Brav und leicht verkrampft hat man sie in Erinnerung, die Tanzschüler in den 1960er Jahren. Die Herren mit Anzug und Schlips, die Damen im Kleid oder in Rock und Bluse. Wild war das nicht gerade, doch als die Fiedlers Mitte der 1960er Jahre ihre Tanzschule eröffneten, kam doch einiger Schwung nach Schweinfurt.
Nanni und Helmut Fiedler kamen aus Nordrhein-Westfalen ins beschauliche Unterfranken. In Düsseldorf hatte Helmut als Lehrer in der Tanzschule Kayser gearbeitet. Sein Ausbilder Ernst Fern war damals sogar im Fernsehen zu sehen. In der Reihe „Gestatten Sie!“ zeigte er dem Publikum Gesellschaftstänze der 1960er Jahre.
Das Tanzen den Menschen näher bringen wollten auch Nanni und Helmut mit einer eigenen Tanzschule. In Fachzeitungen suchten sie nach entsprechenden Angeboten und stießen dabei auf die Tanzschule Effner in Schweinfurt, die zum Verkauf stand. „Es gab noch sieben weitere Bewerber“, erinnert sich Nanni Fiedler. Am Ende entschied sich der Inhaber für das Paar aus Nordrhein-Westfalen. Einzige Bedingung war: „Wir mussten heiraten. Das wollten wir aber sowieso.“
Im Jahr 1966 eröffneten sie die Tanzschule. Ihre Freunde gaben ihnen kein Jahr: „In Bayern haltet ihr das doch nicht länger aus“. Sie täuschten sich. Die Tanzschule Fiedler besteht inzwischen seit fast 45 Jahren, war zunächst in der Luitpoldstraße, später „An den Schanzen“ und seit 1985 in der Rosengasse zu Hause und in den 60ern die einzige Tanzschule in der Stadt. Damals gab es den eleganten Tanzclub Rot-Gold-Casino, erinnert sich Nanni Fiedler, im klassischen Bereich war gerade der Cha-cha-cha etabliert worden und Boogie-Woogie und Jive galten noch als „Gehopse“.
In den Tanzschulen sei es eher etwas steif zugegangen. Die Geschlechter saßen schön getrennt voneinander, man hatte einen festen Tanzpartner und der Herr brachte seine Dame nach dem Unterricht nach Hause. Außerdem war es in der Tanzschule Effner üblich, dass die Schüler mit Anzug und Krawatte kamen. Bei den Fiedlers war das anders. Schlips und Kragen waren nicht mehr Pflicht. „Ich glaube, das hat die Leute irgendwie erleichtert“, sagt sie. Neu und ungewohnt für die Schüler war, dass in der zweiten Unterrichtshälfte die Damen ihren Tanzpartner aussuchen durften – oder einfach gesagt wurde: „Jetzt geht jeder mal drei Tanzpartner weiter.“
Etwa 90 Prozent der Realschüler und Gymnasiasten gingen damals zur Tanzschule, meist in der zehnten Klasse, mit 16 oder 17 Jahren. Bis zu 30 Paare wurden damals in den Kursen unterrichtet, viel mehr als heute. Insgesamt, sagt Nanni Fiedler, dürfte sie in den vergangenen vier Jahrzehnten Jahren um die 40 000 Tanzschüler unterrichtet haben.
Bei den Tanzstunden in den 60ern hätten sie ausschließlich klassische Tänze, wie Walzer, Tango und Slow Fox gelehrt, erzählt sie. Bei den Tanztees am Sonntagnachmittag zeigte das Tanzlehrerehepaar aber auch moderne Tänze, wie Hully Gully, Boo-ga-loo oder Stomp. „Jedes Jahr kam ein neuer Modetanz dazu“, sagt Fiedler. Tänze, die nach kurzer Zeit wieder verschwunden waren, wie einige auch heute. Oder wer tanzt heute noch Lambada oder Macarena?
Zur Avantgarde, was Tänze angeht, gehörte in den 1960er Jahren die Tanzschule Bier in Wiesbaden. Fast halbjährlich habe man dort neue Choreografien herausgebracht, die oft nur auf einen Song getanzt wurden, wie Letkis oder Letkajenka. Die Fiedlers reisten regelmäßig dorthin, um zu trainieren und sich zu informieren. „Es gab ja noch keine Diskotheken und in den Lokalen wurde das nicht getanzt“, sagt Fiedler. Der Tanzverband reagierte in der Regel erst mit Verspätung. „Bis die sich geeinigt hatten, wie die richtige Schrittfolge ist, war der Tanz schon aus der Mode.“
Für Nanni Fiedler waren die 1960er Jahre eine Art „Übergangszeit“. Einige Tanzschüler blieben brav und kamen nach wie vor im Anzug, andere trugen Pullover, was einigen Eltern gar nicht gefiel. Doch die „Wilden 60er“ seien in Schweinfurt erst mit Verspätung angekommen. Durch Schüler, die an Austauschprogrammen in Frankreich, England oder den USA teilgenommen hatten, oder Studenten, die Ideen der Flower-Power-Bewegung oder der 68er mit nach Unterfranken brachten. „Wild“, sagt sie, „wurde es in Schweinfurt erst Anfang der 70er.“