Angst – dieses Wort fiel einige Male in der Runde am Dienstagabend im alten Obbacher Rathaus. Angst vor dem Fremden. Angst vor zu vielen Fremden.
Obbach beherbergt seit einigen Monaten 14 afghanische Flüchtlinge. Jetzt hat das kleine Dorf noch 18 weitere Flüchtlinge dazu bekommen. Das Landratsamt Schweinfurt hat am Ortsausgang in der Sulzthaler Straße ein Wohnhaus angemietet, in dem vor einer Woche Familien aus Somalia und Armenien eingezogen sind. Manchen Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern macht die wachsende Zahl an fremden Menschen im Ort Sorgen oder gar Angst. Bürgermeisterin Simone Seufert hatte die Bevölkerung deshalb zu diesem Informationsabend ins alte Rathaus eingeladen.
Etwa 25 Frauen und Männer unterschiedlichen Alters sind gekommen. Unter ihnen auch Pfarrerin Corinna Bandorf und die Erzieherinnen des örtlichen Kindergartens sowie zweite Bürgermeisterin Gabriele Jakob, die selbst in Obbach wohnt. Es geht darum, "offen zu reden", mögliche Probleme offen anzusprechen. Das ist der Bürgermeisterin wichtig. Und sie stellt gleich klar: "Weder die Gemeinden noch der Landkreis können hier gegensteuern." Die Flüchtlingspolitik sei Sache der Bundesregierung in Berlin, "wir sind nur diejenigen, die es managen müssen".
Ankerzentrum ist überbelegt
Anders als in den Vorjahren ist die Zahl der Flüchtlinge heuer in den Wintermonaten nicht rückläufig. "Gefühlsmäßig werden es immer mehr", formuliert Seufert die allgemeine Wahrnehmung. Fakt ist: Das Ankerzentrum Geldersheim, das die Regierung von Unterfranken für den Freistaat Bayern vor der Haustür der Gemeinde Euerbach betreibt, ist voll, mit 1556 Personen (Stand 30. September 2023) sogar leicht überbelegt.
Um Platz für neue Zugänge zu schaffen, werden Flüchtlinge nach der Erfassung und Bearbeitung ihres Asylantrags deshalb zügig in dezentrale Unterkünfte verlegt. Zum Beispiel in Übergangswohnheime der Regierung von Unterfranken oder in angemietete Gemeinschaftsunterkünfte. So wie die in Obbach. Die beiden Wohnhäuser, in denen jetzt Flüchtlinge leben, hat das Landratsamt von Privatleuten angeboten bekommen.
"Man darf ein Dorf nicht überfordern"
Simone Seufert, Bürgermeisterin von Euerbach
Es gehe das Gerücht um, ein Nebengebäude auf dem Nachbaranwesen in der Sulzthaler Straße solle auch noch für Flüchtlinge genutzt werden, sagt ein Anwesender. Davon weiß die Bürgermeisterin nichts. Aber natürlich könne jeder und jede sein Anwesen für solche Zwecke vermieten. "Wir haben darauf null Einfluss." Auch könne die Gemeinde nicht jede leerstehende Immobilie kaufen, um solche Nutzungen auszuschließen. Das Vorkaufsrecht der Kommune sei hier sehr restriktiv, weist auch zweite Bürgermeisterin Gabriele Jakob diesen Vorschlag aus der Runde zurück.

"Ich habe das Gefühl, die Regierung will die Leute mit aller Gewalt in den Dörfern unterbringen", meint ein Anwesender mit Blick auf die Obbacher Flüchtlingsquote. Bei 800 Einwohnern beträgt sie vier Prozent. Wohin die Flüchtlinge kommen, werde kurzfristig entschieden, erklärt Seufert. Aktuell werde jede Unterkunft, die zur Verfügung stehe, genutzt. Darüber sei auch sie nicht begeistert. Denn "man darf ein Dorf nicht überfordern". Gegensteuern könne sie nicht, nur das Beste daraus machen.
Diakonie betreut die Flüchtlinge vor Ort
Über die neuen Flüchtlinge war die Gemeinde laut Seufert erst kurzfristig informiert worden. Diesmal immerhin mit einigen Tagen Vorlauf, beim Einzug der Afghanen in das Wohnhaus am Dorfgraben ging es von heute auf morgen. Und anders als damals, als die Gemeinde erst einmal die Alltagsausstattung für die 14 jungen Männer besorgen musste, sei in der zweiten Unterkunft alles vorhanden.
Eine gewisse Erleichterung ist bei den Anwesenden spürbar, dass diesmal nicht nur junge Männer nach Obbach gekommen sind, sondern Familien mit Kindergartenkindern und einem Schulkind. Auch ein Baby ist unterwegs. "Sie sind sehr nett", sagt eine Frau, die zugibt, anfänglich Bedenken gehabt zu haben. Bürgermeisterin Seufert nimmt eine "ungeheure Dankbarkeit" bei den neuen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern wahr.
Damit es gar nicht erst zu Problemen kommt, hat die Rathauschefin den Neuen gleich die Regeln im Dorf erklärt: grüßen, nicht rumlungern, kein Alkohol. Die Diakonie betreut die Flüchtlinge vor Ort und ist auch für die Bevölkerung Ansprechpartner. Dass das Zusammenleben gelingen kann, zeige sich bei den 14 Afghanen. "Das sind ganz brave, liebe Jungs", sagt Seufert. Auch die Verständigung funktioniere, denn inzwischen haben alle ihren Deutschkurs absolviert. Die neuen Flüchtlinge sind dafür bereits angemeldet.
Straßenbeleuchtung wird überprüft
Klaus-Peter Müller gehört zum Helferkreis, der sich nach der Ankunft der ersten Flüchtlinge in Obbach gebildet hat. Er schildert seine positiven Erfahrungen mit den jungen Männern und appelliert, die neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger anzunehmen.
Eine Frau bleibt skeptisch, hat Zweifel an der "schönen Blümchenwelt". Sie mache andere Erfahrungen beim Einkaufen, und sie beschleiche ein "komisches Gefühl" bei so vielen Flüchtlingen in ihrer Nähe. Auch könnten Dekoartikel im Garten und Wäsche von den Grundstücken gestohlen werden, verwies sie auf Vorfälle in Geldersheim.

Eine andere Frau bekennt, dass ihr junge Männer in größerer Anzahl – "egal welcher Nationalität" – Angst machen. Sie moniert zudem fehlende Straßenlampen am Ortsausgang in der Sulzthaler Straße, abends sei es unheimlich dort zu laufen. Die Beleuchtung soll nun überprüft werden.
"Das sind Horrorszenarien", meint ein Obbacher, der täglich mit seinem Hund dort Gassi geht und keinen Anlass für solche Befürchtungen erkennen kann. Bürgermeisterin Seufert nimmt die Sorgen ernst und fordert dazu auf, Probleme sofort bei der Gemeinde zu melden. "Ich habe immer ein offenes Ohr." Sie werde zudem bitten, dass verstärkt Polizeipatrouillen in Obbach erfolgen.
Dass die Obbacher trotz aller Sorgen und Ängste ein Herz für Flüchtlinge haben, zeigt sich noch am gleichen Abend. Eine Bürgerin entdeckt an der Bushaltestelle hilflose Flüchtlinge mit Kindern, die auf dem Weg ins Ankerzentrum in Obbach gestrandet sind. Sie alarmiert die Bürgermeisterin, die kurzerhand einen vorbeifahrenden Bus stoppt und die 16 Menschen persönlich ins Ankerzentrum bringt. "Großen Dank an den Busfahrer", sagt Seufert. Denn er hatte eigentlich schon Feierabend.
Information: Die Gemeinde Euerbach sucht Fahrräder für die neuen Flüchtlinge. Auch defekte Gefährte werden angenommen. Die Fahrräder können im Rathaus in Euerbach abgegeben werden.