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Schweinfurt/Würzburg: "Mama, sind wir diese bösen Menschen?": Wie 8 Menschen aus Unterfranken Rassismus erleben

Schweinfurt/Würzburg

"Mama, sind wir diese bösen Menschen?": Wie 8 Menschen aus Unterfranken Rassismus erleben

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    Sie sehen sich oft mit Vorurteilen und Anfeindungen konfrontiert: Diese acht Menschen aus Unterfranken teilen ihre Erlebnisse zum internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März.
    Sie sehen sich oft mit Vorurteilen und Anfeindungen konfrontiert: Diese acht Menschen aus Unterfranken teilen ihre Erlebnisse zum internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März. Foto: Patty Varasano

    Rassismus äußert sich in vielen verschiedenen Facetten: Diskriminierungen aufgrund der Hautfarbe, Anfeindungen, Beleidigungen auf dem Schulhof, Aussagen, die "doch gar nicht so gemeint waren" oder derbe Sprüche auf dem Fußballfeld. Anlässlich des internationalen Tags gegen Rassismus am 21. März, sprechen acht Menschen aus Unterfranken darüber, wie sie Rassismus erleben.

    1. Naimah Saalah (27) aus Schweinfurt: "Sie haben uns einfach beleidigt"

    Naimah Saalah hat mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Seit sie Mutter ist, erlebt sie rassistische Äußerungen noch häufiger als zuvor.
    Naimah Saalah hat mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Seit sie Mutter ist, erlebt sie rassistische Äußerungen noch häufiger als zuvor. Foto: Johannes Kiefer

    "Vor ein paar Tagen war ich mit einer Freundin und unseren Kindern auf dem Spielplatz. Da waren zwei Herren, die haben Bier getrunken und wir sind an ihnen vorbeigelaufen. Mein Sohn hat eine Gummibärchen-Tüte fallen gelassen und die zwei Männer sind direkt aufgesprungen. Sie sind hinter uns hergelaufen und haben geschrien: 'Ihr habt etwas runtergeschmissen.' Das hätten sie auch normal sagen können. Ich habe nicht bemerkt, dass mein Sohn etwas fallen gelassen hat. Er ist ein Kind, aber der eine Mann hat direkt geschrien: 'Wir bezahlen euch schon alles. Wir räumen nicht auch noch für euch auf.'

    Sie haben uns einfach beleidigt. Ich habe noch nie Sozialleistungen in Deutschland bezogen und immer in der Pflege gearbeitet. Aktuell bin ich in Elternzeit und anschließend werde ich wieder arbeiten. Das Erlebnis hat mich sehr wütend gemacht. Vielleicht bezahle ich durch meine Steuern deren Leben und nicht andersrum. Ich habe einen Job - ob sie einen haben, weiß ich nicht."

    2. Enis Tiz (27) aus Würzburg: "Ich selbst habe mich immer als Deutscher gesehen"

    Die Eltern von Eniz Tiz kamen vor 30 Jahren nach Deutschland. Er ist in Deutschland geboren, dennoch gehen viele davon aus, dass dieses Land nicht seine Heimat ist.
    Die Eltern von Eniz Tiz kamen vor 30 Jahren nach Deutschland. Er ist in Deutschland geboren, dennoch gehen viele davon aus, dass dieses Land nicht seine Heimat ist. Foto: Patty Varasano

    "Viele gehen davon aus, dass Rassismus in akademischen Kreisen nicht existiert, weil die Menschen aufgeklärt sind, aber leider ist das nicht immer so. Zum Beispiel habe ich einmal erzählt, dass ich meine Eltern besuchen fahre. Ich habe es so formuliert: 'Ich fahre am Wochenende in die Heimat.' Meine Heimat ist Aachen, denn da wurde ich geboren. Daraufhin wurde ich von einer Person gefragt, ob ich denn aktuell in der Pandemie überhaupt fliegen könnte. Ich dachte mir, wieso sollte ich denn nach Aachen fliegen und habe geantwortet: 'Nein, ich fahre immer mit dem Auto.' Die Person hat mich dann gefragt, ob das nicht eine sehr weite Strecke mit dem Auto bis in die Türkei wäre. Es passiert immer wieder, dass die Menschen denken, ich meine mit 'Heimat' die Türkei, weil ich nicht deutsch aussehe.

    Ich habe mir oft die Frage gestellt: Wo komme ich eigentlich her? Die Gesellschaft ist offensichtlich so weit, dass sie mir die Türkei als Heimat zuschreibt, weil meine Eltern dort geboren sind. Ich selbst habe mich aber immer als Deutscher gesehen. Die Identitätsfrage begleitet mich bis heute. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ich spreche Türkisch und kenne die Kultur, weil meine Eltern mir das beigebracht haben, aber das dominiert nicht meinen Alltag. Das Problem ist, viele Menschen mit migrantischer Geschichte brauchen bei der Identitätsfrage viel länger, um eine Antwort zu finden. Diese Frage nach dem: Wer bin ich? begleitet sie ein Leben lang."

    3. Wafaa Bilal (41) aus Schweinfurt: "Kinder trifft Rassismus noch ein Stück schlimmer"

    Wafaa Bilal begegnet Rassismus auch im Zusammenleben mit Menschen, die selbst migrantische Wurzeln haben. Als Kurdin wird sie oft angefeindet.
    Wafaa Bilal begegnet Rassismus auch im Zusammenleben mit Menschen, die selbst migrantische Wurzeln haben. Als Kurdin wird sie oft angefeindet. Foto: Johannes Kiefer

    "Ich glaube, Kinder trifft Rassismus noch ein Stück schlimmer, weil sie dann vielleicht ihr Aussehen, ihre Herkunft oder ihre Kultur infrage stellen. Meine Tochter wurde in der Schule von einem türkischstämmigen Jungen gefragt, ob sie auch zu dieser bösen muslimischen Gruppe gehört, die überall Krieg anfangen und Frauen und Kinder umbringen. Er meinte den Islamischen Staat (IS). Meine Tochter wusste nichts davon, sie kam nach Hause und hat mich gefragt: 'Mama, sind wir diese bösen Menschen? Haben meine Großeltern das gemacht?' Sie war total verunsichert durch das, was der Junge ihr erzählt hatte. Ich habe ihr dann erklärt, dass wir mit dem IS nichts zu tun haben.

    Ich bin Kurdin, aber ich hasse niemanden. Ich möchte auch nicht, dass jemand automatisch etwas Schlechtes von mir denkt, nur weil ich Kurdin bin. Ich erlebe sehr viel Rassismus, auch von Menschen, die selbst eine migrantische Geschichte haben. Rassismus ist etwas, das kommt von einzelnen Menschen, nicht von einer bestimmten Nation."

    4. Naoufel Hafsa (40) aus Würzburg: "Spreche ich mit französischem Akzent, sind die Leute freudig überrascht"

    Naoufel Hafsa hat drei Staatsbürgerschaften: die deutsche, die französische und die tunesische. Nicht auf alle Nationalitäten reagieren die Menschen gleich.
    Naoufel Hafsa hat drei Staatsbürgerschaften: die deutsche, die französische und die tunesische. Nicht auf alle Nationalitäten reagieren die Menschen gleich. Foto: Patty Varasano

    "Ich bin selbst Migrant. Mein Vater kommt aus Tunesien, meine Mutter aus Algerien. Ich bin in Frankreich geboren. Dass Menschen mich darauf aufmerksam machen, dass ich anders bin, ist vollkommen in Ordnung. Ich bin ja auch anders. Meine Haut ist vielleicht dunkler und meine Behaarung stärker. Ein Problem entsteht erst, wenn eine Bewertung hinzukommt. Ist das eine besser als das andere? Das ist Rassismus. Ich habe das immer wieder erlebt. Ich spreche Französisch und Arabisch. Wenn ich Menschen begegne und ich spreche mit französischem Akzent, dann sind die Leute freudig überrascht und sagen: 'Oh, du kommst aus Frankreich?'

    Spreche ich aber mit arabischem Akzent, dann reagieren die Leute verhaltener, vorsichtiger und man merkt, dass die Menschen mir einfach verhaltener begegnen. Das finde ich schon krass. Es geht nicht mehr darum, wie ich aussehe, sondern wie ich spreche. Direkt wird damit etwas Bestimmtes in Verbindung gebracht. Erzähle ich, dass ich Tunesier bin, dann erscheint bei vielen direkt eine Liste: Tunesier, Nordafrika, Muslime. Sie assoziieren sehr viel damit. Sage ich, dass ich Franzose bin, erlebe ich das deutlich weniger. Das ist auch für mich überraschend."

    5. Lobaba Seryo (30) aus Schweinfurt: "Er hat die Familie erniedrigt und belehrt"

    Rassismus erlebte Lobaba Seryo bei einer Wohnungssuche. Viele Menschen haben Vorurteile gegen Menschen, die nach Deutschland geflohen sind.
    Rassismus erlebte Lobaba Seryo bei einer Wohnungssuche. Viele Menschen haben Vorurteile gegen Menschen, die nach Deutschland geflohen sind. Foto: Johannes Kiefer

    "Ich habe einer befreundeten Familie geholfen, eine Wohnung zu finden. Sie konnten noch nicht gut deutsch und da habe ich angeboten, dass ich für sie die Anfragen an die Vermieter schreibe. Sie haben eine schöne Wohnung gesehen und ich habe daraufhin den Vermieter kontaktiert. Er hat als Erstes nach dem Beruf gefragt. Ich habe ihm dann erklärt, dass die Familie aktuell ihre Miete vom Jobcenter bezahlt bekommt und seine Reaktion war: 'Die sollen erst mal arbeiten und dann eine Wohnung suchen.' Ich verstehe nicht, warum er so etwas sagen musste. Es hätte gereicht zu antworten, dass er die Wohnung an eine andere Familie vermieten möchte.

    Er hat die Familie erniedrigt und belehrt, ohne sie überhaupt zu kennen. Der Vater der Familie hat eine schlimme Verletzung an seinen Beinen. Es wird leider oft vergessen, dass Menschen, die aus Syrien, Afghanistan oder anderen Kriegsgebieten geflohen sind und den Krieg erlebt haben, körperlich und seelisch davon beeinträchtigt sind. Diese Familien kommen aus einem Kriegsland - da kommt so etwas vor."

    6. Obaidullah Sultani (23) aus Schweinfurt: "Er wollte sich nicht von mir behandeln lassen, weil ich kein Deutscher bin"

    Obaidullah Sultani ist examinierter Krankenpfleger und erinnert sich an ein Erlebnis, bei dem ihm seine Chefin den Rücken gestärkt hat.
    Obaidullah Sultani ist examinierter Krankenpfleger und erinnert sich an ein Erlebnis, bei dem ihm seine Chefin den Rücken gestärkt hat. Foto: Johannes Kiefer

    "An ein Erlebnis kann ich mich noch sehr genau erinnern, es war am 5. August 2020. Ich weiß das noch so genau, weil es mein letzter Arbeitstag im Krankenhaus war. Ich bin examinierte Pflegekraft, studiere aktuell und zu dem Zeitpunkt war ich bereits voll ausgebildet. Ich bin in ein Patientenzimmer gegangen, da lag ein Mann und er konnte nicht gut Deutsch. Ich habe ihm erklärt, dass ich gern seinen Blutdruck messen und ihm seine Medikamente geben möchte. Da hat er gesagt: 'Was? Sie Kanake?' Er wollte sich nicht von mir behandeln lassen, weil er dachte, dass ich nicht ausgebildet bin. Er hat darauf bestanden, dass meine Chefin kommt und ihn untersucht.

    Ich habe sie gerufen und ihr das Problem erklärt. Sie war sehr sauer und hat mich aus dem Raum geschickt und mit dem Patienten gesprochen. Danach hat sie mich wieder reingerufen und der Mann hat sich bei mir entschuldigt. Meine Chefin hat mir gesagt, dass ich ihn untersuchen soll. Er hat sich aber nur entschuldigt, weil meine Chefin sich so für mich eingesetzt hat. Das fand ich natürlich sehr schön und habe mich über diese Unterstützung sehr gefreut. Aber das Verhalten von dem Mann hat mich sehr schockiert. Er hat mir mein Wissen und meine Fähigkeiten abgesprochen, nur weil ich kein Deutscher bin - dabei war er selbst nicht deutsch."

    7. Narges Haghshenas (33) aus Schweinfurt: "Warum denken manche Menschen, dass sie mit ihren Steuern alle Ausländer mitfinanzieren?"

    Narges Haghshenas findet es traurig, dass einige Menschen immer noch Vorurteile gegenüber Menschen mit migrantischer Geschichte haben.
    Narges Haghshenas findet es traurig, dass einige Menschen immer noch Vorurteile gegenüber Menschen mit migrantischer Geschichte haben. Foto: Johannes Kiefer

    "Als ich 2016 auf einem Seminar in Nürnberg war, haben wir uns in den Pausen immer viel unterhalten. Einmal ging es um Muslime und mehrere Personen aus dem Seminar haben gesagt, dass sie nur so viele Steuern zahlen müssen, weil 2015 so viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Diese Familien hätten immer sechs oder sieben Kinder und sie müssten jetzt dafür aufkommen und Steuern zahlen. Das hat mich sehr getroffen, weil wir uns alle gut verstanden haben - und dann wurde so etwas gesagt. Ich verstehe nicht, warum manche Menschen denken, dass sie mit ihren Steuern alle Ausländer mitfinanzieren.

    Mein Mann und ich arbeiten beide und wir zahlen genauso Steuern. Für alle - auch für die Deutschen, die nicht arbeiten gehen. Ich kenne viele Menschen, die sind nach Deutschland gekommen und haben für einen Euro die Stunde gearbeitet. Es macht mich dann sehr traurig zu hören, dass einige Deutsche glauben, dass keiner von uns arbeiten geht. Ich weiß, dass nicht alle Deutschen so denken. Das sind nur Einzelne und für diese sind alle Ausländer gleich. Das macht mich sehr traurig."

    8. Jeong-Soo Kim (60) aus Würzburg: "Viele Menschen gehen davon aus, dass ich ihr Auto stehlen will"

    Immer wieder erlebt Jeong-Soo Kim, dass Menschen ihn aufgrund seines Aussehens verurteilen und ihm böse Absichten unterstellen
    Immer wieder erlebt Jeong-Soo Kim, dass Menschen ihn aufgrund seines Aussehens verurteilen und ihm böse Absichten unterstellen Foto: Thomas Obermeier

    "Ich war mit meiner Frau und meiner Schwiegermutter unterwegs und habe auf dem Gehweg vor einem Laden meine Zigarette geraucht, während die beiden drin einkaufen waren. Irgendwann kam eine ältere Frau an mir vorbei und ging auch in den Stoffladen. Dort hat sie gesagt: 'Da draußen ist ein komischer Chinese, der will mein Fahrrad klauen. Seien sie vorsichtig.' Meine Frau hat das gehört und mir danach erzählt. Das hat mich sehr verletzt. Ich stehe da mit meinem BMW und soll ein altes Fahrrad klauen? Ich weiß noch, dass ich meiner Frau am Ende des Tages gesagt habe: 'Vielleicht hast du den falschen Mann geheiratet' Es ist leider oft so in Deutschland, wenn ich irgendwo auf der Straße stehe und rauche, dann sind die Leute vorsichtig. Sie parken ihr Auto und drücken zwei oder drei Mal den Knopf am Schlüssel, wenn sie mich sehen.

    Ich weiß, ich bin nicht immer so gepflegt, das sagt mir meine Frau auch immer, aber viele Menschen gehen davon aus, dass ich ihr Auto stehlen will, nur weil ich komisch aussehe. Ich würde mir wünschen, dass sie sich nicht direkt ein Urteil über andere bilden. Nur weil jemand keine weiße Hautfarbe hat oder asiatisch aussieht, so wie ich, hat er nicht automatisch etwas Böses im Sinn. Dieser Gedanke ist aber leider sehr tief verwurzelt. Die Aufklärung muss schon in der Schule passieren. Ich weiß, die Lage in den Schulen ist schwer und die Lehrkräfte haben wenig Zeit, aber trotzdem sollte man für Rassismus sensibilisieren. Nicht nur theoretisch, sondern in der Praxis. Das wäre sehr wünschenswert."

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