Radioaktive Stoffe werden täglich auf Deutschlands Straßen transportiert. Nach Angaben des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung sind es eine halbe Million Versandstücke im Jahr. Zum Großteil stammen sie aus Mess- und Forschungseinrichtungen oder aus der Medizin. Auch in Richtung Grafenrheinfeld (Lkrs. Schweinfurt) könnten demnächst Transporte mit radioaktiven Stoffen fahren, wenn Anfang 2021 das neugebaute Zwischenlager auf dem Gelände des stillgelegten Kernkraftwerks fertiggestellt ist. Kraftwerksbetreiber PreussenElektra hat die Genehmigung, in der sogenannten Bereitstellungshalle (Beha) 20 Prozent schwach- und mittelradioaktive Abfälle aus seinen anderen Kernkraftwerk-Standorten einzulagern.

Aus Würgassen zum Beispiel. Dort steht die radioaktive Fracht schon zum Abtransport bereit. Der Rückbau des nordrhein-westfälischen Kernkraftwerks ist längst beendet. Alle Betriebsgebäude sind bereits freigegeben, bis auf das eine, in dem sich die Behälter mit dem übrig gebliebenen Restmüll befinden. Sie müssen an einem sicheren Ort zwischengelagert werden, bis Schacht Konrad für die Endlagerung bereitsteht. In dem ehemaligen Eisenerzbergwerk bei Salzgitter sollen einmal bis zu 303 000 Kubikmeter radioaktive Abfälle mit "vernachlässigbarer Wärmeentwicklung" endgelagert werden.

"Wir möchten den Rückbau in Würgassen endlich abschließen", bestätigt Pressesprecherin Almut Zyweck, dass PreussenElektra aktuell die Umlagerung der radioaktiven Abfälle aus Würgassen an einen anderen Standort prüft. "Theoretisch könnte es Grafenrheinfeld sein." Hier wurde Ende 2019 auf dem Kraftwerksgelände ein neues Gebäude für die Zwischenlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Stoffen aus dem Kraftwerksrückbau errichtet, die Beha. Kosten: 17 Millionen Euro. Der lindgrün eingefärbte Quader hat ein Lagerungsvolumen von 6000 Kubikmetern. 20 Prozent davon dürfen für solche externen Reststoffe genutzt werden.
Gemeinderat Grafenrheinfel hatte BeHa abgelehnt
Der Gemeinderat Grafenrheinfeld hatte seinerzeit den Bau der Bereitstellungshalle abgelehnt. Mit der Begründung, dass Beha nicht die "höchstmögliche Sicherheit" garantiere. Das Landratsamt Schweinfurt hatte die Halle trotzdem genehmigt, weil die Behörde lediglich die bauliche Hülle zu beurteilen hatte. Die Prüfung des Strahlenschutzes oblag dem Landesamts für Umwelt (LfU), und das hatte bereits eine Genehmigung erteilt. Mit Beha gibt es deshalb nun in Grafenrheinfeld zwei Atommülllager, denn das Brennelementelager (Bella) ist ja auch noch da. Hier werden bereits die in Castoren verpackten hochradioaktiven Brennstäbe aufbewahrt.

Die Beha hingegen ist noch leer, steht aber kurz vor der Inbetriebnahme. Aktuell laufen Betriebsprüfungen an den elektrischen Anlagen. Anfang 2021 soll das Gebäude dann an die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) übergeben werden. Die Verantwortung für den atomaren Müll geht dann vom Kraftwerksbetreiber PreussenElektra an die Bundesregierung über.

Ob, wann und wieviel Transporte aus anderen Kraftwerken in Grafenrheinfeld einmal anrollen werden, ist offen. "Wir haben ja an allen neu im Rückbau befindlichen Standorten Zwischenlager eingeplant", sagt Unternehmenssprecherin Zyweck. Es sei keinesfalls vorgesehen, den Müll reihum zwischen den Lagern hin und her zu transportieren. "Auch wir wollen so wenig Transporte wie möglich." Dass PreussenElektra sich trotzdem an jedem Standort die Option zur Einlagerung von 20 Prozent externen Atommülls per Baugenehmigung hat absichern lassen, hat folgenden Grund: "Wir wollen flexibel sein." Wenn beispielsweise an einem Standort ein Zwischenlager noch nicht betriebsbereit ist, kann der schwach- und mittelradioaktive Müll dann andernorts deponiert werden. Oder wenn es wie in Würgassen überhaupt kein Zwischenlager vor Ort gibt, können die anderen Standorte einspringen.
"Wir wollen flexibel sein."
Almut Zyweck von PreussenElektra auf die Frage, warum im Zwischenlager 20 Prozent aus anderen Anlagen eingelagert werden dürfen.
Die Lagerung von Fremdstoffen in der Beha Grafenrheinfeld ist laut Baugenehmigung auf zehn Jahre begrenzt. Die Zeit läuft ab der ersten Charge. Spätestens 2031 muss deshalb Schacht Konrad fertiggestellt sein. Nach derzeitigem Stand könnte das hinhauen. Die Inbetriebnahme des ersten nach dem Atomgesetz genehmigten Endlagers ist für 2027 vorgesehen.

Aktuell befinden sich neben Grafenrheinfeld noch drei weitere Kernkraftwerke von PreussenElektra im Rückbau. Stade im Norden, das bereits 2003 abgeschaltet wurde, ist am weitesten fortgeschritten. Unterweser und Isar 1 liegen ziemlich gleichauf mit Grafenrheinfeld. 2021 werden dann die Kraftwerke Brokdorf und Grohnde abgeschaltet, und als letztes geht 2022 Isar 2 vom Netz. 2039 wird für PreussenElektra das Kapitel "atomare Energie" abgeschlossen sein.
Kernkraftwerk Grafenrheinfeld – die FaktenDas KKG wurde 1982 erstmalig in Betrieb genommen. Im Rahmen des beschlossenen Ausstiegs Deutschlands aus der Atomenergie erfolgte am 7. Juni 2015 die Abschaltung der Anlage. Der nukleare Rückbau begann im April 2018 und soll nach weiteren 15 Jahren mit dem Abriss der Gebäude im Jahr 2035 enden. Bei dem Rückbau fallen 35 500 Tonnen Material an, darunter zwei Prozent schwach- und mittelradioaktive Fraktionen, die auf dem bisherigen KKG-Gelände in das Zwischenlager BeHa gebracht werden. Die Kosten für den Rückbau werden auf zirka 1,3 Milliarden Euro geschätzt.Quelle: Preussen Elektra