Margot Käßmann ist eine selbstbewusste Frau. Wenn sie ans Rednerpult tritt, streckt sie sich nicht nach dem Mikro, sie zieht es entschlossen zu sich heran. Die etwa 850 Zuhörer im Konferenzzentrum Maininsel sind mucksmäuschenstill, das Klacken der Spiegelreflexkameras schert in die Stille, wenn Käßmann kurz innehält. Scheinbar spontan referiert sie zum Thema „Christliche Werte in unserer Gesellschaft“, prangert gieriges Gewinnstreben an, plädiert leidenschaftlich, dass wir wieder einen „Ethos des christlichen Wirtschaftens, eine Ökonomie zum Leben“ brauchen.
Im Vortrag der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland ist Wirtschaft ein zentrales Thema. Wie passend, hatte doch die Sparkasse Schweinfurt ihre Kunden zu dieser Veranstaltung eingeladen. Die Menschen hängen an ihren Lippen. Und sind überhaupt nicht erfreut, als einer die Harmonie stört.
Immer wieder flechtet Käßmann private Erlebnisse in ihre Rede ein. „Du sollst nicht stehlen“, das siebte der zehn christlichen Gebote, garniert sie etwa mit dieser Geschichte: Ein Unbekannter stahl ihr nacheinander erst die neue EC-Karte und dann die neue PIN aus dem Briefkasten und hob Geld von ihrem frisch eröffneten Konto ab. Käßmann hangelt sich an den zehn Geboten entlang, setzt jedes in Bezug zu einem aktuellen Thema. Die Botschaft: Die zehn Gebote haben heute nicht weniger Relevanz als vor 2000 Jahren.
„Im Grunde war es eine Predigt“
Sie hat viel Charisma, spricht vom Wir, von sich, von anderen – macht aber dem Publikum keine Vorschriften, wie es zu leben habe. Keine Anklage, keine Vorwürfe. Damit bringt sie die Menschen hinter sich. Selbst in den hinteren Reihen, von wo die Zuhörer Käßmann nur über die Videoleinwand richtig sehen können, reißt die Aufmerksamkeit auch nach 40 Minuten und bei immer dicker werdender Luft nicht ab. Es ist fast eine demütige Stille, eben wie in der Kirche. „Im Grunde war es ja auch eine Predigt“, sagt Johannes Rieger, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Schweinfurt. Der Applaus zum Schluss erscheint ewig, Käßmann geht auf der Bühne hin und her, sagt danke, danke, danke. Erst, als sie dem Publikum mit einem etwas energischeren Nicken signalisiert, dass es jetzt gut sei, ebbt der Beifall ab.
„Sie hatte die Sympathiewerte zum hundert Prozent auf ihrer Seite, es war fast schon Begeisterung“, erzählt Johannes Rieger. Er habe beim anschließenden Buffet mit vielen Kunden gesprochen. Und alle hätten ihn auch auf den Teil des Bühnenprogramms angesprochen, der nach Käßmanns Vortrag kam.
Denn im Anschluss an ihre Worte folgte ein Bühneninterview. Der Fragesteller war Holger Laschka, ehemaliger Redakteur dieser Zeitung und gebürtiger Schweinfurter. Die beiden kamen miteinander auf keinen grünen Zweig. Schon mit seiner Einstiegsfrage nach Käßmanns Erwartungen an den neuen Papst Franziskus beißt Laschka auf Granit. „Ich halte mich da lieber zurück“, sagt die Protestantin. Als der Interviewer nachhakt, nach dem Rückzug von Benedikt XVI. fragt, antwortet sie: „Ich bin zwar selber schon mal zurückgetreten, aber deshalb keine Rücktrittsexpertin. Deshalb lassen wir das jetzt lieber mal.“ Das Publikum lacht und applaudiert.
Margot Käßmann sitzt im Sessel, lehnt sich von Laschka weg, die Arme verschränkt, der Blick in Richtung Publikum. „Ich hoffe doch, dass es mir nicht wie dem armen Moderator geht, der neulich Katja Riemann interviewt hat“, versucht Laschka die Leichtigkeit ins Gespräch zurück zu holen – die Schauspielerin hatte kürzlich einen Moderator der NDR-Sendung „Das!“ mit chronischer Unlust gehörig auflaufen lassen. Käßmanns Antwort: „Könnte ihnen passieren.“ Im Verlauf des Gesprächs hätten beide irgendwann beschlossen, den anderen blöd zu finden, meint Sparkassen-Chef Rieger. „Wenn ich es hätte abbrechen können, ich hätte es getan.“
„Aufhören!“
Doch er konnte nicht, und so stellte Laschka seine letzte Frage: Wann hat sich an dem Abend, als Sie mit 1,54 Promille am Steuer erwischt wurden, ihr Gewissen gemeldet? Käßmann schnauft, lacht dann die Frage weg. „Buuuuuhhhhh!“ aus dem Publikum. Einige rufen „Aufhören!“. Schluss jetzt mit den Fragen. Klarer könnten die Sympathiewerte nicht verteilt sein.
„Frau Käßmann hatte unsere Kunden im Griff“, meint Sparkassen-Chef Rieger. Auf der Bühne sagte er noch: „Ich bitte auch um einen Applaus für Herrn Laschka. Ich denke, er hat schon die Fragen gestellt, die uns interessiert hätten. Hätten wir uns getraut zu fragen.“ Denn Margot Käßmann ist eine selbstbewusste Frau.