben um Hilfe gebeten und Briefe geschrieben, um auf ihre Notlage aufmerksam zu machen. Einer ging an den Ministerpräsidenten. Eine Antwort kam bislang weder von Markus Söder noch vom Ethikrat. Immerhin kündigte Staatsminister Florian Herrmann beim CSU-Neujahrsempfang in Grettstadt an, das Gespräch mit Kaufland zu suchen.

    Eine schriftliche Rückmeldung gab es von Ulrike Scharf, der Staatsministerien für Familie, Arbeit und Soziales. In der Antwort, die der Redaktion vorliegt, heißt es, die Staatsregierung könne auf unternehmerische Entscheidungen keinen Einfluss nehmen. Verwiesen wurden sie an die Agentur für Arbeit, im Falle einer Kündigung. Und dass ihnen dann "der Rechtsweg zu den zuständigen Arbeitsgerichten" offenstehe.

    Deborah schüttelt den Kopf darüber. Sie ist enttäuscht. "Ich hätte mir wenigstens mehr Mitgefühl gewünscht."

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