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SCHWEINFURT: Interview mit Ralf Hofmann: 20 Jahre Honky Tonk - Den Wurzeln treu geblieben

SCHWEINFURT

Interview mit Ralf Hofmann: 20 Jahre Honky Tonk - Den Wurzeln treu geblieben

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    Nacht der Kneipen, der Freiluftbühnen und der Musik: Eine Aufnahme vom Honky Tonk aus dem Jahr 2010.
    Nacht der Kneipen, der Freiluftbühnen und der Musik: Eine Aufnahme vom Honky Tonk aus dem Jahr 2010. Foto: Foto: Laszlo Ruppert

    Das 20. Honky-Tonk-Kneipenfestival in Schweinfurt findet am Samstag, 7. Juli 2012, von 18 bis 6 Uhr auf 30 Bühnen mit 50 Bands und DJs und Tänzern statt. Der Schweinfurter Ralf Hofmann, Jahrgang 1967, ist einer der Erfinder des Festivals und Mitgründer der Veranstalteragentur Blues Agency, deren Geschäftsführer er gemeinsam mit Dominik Brähler ist. Die Blues Agency bietet inzwischen eine Fülle verschiedener Formate an, vom Public Viewing bis hin zur langen Einkaufsnacht. Die erste Ausgabe des Honky Tonk ging 1991 in Schweinfurt über die Bühne. Es folgten weitere Honky Tonks in vielen deutschen Städten, in der Schweiz, in Österreich und Bulgarien. Von 2000 bis 2010 hat die Blues Agency ausschließlich von Leipzig aus operiert, heute sind die beiden Standorte Leipzig (Brähler) und Schweinfurt (Hofmann). Auf mittlerweile 630 Honky-Tonk-Festivals haben bislang 12 500 Bands gespielt. Das Saarland und Brandenburg sind die einzigen Flächenbundesländer, in denen noch kein Honky Tonk stattfand.

    Frage: Vom Kneipenfest zur Full-Service-Agentur – wie hat alles angefangen?

    Ralf Hofmann: Also, wir haben mit unserer nassforschen Attitüde schon immer gedacht, dass wir eine Full-Service-Agentur sind. Wir wollten schon immer mehr sein als eine klassische Veranstaltungsagentur. Es sollte immer auch ein Gefühl außen rum entstehen. Natürlich merkt man sehr schnell, wenn man lokal im Kleinen anfängt, dass das nicht ausreicht, um einen Lebensunterhalt zu bestreiten. Man muss das gleich weiterentwickeln. Und so haben wir immer versucht, neue, individuelle Veranstaltungskonzepte zu entwickeln. Jetzt, nach diesem langen Zeitraum, zeigt sich, dass wir mit dieser aufwendigeren Herangehensweise doch ankommen.

    Wie ist das Honky Tonk überhaupt entstanden – habt Ihr das erfunden?

    Hofmann: Honky Tonk haben wir in dieser Form tatsächlich erfunden. Es war die erste musikgenreübergreifende Veranstaltung, die einer organisiert hat. Es gab ein Vorbild in Emden, ein reines Bluesfestival. Wir wollten das aber weiter fassen. Neu war auch unser Allverantwortlichkeitsgedanke – und der ist über die Jahrzehnte unser Alleinstellungsmerkmal geblieben. Alles aus einer Hand, bis auf die Gastronomie, um langfristig die Qualität zu sichern. Wir hatten damals schon vieles versucht und verworfen. Das Honky Tonk war die erste Idee, für die wir die Möglichkeit des wirtschaftlichen Erfolgs gesehen haben. Wir haben damals aber noch nicht erkannt, welches Potenzial dahintersteckte.

    Zuvor habt Ihr also andere Veranstaltungen angeboten?

    Hofmann: Ja, die Bluestage zum Beispiel. Die waren zuerst mit der Schreinerei verknüpft. Dann haben wir gemeinsam mit der Disharmonie das Theater im Zelt organisiert. Ich habe das Umsonst & Draußen mitgemacht, das waren unsere Uranfänge. Aber für den Aufwand, den die Bluestage kosteten, ist der Markt hier einfach zu klein. Alle haben uns auf die Schulter geklopft, aber davon kannst Du einfach nicht leben.

    Bedeutete die Professionalisierung einen Bruch mit den Idealen der freien Kulturszene, aus der Ihr ja stammt?

    Hofmann: Diese Frage ist die zentrale Antriebskraft seit Beginn unserer Agentur. Wir versuchen immer, den Spagat zwischen Authentizität und kommerzieller Seriosität zu schaffen. Wir waren damals schon der Meinung, dass Veranstaltungen wie Theater im Zelt wirtschaftlich vernünftig durchführbar sein können. Wir hatten halt noch nicht das Know-How dazu. Der Schnitt für uns war, dass wir im ehrenamtlichen Bereich auf Widerstände gestoßen sind, weil wir für die plötzlich „die Kommerziellen“ waren. Als mein Partner Dominik Brähler zu den zweiten Bluestagen mit der Zigarettenmarkte Chesterfield als Sponsor kam, gab es einen riesen Aufruhr. Die Gratiszigaretten hat jeder genommen, aber die Werbung wollte keiner abdrucken.

    Das war dann der Tabubruch.

    Hofmann: Genau. Wir haben aber erkannt, dass die Finanzierung solcher Veranstaltungen nie allein auf den Eintrittsgeldern ruhen kann. Der Markt bewegt es, oder er bewegt es nicht. Und wenn du's nicht kannst, dann bist du halt weg. Das war eine harte Schule. Unser Anspruch war aber trotzdem, dass wir unseren Wurzeln Schreinerei, Disharmonie, Stattbahnhof und KulturPackt treu bleiben. Und ich behaupte, dass wir da keinen Glaubwürdigkeitsverlust haben. Uns wird schon geglaubt, dass wir bei aller Kommerzialität immer einen kulturellen Anspruch haben.

    Wie zeigt sich diese Verbundenheit mit den Wurzeln?

    Hofmann: Ganz einfach: weil wir mit den Personen und Institutionen noch immer gerne und regelmäßig zusammenarbeiten. Der Stattbahnhof ist tragende Säule des myhonkytonk-Projekts, mit Jürgen Dahlke (Disharmonie) und Jimij Günther (KulturPackt) gibt es einen kontinuierlichen Austausch.

    1991 war das erste Honky Tonk in Schweinfurt – was hat sich verändert?

    Hofmann: Als wir 1991 angefangen haben, gab es noch keine Handys. Die Kommunikation lief völlig anders ab. Damals war der Trend auch noch, Leben aus der Stadt auf die Grüne Wiese zu verlagern. Was die Städte verödet hat. Es war ein großer Glücksfall, dass wir zur richtigen Zeit mit einer Konzeption auf dem Markt waren, die Leben zurück in die Stadt geholt hat. Und der Altersdurchschnitt des Publikums war völlig anders. Als wir angefangen haben, war Mick Jagger 50, jetzt ist er 70. Und genauso ist das Publikum mitgealtert.

    Kommt denn junges Publikum nach?

    Hofmann: Die Alterszielgruppe hat sich einfach um 20 Jahre erweitert. Wir erreichen immer noch 17-Jährige, aber mittlerweile sind eben auch 70-Jährige auf unseren Veranstaltungen. Das wäre in den 90er-Jahren undenkbar gewesen. Aber der fundamentalste Wandel ist, dass die Experimentierfreude des Publikums in den 90ern viel größer war als heute. Damals konnten wir eine Band wie HISS auf die große Bühne stellen und den Leuten klarmachen, das ist Partymusik, auch wenn es nicht Top 40 ist. Das wäre heute ganz schwer. Früher auch haben sich mehrere Generationen bei einer Band getroffen, egal ob Country, Cajun oder Polka. Das ist heute nicht mehr möglich. Die Vermischung findet nicht mehr statt. Die Leute wandern nur noch innerhalb ihres Genres und lassen sich nicht mehr auf Neues ein. Das liegt vielleicht daran, dass alles schonmal da war. Dass man alles schon kennt.

    Wie gestaltet man da Programm?

    Hofmann: Das ist für uns tatsächlich eine Herausforderung. Eine Folge ist, dass es keine Abschlussparty mehr gibt. Es gibt keine Band mehr, auf die sich zum Schluss alle einigen können.

    Das heißt, wenn Ihr ein Honky Tonk plant, macht Ihr eine Analyse der Altersstruktur der jeweiligen Stadt?

    Hofmann: Ja, wir machen sozialdemografische Analysen zu jeder Stadt. Wir gehen zu den Kulturvertretern, den Jugendzentren, den Bandinitiativen und schauen, was geht. In einer Stadt schwören sie nur auf lokale Bands, in der anderen wollen sie genau das nicht. Das kann sich aber innerhalb von drei Jahren wieder völlig umkehren.

    Welche Rolle spielt die Gastronomie?

    Hofmann: Jeder Wirt will natürlich bei sich Musik haben, die geht. Die Umsatz bringt, das ist ganz normal. Für den ist „künstlerisch wertvoll“ keine Kategorie, der lässt sich auf keine Experimente ein. Da ist es mühselig, immer wieder aufs Neue Qualität und Originalität zu bringen. In Schweinfurt ist es einfacher, weil wir da viele Bühnen haben, die wir selbst bespielen. Aber in vielen Städten sind wir von der direkten Zustimmung der Gastronomen abhängig.

    Spielt das Live-Erlebnis in Zeiten von Download und Facebook noch eine Rolle?

    Hofmann: Ja, es hat vor drei, vier Jahren sogar eine Renaissance des Live-Erlebnisses stattgefunden. Und da ist interessanterweise die jüngere Zielgruppe experimentierfreudiger. Die kann man mit echtem, handgemachtem Blues auf echten Instrumenten locken, weil sie das so nicht kennen. Wir versuchen auch, die sogenannten Top-40-Bands nur da einzusetzen, wo es wirklich nötig ist. Ansonsten gehen wir lieber auf die Konzeptbands – nach dem Motto, wenn ich mir U2 für 120 Euro nicht leisten kann, kriege ich ein gutes Plagiat für 14 Euro. Vor zwei Jahren hatten wir „Die toten Ärzte“ im Rathausinnenhof, da war eine Stimmung wie Rock im Park, nur kleiner. Schwer für uns ist allerdings, dass es keine neuen Impulse bei den großen Live-Acts gibt – Rock im Park ist das Gleiche wie vor 20 Jahren.

    Was sind geeignete Honky-Tonk-Städte – gibt es etwa in Universitätsstädten mehr Publikum?

    Hofmann: Universitätsstädte sind schwierig, weil die Studenten ein sprunghaftes Freizeitverhalten haben. Wir sind das klassische B-Städte-Programm. Da, wo sonst nicht so viel geboten ist. In Universitätsstädten ist so viel Innovationsdruck, dass die klassischen Methoden nicht funktionieren. Es gibt aber einen Weg: Sich mit der Studentenschaft auseinandersetzen und ein Festival im Festival kreieren. Das funktioniert sehr gut in Uni-Städten wie Leipzig, Kiel oder Rostock.

    Wie stark seid Ihr von der Konjunktur abhängig?

    Hofmann: Diametral umgekehrt – wir sind das Fest der Rezession. 2008, 2009 hatten wir eine unglaubliche Entwicklung, weil sich viele – gefühlt – die großen Konzerte nicht leisten konnten, aber trotzdem Live-Musik erleben wollten. 2009 war das bislang erfolgreichste Honky-Tonk-Jahr. Beim Sponsoring aber macht sich die Konjunktur durchaus bemerkbar – etwa die Konzentrationsprozesse im Brauereiwesen, wie sie in Norddeutschland stattgefunden haben.

    Anfang der Nullerjahre gab es eine schwierigere Zeit. Was ist da passiert?

    Hofmann: 1996 bis 2000 hatten wir einen unglaublichen Boom. Wir hatten sogar Leute, die uns empfohlen haben, an die Börse zu gehen. So blöd waren wir dann doch nicht. Aber es war schwierig, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Wir haben dann eine GmbH gegründet, Gesellschafter mit reingenommen, mit denen wir aber unzufrieden waren und von denen wir uns schnell wieder trennen mussten. Dann haben wir in Leipzig eine Immobilie erworben und waren zu naiv, um die gravierenden Fehler bei der Beratung zur Finanzierung zu erkennen. Das Kerngeschäft lief gut, aber wir hatten links und rechts einfach zu viele Baustellen, das hat richtig wehgetan. Das Resultat war, dass Dominik und ich nicht mehr den Kopf freihatten, um die Veranstaltungen selbst vorwärts zu bringen. Es gab Besucherrückgänge. Dazu kommt, dass allgemein in der Veranstaltungsbranche die Margen, gemessen am Arbeitsaufwand, recht gering sind. Und irgendwann war der Punkt erreicht, wo der Biss weg war, weil wir die Energie für falsche Dinge gebraucht haben.

    Wie seid Ihr aus dem Tief gekommen?

    Hofmann: Unser Glück ist, dass Dominik und ich dieses Urvertrauen miteinander haben, da gibt es keine gegenseitigen Beschuldigungen. Wir haben dann mit einem sehr guten Team angefangen, alles auf den Kopf zu stellen, jede Veranstaltung neu zu definieren. Labels, bei denen wir uns nie getraut hätten anzufragen, haben uns Newcomer zur Verfügung gestellt. Frida Gold war so ein Kontakt, auch wenn es dann nicht so gut gelaufen ist. Auch die Idee des Festivals im Festival gehört dazu, oder die Nachwuchsplattform. Das war viel Arbeit, aber es stimmt schon, was man sagt: Kreativität ist 10 Prozent Inspiration und 90 Prozent Transpiration. Dieser Restrukturierungsprozess hat unglaublich viel Kraft und Geld gekostet.

    Schweinfurt – Leipzig, Schweinfurt/Leipzig – wie kam es zu den zwei Standorten?

    Hofmann: Leipzig hat eine Entwicklung gemacht, die für uns als Außenstehende gar nicht so zu durchschauen war. Wir hatten dort 1994 die erste Veranstaltung, 1998 kamen 30 000 Besucher, 1999 45 000. Wir waren plötzlich eine Größe in der Stadt. 1997/98 haben wir unser Büro dort gegründet, 2000 dann die Zentrale dorthin verlegt. Aber die Claims in der Stadt waren längst verteilt, seit 1966 oder so. Es waren die Gleichen, die vor der Wende die Jobs gemacht hatten. Man hat uns zwar genutzt, um ein paar Impulse zu setzen, aber sonst hatten wir nie die Möglichkeit, mal eine größere Veranstaltung zu machen. Vielleicht waren wir auch einfach zu ungeschickt. 2006 war dann erstmal das letzte Honky Tonk, Leipzig hat die Veranstaltung nicht mehr gebraucht. 2010 sind wir dann wieder angetreten, weil plötzlich die Gastronomie auf uns zukam. Und damit waren wir plötzlich eine Leipziger Agentur. Das hat mein Partner mit großer Hartnäckigkeit erreicht.

    Das heißt, Dominik Brähler ist in Leipzig und Du bist in Schweinfurt?

    Hofmann: Ja, genau. Ich habe seit dem Wegzug nach Leipzig 2000 den Kontakt zu Schweinfurt nie abreißen lassen. Mit der Neuausrichtung und neuen Veranstaltungen wie Stadtfest und Shoppingnacht und aus einigen privaten Gründen habe ich 2010 gesagt, ich gehe zurück. Mir war eh klar, dass ich in Leipzig nicht meine Rente begehen werde. Und es hat sich gezeigt, dass die Entscheidung sehr gut für die Agentur war. Wir haben hier sehr viele spannende Projekte, Schweinfurt hat sich sensationell entwickelt.

    Das gesamte Programm mit Soundbeispielen ist auf www.honky-tonk.de zu finden. Im Vorverkauf kostet das Eintrittsbändchen 12, an der Abendkasse 14 Euro. Festival-Hotline: Tel. (03 41) 30 37 300.

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