Dass die Theater dringend ein junges Publikum brauchen, ist bekannt. Auch Schweinfurts Intendant Christof Wahlefeld bemüht sich ja auf neuen vielfältigen Wegen (Singer-Songwriter-Konzerte, Theaterwerkstatt oder Besuche in den Schulen) um den Besucher-Nachwuchs.
Die Kammeroper Köln – am Wochenende zweimal im Evangelischen Gemeindehaus – wagte ein anderes Experiment: Sie versuchte, das oft als verstaubt geltende Genre Operette einem jungen Publikum schmackhaft zu machen, indem sie einen Abend mit den schönsten Operettenmelodien mit einer angeblich lustigen Handlung verband. Für viele Besucher wurde das zu einer Enttäuschung.
"Unser Konzept ist eine Gratwanderung", räumt auch die Kammeroper-Intendantin und Dirigentin Esther Hilsberg-Schaarmann ein, die das kleine Orchester im Nebenraum leitet. Zur Handlung (Buch und Regie Taylor Steele): Das Publikum im Evangelischen Gemeindehaus wird von TV-Moderator Matze (Matthias Brandebusemeyer) und TV-Produzent Markus (Markus Lürick) zum Warm-up begrüßt. Wir sind nämlich plötzlich Gäste in einem TV-Studio, in dem am Silvesterabend 1969 eine Operettengala produziert wird. Beide erklären den Zuschauern auf Anzeigetafeln, wann sie zu lachen oder zu applaudieren haben. Das war schon nötig.
So weit, so gut. Doch als die Moderatoren die sechs Gesangssolisten vorstellen, ist aller Zauber der Operette schnell verflogen. Man hatte die drei Sängerinnen und die drei Sänger mit verunstaltenden Perücken und Schlabberkostümen so ungünstig ausgestattet, dass man Böses ahnte. Denn es folgt hausgemachte Comedy unter dem Motto "Wie chaotisch sieht es in einem TV-Studio aus?"
Misslungene Clownerie und Slapsticks
Die Darsteller vertreiben sich die Zeit bis zu ihrem Auftritt mit oft misslungener Clownerie und Slapsticks, und sie verspielen damit - laut Drehbuch - und mit ihren schrägen Outfits ein Stück ihrer "Glaubwürdigkeit" beim Vortrag ihrer Lieder. Nach jedem Operettensong folgt wieder "Lustiges" im Verhältnis 50 zu 50. Die Mimik der Zuschauer schwankt im ersten Teil zwischen Verblüffung und Ablehnung, dementsprechend müde ist auch ihr Applaus, verärgert klingen manche ihrer Reaktionen in der Pause.
Doch dann siegt über allen Kalauern, allem Klamauk die Kraft der unsterblichen Operettenmelodien. Dann zeigen die Protagonisten trotz ihrer verordneten Comedy-Ausflüge in den Gesangsvorträgen ihre wahre Künstlerschaft. Drei Operetten mit Welterfolg stehen im Mittelpunkt des Abends. Zunächst "Der Vetter aus Dingsda" von Eduard Künnecke. Nicola Becht bewundert mit ihrer leuchtenden Sopranstimme den "Strahlenden Mond". Zusammen mit dem Tenor Lemuel Cuento interpretiert die Sängerin "Batavia", und Ulrike Jöris stellt bei ihrem Verehrer ernüchtert fest: "Mann, oh Mann, bei dir ist ja gar nichts dran".
Dann zu Franz Lehár und seiner "Lustigen Witwe". Nicola Becht behauptet, bestätigt durch Lemuel Cuento: "Ich bin eine anständige Frau". Beide gestalten "Lippen schweigen" zu einem gelungenen Lovesong.
Aus Johann Strauß’ Meisteroperette "Die Fledermaus" singt Svenja Gabler "Mein Herr Marquis", und der Bassist Hans-Arthur Falkenrath gestaltet sein Auftrittslied "Ja, das Schreiben und das Lesen" aus "Der Zigeunerbaron" zu einem großen Erfolg. Die Moderatoren animieren dabei das Publikum zum "Schweine-Grunzen".
Aus Franz Lehárs "Das Land des Lächelns" singt Lemuel Cuento mit strahlendem Tenor und feiner dynamischer Abstufung "Dein ist mein ganzes Herz". Doch diese sängerische Leistung wird geschmälert durch die vorgegebene Spaßvogel-Verkleidung des Tenors. So etwas lässt jeden Respekt vor dem Komponisten vermissen.
Nach dem Finale honoriert das Publikum die Leistungen und die Spielfreude der Künstler zu Recht mit großem Applaus.