Auf dem Richtertisch haben sich sechs prall gefüllte Leitz-Ordner mit Chatprotokollen gestapelt. Der Gerichtssaal war voll. Sechs Angeklagte mit ihren Anwälten, dazu im Zuschauerbereich Eltern, Geschwister und Freunde. Dass dieser Fall außergewöhnlich ist, war schon rein optisch sofort klar.
Bei sechs Angeklagten kann man schon mal den Überblick verlieren: "Setzen Sie sich mal der Reihe nach um, wie ich Sie auf der Liste habe", versuchte der Vorsitzende Richter Ordnung ins Chaos zu bringen. Nach kurzer Verwirrung – "Ich dachte, wir sind die Nummer Fünf?" – konnte der Prozess losgehen.
Vom Konsum zum Handel mit Ecstasy
Allein die einleitende Verlesung der Anklageschrift am Schweinfurter Amtsgericht dauerte fast zwanzig Minuten: Die sechs Jugendlichen, heute zwischen 18 und 20 Jahre alt, sollen vor fast zwei Jahren Drogen im Darknet gekauft und anschließend weiterverkauft haben. Als Bande hätten sie so mit mindestens 800 Ecstasy-Tabletten gehandelt. Mehrere Tausend Euro sollen sie damit verdient haben.

Alle Angeklagten, damals zwischen 16 und 18 Jahre alt, gaben gleich zu Beginn die Anschuldigungen zu. Sie seien Freunde gewesen, mehrere hätten selbst Drogen konsumiert. Von der Beschaffung für den eigenen Konsum aus hätte das Ganze dann eine Eigendynamik entwickelt, erklärten die Angeklagten die Hintergründe.
Klare Rollenverteilung und gemeinsame Absprache
Gruppendynamiken, Freundschaftsdienste und die Faszination, dazuzugehören, dienten vor Gericht als Erklärung. "Freundschaft bedeutet, einen Kumpel davon abzuhalten, Scheiße zu bauen", warf der Richter dagegen ein. "Die Vier" nannte sich die Gruppe selbst. Nach kurzer Zeit kam dann noch ein fünfter Freund dazu. Heute machen sie alle eine Ausbildung oder arbeiten.
Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hatte die Gruppe ein "enormes kriminelles Talent, mit geschickter Logistik unterfüttert". Einer habe die Bestellung übernommen und mit Bitcoins bezahlt. "Sie waren der logistische Kopf", sprach der Staatsanwalt ihn direkt an. Ein anderer habe sich als "Chef und Mafiaboss aufgespielt", fand der Richter. Auch der Verkauf lag dann in den Händen bestimmter Jugendlicher. Mengen, Preise und Verteilung der Gewinne seien gemeinschaftlich miteinander abgesprochen worden.
Ein Freund, Bandenmitglied oder Beihelfer?
Der sechste Angeklagte, heute Bundeswehrsoldat, sagte aus, er sei rein freundschaftlich mit den anderen verbunden gewesen. Er habe zwar gewusst, dass sie Drogen übers Internet bestellten, sich allerdings nie daran beteiligt – mit einer Ausnahme. Um online anonym zu bleiben, wurden die Drogen zu verwaisten Briefkästen bestellt. Einmal hätten ihn die anderen nach einem solchen gefragt und er habe eine Adresse genannt. Durch ein Versehen sei die Lieferung allerdings an die Adresse seiner Mutter gegangen.

Weder vorher noch nachher hätte er sich an den Geschäften der Gruppe beteiligt, sagte der Soldat und auch die Mitangeklagten bestätigten die Geschichte. Für ihn und seinen Anwalt sei er deswegen als Einziger kein Teil der "Bande", was einen strafrechtlichen Unterschied macht, sondern bloß "Beihelfer" gewesen.
Auflösungserscheinungen und Auffliegen der Bande
Die Gruppe löste sich den Aussagen zufolge nach und nach auf. Heute seien sie nicht mehr befreundet. Einigen sei es "zu weit" gegangen. Expansionspläne einzelner seien nicht von allen mitgetragen worden. Ihnen sei es zu heikel geworden, sagten manche.
Die endgültige Auflösung kam aber erst mit einer Polizeikontrolle. Zwei der Jugendlichen wurden beim Verkauf von der Polizei erwischt. Daran anschließende Hausdurchsuchungen und Ermittlungen haben wohl dann das ganze Ausmaß des Drogenhandels auffliegen lassen. Nur einer der fünf jungen Männer soll danach noch alleine weiter gehandelt haben.
Nachgewiesene Mengen möglicherweise nur "die Spitze des Eisbergs"?
Was und wie viel genau die jugendliche Bande gehandelt hat, wurde im Prozess nicht klar. Der Vorsitzende Richter äußerte zumindest die Vermutung, dass die sicher nachgewiesenen Mengen nur "die Spitze des Eisbergs" sein könnten. Auf weitere Beweisführungen und Zeugenbefragungen wurde allerdings verzichtet. Auch die Ordner-füllenden Chats wurden nicht verlesen.
Das Gericht, im Unterschied zu den Verteidigern, sah die Schwere der Schuld "uneingeschränkt" gegeben. Die fünf Jugendlichen aus dem Kern der Gruppe wurden daher wegen des bandenmäßigen Drogenhandels zu Jugendstrafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Alle Strafen wurden auf Bewährung ausgesetzt. Zusätzlich müssen sie individuelle Geldauflagen zahlen und gemeinnützige Arbeit verrichten.

Den Sechsten, der nur die Adresse für eine Lieferung angab, sah das Gericht nicht als Teil der Bande. Er wurde wegen Beihilfe, und weil bei seiner Hausdurchsuchung verbotene Messer und ein Wurfstern gefunden wurden, verwarnt. Alle sechs Jugendlichen wurde zudem der Konsum jeglicher Drogen zwei Jahre lang verboten. Vier der Angeklagten akzeptierten das Urteil bereits. Bei den beiden anderen ist es noch nicht rechtskräftig.