Drastische Probleme erfordern drastische Maßnahmen – das scheint das Konzept der Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" zu sein. Sie kleben sich an Gemälden fest, seilen sich von Brücken ab, blockieren Straßen und machen mit ihren spektakulären und zum Teil gefährlichen Formen des Protests bundesweit auf sich aufmerksam. Ihre zentralen Forderungen: ein Tempolimit von 100 km/h und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket.
Mittlerweile haben auch in Unterfranken erste Museen aus Angst, selbst Ziel der Proteste zu werden, ihr Sicherheitskonzept überarbeitet. Denn jüngst hat die Gruppierung in einer TV-Sendung angekündigt, ihre Proteste sogar noch ausweiten zu wollen.
In der Bevölkerung ist das Vorgehen der "Letzten Generation" umstritten. Zwar stimmen viele mit ihren Zielen überein, die Aktionen der "Letzten Generation" gehen den meisten jedoch zu weit. Auch unter den Schweinfurter Klimaschützerinnen und -schützern sind die Meinungen gespalten. Sie erklären, welche Auswirkungen die Proteste auf den Klimaschutz haben könnten, warum die Stadt Schweinfurt ihrer Meinung nach in Sachen Klimaschutz hinterherhinkt und warum sich die Aktivistinnen und Aktivisten möglicherweise an den falschen Orten festkleben.

Schweinfurt entscheide nicht "enkeltauglich"
Überraschend scheinen die Aktionen der "Letzten Generation" für viele nicht zu kommen – das wird in Gesprächen mit Schweinfurter Klimaschützerinnen und -schützern schnell klar. "Meiner Meinung nach war das absehbar. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein paar Menschen zu drastischeren Maßnahmen greifen, die dann eben auch den Alltag anderer stören", sagt Meike Weichold von People for Future Schweinfurt. Immerhin hätte sich in der Vergangenheit gezeigt, dass weniger drastische Formen des Protests auch wenig Wirkung zeigten. "Es ist so viel versucht worden, offene Briefe, Petitionen, Demos, aber alles hat nichts genützt. Jetzt werden sie eben krasser", sagt Weichold.

Wirklich gutheißen will man die Härte des Protests in Schweinfurt zwar nicht, die Beweggründe hinter den Aktionen könne man jedoch nachvollziehen. "Die Menschen sind verzweifelt – und ich kann das verstehen", sagt Manfred Röder, Sprecher der AG "Klimafreundliche Mobilität" der Lokalen Agenda 2030 der Stadt Schweinfurt. "Wir sind auch manchmal verzweifelt, dass in der Politik, auch in der Kommunalpolitik, einfach nichts vorangeht. Da fragen wir uns manchmal auch: Ist das der richtige Weg? Müssten wir das vielleicht auch machen?", so Röder.
"Gerade in Schweinfurt finde ich es extrem, dass man einfach nicht enkeltauglich entscheidet."
Roland Merz, Sprecher der Arbeitsgruppe "Nachhaltigkeit in der regionalen Wirtschaft"
Immer wieder wirft die "Letzte Generation" der Regierung vor, Warnungen vor den Folgen des Klimawandels zu ignorieren und Maßnahmen zu zaghaft anzupacken. Ein Problem, das man scheinbar gerade in Schweinfurt sehr gut nachvollziehen kann.
"Man muss jetzt einfach darüber nachdenken, welche Auswirkungen die Entscheidungen, die ich heute treffe, in 20 Jahren haben werden", sagt Roland Merz, Sprecher der Arbeitsgruppe "Nachhaltigkeit in der regionalen Wirtschaft" der lokalen Agenda 2030. "Gerade in Schweinfurt finde ich es extrem, dass man einfach nicht enkeltauglich entscheidet", kritisiert er. Beispiele dafür seien etwa die abgeschaffte Baumschutzverordnung oder die geplante Versiegelung weiterer Flächen am Gottesberg. "Das sind Fehler, die dürfen nicht mehr passieren", so Merz.
Proteste der "Letzten Generation" treffen die Falschen
Die Verzweiflung der jungen Menschen, vor deren Hintergrund die Aktionen der "Letzten Generation" stattfinden, treffen in Schweinfurter Klimaschutzkreisen also durchaus auf Verständnis. "Ich finde die Aktionsform zwar nicht gut, aber ganz ehrlich: An der Frage, was wir denn sonst noch tun sollen, knabbere ich auch", sagt Pfarrer Heiko Kuschel, Beauftragter für Klimaschutzmanagement des Dekanats Schweinfurt. Und eines sei klar: "Wenn wir nicht deutlich mehr handeln, dann sind Kunstwerke bald unser kleinstes Problem", so Kuschel.

Die große Frage sei jedoch, ob diese Form des Protests auch wirklich den gewünschten Effekt erziele. "Natürlich schaffen sie Aufmerksamkeit, sie sorgen aber auch für Ablehnung", sagt Kuschel, "das Problem ist, dass sie die Leute zwar konfrontieren aber nicht mitnehmen und ich glaube nicht, dass das ein guter Weg sein kann."
Die Proteste der Gruppe träfen also nicht unbedingt die Richtigen, gibt auch Manfred Röder zu bedenken. Statt Privatmenschen auf Autobahnen zu blockieren, müsste vielmehr die Politik zur Verantwortung gezogen werden, findet er. Rathäuser und Staatsministerien statt Straßen und Museen quasi. "Da würden sie an der richtigen Stelle kleben, nämlich da, wo die Leute sitzen, die auch was bewirken könnten", sagt Röder. "Wenn plötzlich zehn Leute vor dem Rathaus kleben und der Oberbürgermeister kommt nicht mehr raus – dann hätte man eine Diskussion. Das wäre nachvollziehbarer", sagt er.
Ziviler Ungehorsam als Teil der Demokratie
Mit ihrer bisherigen Linie trifft die "Letzte Generation" in der Bevölkerung Umfragen zufolge nämlich vor allem auf Ablehnung. So fand bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der "Augsburger Allgemeinen" etwa jeder achte Befragte, dass die Gruppierung mit ihren Aktionen dem Anliegen des Klimaschutzes schade.

Mehrheitliche Sympathie müsse jedoch auch nicht unbedingt das Anliegen der Gruppe sein, meint Meike Weichold. "Sie suchen nicht die Zustimmung der Bürger, sondern wollen wirklich auf die Sache aufmerksam machen", sagt sie. In Schweinfurt habe sie ohnehin das Gefühl, dass die "Letzte Generation" nicht mit anderen Bewegungen wie etwa Fridays for Future in einen Topf geworfen werde. "Ich glaube, dass die Leute das differenzieren können und wissen, dass die Klimabewegung breit gefächert ist", so Weichold.
Dennoch müsse eine Entwicklung mit Sorge betrachtet werden, gibt Pfarrer Heiko Kuschel zu bedenken. "Was mich wirklich schockiert, ist die Hasswelle, die durch die Sozialen Medien schwappt – von Leuten, die scheinbar nicht verstanden haben, dass es hier um unsere Lebensgrundlage auf diesem Planeten geht", sagt er.

Dass die Aktivistinnen und Aktivisten zum Teil öffentlich in die Nähe terroristischer Organisationen wie der RAF gerückt werden, halte er für besorgniserregend. "Ziviler Ungehorsam war schon immer Teil unseres demokratischen Geschehens, eine Form der politischen Auseinandersetzung und ist es noch", sagt er. Mit welcher Härte die Aktivistinnen und Aktivisten polizeilich verfolgt würden, entsetze ihn. "Zum Teil werden Maßnahmen ergriffen, die eigentlich für Terrorismus vorgesehen sind – hier sind meiner Meinung nach völlig die Maßstäbe verrutscht."